Was ist dran an den Zweifeln an der Qualifikation von Karl Lauterbach als Epidemiologe? Und warum empfiehlt er, auch jüngere Menschen zu impfen – obwohl kritische Experten das für unverantwortlich halten? Heute hatte ich endlich einmal die Gelegenheit, den SPD-Gesundheitsexperten persönlich zu befragen. Sehen Sie sich das Resultat in meinem neuen Video hier an – oder lesen Sie unten das Stenogramm. Ich empfehle sehr das Video – weil dort noch andere interessante Momente von der Bundespressekonferenz heute zu sehen sind – und vor allem der unglaubliche Aufritt eines niederländischen Kollegen, den man einfach gesehen haben muss. Sein kritisches, vehementes Nachfragen und Nachhaken machte deutlich, wie sehr diese Art des Journalismus in Deutschland fast in Vergessenheit geraten ist – obwohl sie Norm sein sollte und in anderen Ländern auch noch ist, wie der Kollege deutlich zeigte und später auch im direkten Gespräch erzählte. Hier geht es zum Video.
Reitschuster: “Herr Spahn, Herr Prof. Lauterbach, laut Statista sind in der Altersgruppe der unter 50-Jährigen seit Beginn der Pandemie 387 Menschen gestorben. Angesichts solcher Zahlen, wie ist die Risiken-Nutzen-Abwägung bei den Plänen, auch diese Altersgruppe zu impfen, angesichts der ja auch vorhandenen Nebenwirkungen? Und noch eine persönliche Frage an Herrn Lauterbach: Es gibt ja Kritiker, die sagen, Sie hätten sich immer nur sehr wenig mit Epidemiologie befasst, im Studium und im Berufsleben. Wie stehen Sie zu dieser Kritik? Vielen Dank.“
Lauterbach: „Zunächst einmal, bei den jüngeren Menschen, steht tatsächlich der Tod nicht im Vordergrund. Gott sei Dank, sag ich einmal. Aber man darf trotzdem die Bedeutung dieser Erkrankung für junge Menschen nicht unterschätzen. Das Long-Covid-Syndrom, über welches wir viel zu wenig sprechen, das wirkt wie ein Krankheits-Tsunami für diese Altersgruppen. Wir müssen davon ausgehen auf der Grundlage neuerer Studien – selbst wenn man konservativ abschätzt – dass bis zu 10% derjenigen, die in der Altersgruppe 30-50 erkranken, bleibende, zumindest für längere Zeit, bleibende Schäden haben. Und das Long-Covid-Syndrom, zum Beispiel mit einem chronischen Erschöpfungssyndrom, ist keine Kleinigkeit. Das ist möglicherweise, auf der Grundlage dessen, was wir bisher wissen, ein auto-immun ablaufender Prozess im Gehirn, wo wir keine Heilung für haben. Wir haben zu jetzigem Zeitpunkt keine gute Behandlungsmöglichkeit. Das ist keine Kleinigkeit. Das hat auch eine hohe Sterbequote auf die lange Sicht betrachtet, weil es mit einer nicht unerheblichen Erhöhung des Depressionsrisikos einhergeht und mit Suizidalidät. Somit haben wir auch bei den jüngeren Menschen eine schwere Betroffenheit und die wird in Deutschland aus meiner Sicht viel zu wenig besprochen. Wir haben bisher auch viel zu wenige Rehabilitationszentren. Es gibt viele jüngere Menschen, die erkrankt sind in der ersten Welle und jetzt noch nicht voll in den Arbeitsprozess wieder integriert werden konnten. Von daher, Sie haben Recht: Es ist also, was die Sterblichkeit alleine angeht, ist es zum Glück nicht so dramatisch, aber wenn wir das jetzt laufen ließen – ceteris paribus – wir würden es jetzt wirklich laufen lassen, dann hätten wir auch bei jüngeren Menschen viele Todesfälle. Somit, ich finde die Strategie ist einfach dominant, wir müssen versuchen als Gesellschaft das zu bewältigen bei den jüngeren Menschen, die langen Verläufe bewältigen. Bei den älteren Menschen Tod und lange Verläufe.
Und schließlich die Kritik, ob ich mich mit Epidemiologie viel beschäftigt habe oder nicht: Das kommt drauf an, wie man sich also die Beschäftigung vorstellt. Ich hab‘ als Wissenschaftler mich sehr stark dafür eingesetzt und sehr stark gearbeitet im Bereich der Sekundärprävention von chronischen Erkrankungen, insbesondere Diabetes. Beispielsweise Disease Management-Diabetes. Das war ein Forschungsschwerpunkt, der hat übrigens dann auch dazu geführt, da haben wir zusammengearbeitet, Herr Spahn und ich, so lange kennen wir uns schon, dass wir die Disease Management-Programme für also Blutzucker eingeführt haben, womit man versucht, diese Komplikationsraten also einzudämmen. Somit also, ich bin persönlich mit meiner Ausbildung und auch mit meiner Forschungsleistung im Bereich der Epidemiologie zufrieden. Das sehen auch viele Fachkollegen so, aber das muss nicht jeder so sehen und also niemand ist jenseits von Kritik. Ich arbeite nach wie vor jeden Tag wissenschaftlich als also Bundestagsabgeordneter, wenn ich das nicht täte im übrigen, könnte ich mich zum jetzigen Zeitpunkt auch bei der Pandemie-Bewältigung mit Spezialisten nicht austauschen, dann wäre ich längst abgehängt und das wäre auch längst den Kolleginnen und Kollegen nicht verborgen geblieben.”
Spahn: „Ich schließe mich dem an!“
[themoneytizer id=“57085-3″]
Bild: Screenshot Youtube/Phoenix / Reitschuster
Text: br