Die Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am Samstag in Kassel hatte heute ein Nachspiel in der Bundespressekonferenz. Die Rollenverteilung war dabei die übliche. Auf der einen Seite war aus den Fragen der Vorwurf herauszuhören, die Polizei sei nicht streng genug gegen die Demonstranten vorgegangen – und dafür zu hart gegen die Gegendemonstranten, die teilweise aus dem Antifa-Milieu stammten. Ein Kollege fragte, ob die Regierung Untersuchungen habe, „ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Bundespolizisten gewisse Sympathien für solche coronamaßnahmenkritischen Positionen haben“. Mich hat diese Frage sehr verwundert, da es in meinen Augen Privatsache jedes Polizisten ist, wie er zu den Corona-Maßnahmen steht, solange er seinen Dienst neutral erfüllt. Entsprechend hakte ich auch nach. Gefragt habe ich auch nach der Polizistin, die einer Demonstrantin mit der Hand ein Herz zeigte und daraufhin unter massiven Beschuss in den sozialen Medien kam. Und offenbar auch ins Visier ihrer Vorgesetzten geriet – die ankündigten, sie würden den Vorfall untersuchen und prüfen, ob die Beamtin gegen das Neutralitätsgebot verstoßen habe. Nachgefragt habe ich angesichts des tätlichen Angriffs von Gegendemonstranten gegen mich auch, was die Bundesregierung tun will, um Journalisten besser auf Demonstrationen zu schützen. Die Antwort, übersetzt in Klartext: Nichts!
Lesen Sie hier den gesamten Wortlaut der Fragen und Antworten zum Thema Kassel in der heutigen Bundespressekonferenz. Ansehen können Sie sich all das auch in meinem Video (um das gesamte Video anzusehen, klicken Sie hier, direkt zur Kassel-Stelle geht es hier).
FRAGE JESSEN: Ich habe eine Frage an das BMI zu der Coronademonstration in Kassel am Sonnabend. Darüber gibt es vielfältige Berichte. Der Einsatz wird auch nachträglich noch aufgearbeitet. Die Berichte haben zum Inhalt, dass die Polizei zum Teil darauf verzichtet habe, Auflagen gegen die Demo durchzusetzen, und zum zweiten Gegendemonstranten mit unangemessener Härte überzogen habe.
Erste Frage: War Bundespolizei bei diesem Einsatz dabei? Welche Beobachtungen gibt es da?
Zweite Frage: Ist das Bundesinnenministerium darüber besorgt, wenn Polizei bei solchen Demonstrationen möglicherweise mit zweierlei Maßstab vorgeht?
SEEHOFER-SPRECHERIN VICK: Das Bundesinnenministerium kennt Medienberichte zum Versammlungsgeschehen am vergangenen Wochenende. Da das Versammlungsrecht dem Grunde nach Ländersache ist, kann ich den konkreten Einsatz von dieser Stelle aus nicht bewerten. Ich kann aber losgelöst vom Einzelfall erklären, dass das Versammlungsrecht ein hohes Gut in unserer Demokratie ist und dass wir gerade in diesen Zeiten das Versammlungsrecht gewährleisten müssen.
Allerdings muss das Versammlungsrecht in Pandemiezeiten natürlich im Einklang mit dem Infektionsschutz ausgeübt werden, und wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass das auch funktioniert. Wie Sie schon erwähnt haben, müssen für Versammlungen Auflagen erlassen werden, um den Infektionsschutz zu garantieren. Die erlassenen Auflagen müssen selbstverständlich auch umgesetzt und im Zweifel durchgesetzt werden. Allerdings erwartet das BMI natürlich, dass sich bei der Durchsetzung ordnungsrechtlicher Maßnahmen durch die zuständigen Stellen an Recht und Gesetz gehalten wird.
Die Innenminister aus Hessen und Thüringen haben bereits angekündigt, dass der Polizeieinsatz umfassend aufgearbeitet werden soll. Den Ergebnissen daraus kann ich an der Stelle nicht vorgreifen.
ZUSATZ JESSEN: Das beantwortet nicht die Frage, ob bei dem Einsatz Bundespolizei mit dabei war und ob von daher das BMI sozusagen Erfahrungsberichte aus eigenen Quellen mit heranzieht und den Einsatz auch von diesem Ansatz her beleuchtet und beurteilt.
VICK: Meines Wissens waren Bundespolizisten im Rahmen ihrer eigenen Aufgaben eingesetzt.
ZUSATZFRAGE JESSEN: Das heißt, dass es dann doch einen Anlass dafür gibt, den Polizeieinsatz, soweit es Bundespolizei angeht, selbst zu untersuchen. Tun Sie das?
VICK: Meines Wissens war die Bundespolizei bei der An- und Abreise eingesetzt und nicht bei den Durchsetzungen der ordnungsrechtlichen Maßnahmen. Aber falls ich dazu einen anderen Kenntnisstand erhalten sollte, würde ich das gegebenenfalls nachreichen.
FRAGE REITSCHUSTER: Frau Vick, eine Polizistin hat im privaten Gespräch bei der Demo einer Demonstrantin mit der Hand ein Herzzeichen gezeigt. Das führte zu massiven Diskussionen. Es hieß, das Neutralitätsgebot sei verletzt worden.
Mir ist klar, dass Sie den Einzelfall nicht kommentieren können, aber generell: Wo beginnt für Sie das Neutralitätsgebot? Dürfen Polizisten freundlich sein, oder steht das Zeigen eines Herzens generell schon im Verdacht, die Neutralität zu verletzen?
VICK: Grundsätzlich ist die Rolle der Polizei bei solchen Versammlungen vielfältig. Auf der einen Seite muss sie die Versammlungsfreiheit für alle gewährleisten. Auf der anderen Seite muss sie gegebenenfalls erlassene Auflagen durchsetzen und kontrollieren.
Wie Sie bereits erwähnt haben, gilt allgemein eine Neutralitätspflicht für Beamtinnen und Beamte. Das heißt, dass Beamte neutral sein und unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Einflüssen handeln sollen.
ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Aber wo liegt für Sie die Grenze zwischen Neutralität und Freundlichkeit?
VICK: Sie wollen eine Bewertung des Einzelfalls, den Sie gerade beschrieben haben. Ich kann den Einzelfall nicht bewerten. Das ist umfassend. Sie haben ein Bild beschrieben. Ich weiß nicht, wie es zu diesen Bildern gekommen ist und was vielleicht noch mit eine Rolle gespielt hat, sodass ich das von dieser Stelle aus nicht bewerten kann.
FRAGE DR. RINKE: Frau Vick, nachdem es mehrfach Kritik an Polizeieinsätzen gegen sogenannte Querdenker-Demonstrationen gegeben hat, will ich nachfragen, ob es bei Ihnen Untersuchungen dazu gibt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Bundespolizisten gewisse Sympathien für solche coronamaßnahmenkritischen Positionen haben: Wird das von Ihnen untersucht? Hat das Ministerium die Bundespolizei angewiesen, verstärkt danach zu schauen?
VICK: Grundsätzlich kann ich Ihnen sagen, dass die Sicherheitsbehörden hellwach sind und im Rahmen ihrer Aufgaben alle Entwicklungen, auch Entwicklungen, die gegebenenfalls im Zusammenhang mit Coronaprotesten entstehen, betrachten. Dem habe ich erst einmal nichts hinzuzufügen.
ZUSATZ DR. RINKE: Dass Sie das beobachten, ist klar. Aber meine Frage zielte mehr darauf, ob Sie intern, innerhalb der Bundespolizei, hinterherfragen oder recherchieren, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es da möglicherweise Sympathisanten einer solchen Bewegung gibt.
VICK: Wenn ich sage, dass die Sicherheitsbehörden hellwach sind und alle möglichen Entwicklungen im Zusammenhang mit Coronaprotesten betrachten, dann steht die Aussage für sich.
SRS’IN FIETZ: Lassen Sie mich vielleicht noch ergänzen, dass die Bundesregierung insgesamt die Bereitschaft des hessischen Innenministers Beuth begrüßt, den gesamten Polizeieinsatz in Kassel, wie er es formuliert hat, gründlich nachzuarbeiten.
FRAGE REITSCHUSTER: Frau Vick, ich wurde am Samstag in Kassel von Gegendemonstranten tätlich angegriffen. Das ist mir auch früher schon passiert; es passiert auch anderen immer wieder. Man hat den Eindruck, dass die Aggression gegenüber Journalisten von unterschiedlichen Seiten bei Demonstrationen zunimmt.
Halten Sie die aktuelle Gesetzeslage diesbezüglich für ausreichend? Macht sich die Bundesregierung Gedanken darüber, wie sie Journalisten und damit auch die Berichterstattung angesichts einer zunehmenden Aggression noch besser schützen könnte?
VICK: Ihre persönlichen Erfahrungen vom Wochenende kann ich natürlich nicht bewerten, aber ich rate jedem, der in irgendeiner Form rechtswidriges Verhalten festzustellen meint, dies bei den zuständigen Behörden zur Anzeige zu bringen.
ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Die Frage richtete sich ja nicht auf den Einzelfall, sondern die Frage war, ob sich die Bundesregierung hier generell Gedanken macht, die Situation rechtlich zu verbessern.
VICK: Auch da habe ich ehrlicherweise meinen Aussagen von vorhin nichts hinzuzufügen. Wir beobachten die Entwicklung fortlaufend und sind hellwach, und gegebenenfalls gibt es Maßnahmen.
ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Eine Nachfrage zu der Frage von Herrn Rinke, ob die Bundesregierung beobachtet, ob es bei Polizisten Sympathien gibt: Inwieweit ist es Privatsache, was für Ansichten und Sympathien Polizisten haben, und inwieweit ist das eine Sache des Arbeitgebers?
VICK: Wie ich zu Ihrer ersten Frage schon ausgeführt habe, hat jeder selbstverständlich das Recht auf seine private Meinung. Für Beamtinnen und Beamte gilt aber eben die Neutralitätspflicht, sodass sie sich im Rahmen ihrer Berufsausübung neutral zu verhalten haben.
ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Aber was für eine Ansicht sie haben, geht niemanden etwas an, solange sie die nicht in die Arbeit einfließen lassen?
VICK: Selbstverständlich gilt die Meinungsvielfalt und -freiheit unseres Grundgesetzes auch für Beamtinnen und Beamte.
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Bild: privat
Text: br