Die Lust der Bundeskanzlerin und der Regierung am Lockdown nimmt offenbar immer stärkere Ausmaße an. In einer Beschlussvorlage für den morgigen „Corona“-Gipfel mit den Länderchefs, die mir vorliegt, sind unter anderem eine Verlängerung des Lockdowns sowie eine nächtliche Ausgangssperre vorgesehen. Ob die Kanzlerin über Kenntnisse verfügt, dass das Corona-Virus nachts besonders aktiv ist? Auch Schulschließungen sind in der Beschlussvorlage der Bundesregierung vorgesehen – wenn die Inzidenz über 100 liegt und „ein zweimaliger Corona-Test pro Woche für Erziehungs- und Lehrkräfte sowie alle Schüler und betreuten Kinder in Präsenz nicht sichergestellt ist. Auch „Abweichler“, also etwa Länder und Kommunen, die ihren Bürgern mehr Freiheiten gewähren, will die Regierungschefin nicht mehr gewähren lassen: Die Anfang März beschlossene Notbremsregelung müsse „konsequent umgesetzt werden“, heißt es in dem Papier.
Merkels Hang zum Lockdown ist insbesondere bemerkenswert, wenn man betrachtet, was aus der WHO zu hören ist. Denn offizielle Vertreter der Weltgesundheitsorganisation warnen vor Lockdowns – worüber deutsche Medien aber kaum berichten. David Nabarro, Arzt und einer von sechs Sonderberichterstattern der WHO, die anlässlich der SARS-CoV-2-Pandemie ernannt wurden, sagte im Oktober im Interview mit Spectator TV: „Wir müssen lernen, einen Weg zu finden, mit diesem Virus zu koexistieren! Einen Weg, der nicht mit großem Maß an Leiden und Tod verbunden ist. Das heißt, wir brauchen einen Mittelweg: das Virus in Schach und gleichzeitig die Wirtschaft und das soziale Leben am Laufen zu halten. Wir denken, das ist machbar.“
Was der Arzt weiter sagte, hat es in sich: „Wir bei der Weltgesundheitsorganisation befürworten Lockdowns nicht als Hauptmittel, um das Virus zu kontrollieren. In unseren Augen sind Lockdowns nur dafür gerechtfertigt, um Zeit zu gewinnen. Und zwar Zeit, um umzuorganisieren, um sich neu aufzustellen, um die eigenen Ressourcen neu auszutarieren, und um medizinisches Personal zu schützen, das erschöpft ist. Aber im Großen und Ganzen raten wir von Lockdowns ab.“
Unfähigkeit von Merkel & Co.
Brauchen wir fünfeinhalb Monate, um „umzuorganisieren“, uns „neu aufzustellen“ oder „Ressourcen neu auszutarieren“? Angesichts der Organisationsschwächen, die diese Regierung bewiesen hat, wäre das zwar kein Wunder. Aber es würde bedeuten, dass wir für die Unfähigkeit von Merkel & Co. weiter mit unseren Grundrechten bezahlen müssen: ein Tauschhandel, wie ihn das Grundgesetz nicht vorsieht. Die Regierung hatte den gesamten Sommer und Teile des Herbstes Zeit, um sich vorzubereiten auf die Wintermonate. Geschehen ist wenig bis nichts. Stattdessen wird nun seit fast fünf Monaten auf ein Mittel gesetzt, von dem selbst die WHO abrät. Und nicht nur die. Auch renommierte Wissenschaftler wie John Ioannidis. Der warnte gerade wieder: „Wir brauchen keine drakonischen Maßnahmen. Sie bringen keinen zusätzlichen Nutzen.“ Schlimmer noch: Ein harter Lockdown könne die Situation sogar verschlimmern.
Während Ioannidis eine wissenschaftlich geprüfte Studie vorlegte über den Nicht-Nutzen des Lockdowns, konnte die Bundesregierung auf Nachfrage keine einzige solche Studie nennen, die den Nutzen eines Lockdowns nachweist. Kritiker verweisen darauf, dieser sei eine Erfindung der chinesischen Kommunisten, deren autoritäre, freiheitsfeindliche Politik nun übernommen wird von Angela Merkel, deren Faszination für China nie ein Geheimnis war. Auch ein Blick nach Schweden wirft viele Fragen auf: Das skandinavische Land hat, auf die Bevölkerungsgröße umgerechnet, gleiche Todesraten wie Deutschland, und zwar völlig ohne Lockdown.
Woher die Begeisterung von Merkel für den Lockdown kommt, lässt sich erahnen. Räumte die Bundeskanzlerin doch 1991 im Interview mit Günter Gaus schon einmal etwas ein, was vielleicht auch für ihren heutigen Kurs gelten könnte: „Vielleicht habe ich da ein autoritäres Verhalten in mir.“ Viel rätselhafter ist der Kadavergehorsam von weiten Teilen der Bevölkerung. Hinterfragen der Maßnahmen scheint bei vielen seltener zu sein als die Freude am Denunzieren von Regelverstößen. „Die Deutschen wirken so, als habe jemand einen Hebel umgelegt und sie mental zurück in ihre Vergangenheit versetzt“, klagte ein russischer Freund im Gespräch mit mir.
Leicht zu beeinflussende Inzidenz
Die zahlreichen Widersprüche scheinen vielen Menschen hierzulande gar nicht mehr aufzufallen. Etwa, dass der Lockdown in einem Moment kommt, in dem die Todeszahlen seit vielen Wochen kontinuierlich sinken. Ein Parameter, der viel härter ist als die von Politik und Behörden leicht zu beeinflussende Inzidenz. Dass die Zahl der Toten in der Altersgruppe der unter 50-Jährigen bei 387 liegt (Stand: Mitte März), ist kaum bekannt. Und wirft viele Fragen auf.
Etwa die nach einem weiteren Punkt in der Beschlussvorlage für morgen, der in sich widersprüchlich wirkt. Dort heißt es: „Mit der zunehmenden Durchimpfung der Bevölkerung wird die Pandemie ihren Schrecken verlieren, denn je mehr Menschen geimpft sind, desto schlechter kann das Virus sich verbreiten.“ Das steht im Widerspruch zu Aussagen von Merkel und Regierungssprechern, dass es aktuell keinen hundertprozentigen Beweis dafür gebe, dass Menschen nach einer Impfung nicht mehr ansteckend seien. Es gelte nur als wahrscheinlich. Sind „Wahrscheinlichkeiten“ ausreichende Grundlage für eine Strategie der Regierung? Macht es Sinn, aufgrund von Wahrscheinlichkeiten Menschen unter 50 „durchzuimpfen“, wenn es in dieser Altersgruppe bisher nur 387 Tote gab und nicht erwiesen ist, dass sie mit dem viel zu kurz erprobten Impfstoff nicht mehr ansteckend sind?
Innen-Staatssekretär Markus Kerber äußerte sich am 20. März 2020 in einer E-Mail über verschiedene Corona-Szenarien. Als „einigermaßen tröstlichen Best Case“ bezeichnete er in dem Schreiben ein Modell, „das mit 126.000 Toten einer schweren Grippe entspräche“. Ein Jahr später sind wir mit 75.000 Menschen, die an, aber auch mit Corona gestorben sind, weit unter dieser Totenzahl, die laut dem Staatssekretär „einer schweren Grippe“ entspräche. Der Altersmedian der Verstorbenen liegt bei 84, also über der durchschnittlichen Lebenserwartung in Deutschland. Wir haben das halbe Land heruntergefahren, die Grundrechte außer Kraft gesetzt und reden über weitere Verschanderem eine Verlängerungärfung. Trotz massiver Kollateralschäden, vor allem für Kinder und Jugendliche. Uns sind sämtliche Maßstäbe verrückt, in Folge einer fatalen Angst- und Panik-Spirale, in der sich Politik und Medien gegenseitig anstachel(te)n.
Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Egal, wie man zur Corona-Politik steht: Wenn man die vielen Widersprüche nüchtern und ohne die massiv und ständig geschürte Angst betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass offenbar die massiv um sich greifende Irrationalität nicht weniger gefährlich ist als das Virus für unsere Gesellschaft.
Bild: sritawan jaratsrimane/Shutterstock
Text: br
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