Warum Schweigen Verrat wäre Der russische Schriftsteller, der mich prägte

Hier mein Nachruf auf meinen großen Lehrmeister, väterlichen Freund und wunderbaren Menschen Wladimir Wojonwitsch aus dem Jahr 2019. Wojnowitsch fehlt in diesen finsteren Tagen mehr denn je.


Es ist zweieinhalb Jahre her, dass mein väterlicher Freund, der große russische Schriftsteller und Satiriker Wladimir Wojnowitsch, gestorben ist. Er war für mich ein moralischer Kompass und ein Leuchtturm des glasklaren Verstandes, des kritischen Hinterfragens und der Freiheit. Er, der als Dissident sein Leben riskierte, den der KGB umbringen wollte und der ausgewiesen wurde, und auch Putin immer heftigst kritisierte, war für mich das Gewissen Russlands. Sein unglaublicher Humor, seine menschliche Wärme und sein durchdringender Intellekt machten jedes unserer Gespräche zu einem Ereignis, zu einer Bereicherung. In seinem Roman „Moskau 2042“ hatte er schon 1986 das Grundprinzip des Systems Putins vorhergesagt – die Eroberung der Macht durch den Geheimdienst.

Nie werde ich unser letztes Treffen im Juni 2018 in Moskau vergessen. Er, 85 Jahre alt und einer der größten lebenden Schriftsteller Russlands, ließ sich nicht davon abbringen, selbst zu mir nach Moskau zu fahren – weil er mir die Anfahrt in den Vorort, in dem er lebte, nicht zumuten wollte. Ich sprach lange mit ihm darüber, wie mich umtreibt, was ich in Deutschland erlebe. Wie ich manches, was ich für Kommunismus- und KGB-Folgen in Russland hielt, in Deutschland wieder erlebe. Wie man angefeindet wird, wenn man auch nur ansatzweise von diesen Sorgen redet, wie einem sofort viele vorwerfen, man würde mit Kritik „dem Feind“ helfen. Ich erzählte ihm von der Welle der Diffamierungen, die ich erlebt habe, nur weil ich einmal über die Ängste einer Frau vor Übergriffen berichtete.

Wojnowitsch hörte mir wie immer sehr lange, aufmerksam und besorgt zu. Er hat einige Jahre in Deutschland gelebt, und vieles von dem, was ich ihm erzählte, war ihm in Ansätzen bekannt. Er ermutigte mich, nicht zu schweigen. „Sie dürfen nur auf Ihr Gewissen hören! Sonst nichts! Man muss tun, was man tun muss, und komme, was wolle“ – das war die Antwort dieses großen alten Mannes – ein alter Dissidenten-Spruch aus Sowjetzeiten. Wir waren uns einig: Es ist unanständig, nur den Kreml zu kritisieren (so notwendig das auch ist), und den Mund zu halten über Missstände im eigenen Land. Egal, welche Folgen das hat. Ich werde mir das zu Herzen nehmen, versprach ich Wojnowitsch, und er sah mich an wie einen Sohn.

Ich hatte in diesem Moment den Eindruck, dass er mir eine Fackel übergibt.

Wir verabschiedeten uns sehr lange, ich winkte ewig seinem Auto hinterher, und er mir aus dem Fenster.

Ein paar Tage darauf gab er mir noch ein Interview für meine russischsprachige Fernsehsendung im Kanal „OstWest“, per Skype. Wir hatten ausgemacht, mehr über sein Leben zu sprechen als über Aktuelles; ich bat ihn, viele von den Geschichten zu erzählen, die er mir privat berichtet hatte, damit sie auch ein breites Publikum erfährt.

Die Sendung sollte am 28. Juli 2018 ausgestrahlt werden. Am 27. Juli 2018, einen Tag davor, starb Wojnowitsch.

Die Todesnachricht traf mich wie ein Schlag.

Es dauerte lange, bis ich wieder zu mir kam.

Erst später erfuhr ich, dass er noch weiter hätten leben können, wenn sich der Krankenwagen nicht verfahren hätte und deswegen nicht viel zu spät gekommen wäre. Zu lange hatte er, schon mit starken Herzschmerzen, abgelehnt, überhaupt einen Krankenwagen zu holen: „Wenn der zu mir kommt, fehlt er anderen, die ihn nötiger haben!“ Seine Bescheidenheit und Demut, die ihn immer auszeichneten, kostete ihm am Ende das Leben.

Mein letztes Interview mit ihm wurde posthum ausgestrahlt.

Ich habe geweint. Und mich nicht dafür geschämt. Ich weine sogar jetzt, wenn ich diese Zeilen schreibe.

Wojnowitschs Körper ist tot. Seine Stimme und seine Gedanken werden für immer am Leben bleiben.

Sein Licht und seine Energie wärmen uns noch heute.

Und obwohl er selbst nicht mehr auf dieser Welt ist, schenkt er uns immer noch Lächeln, Freude und Wärme.

Man muss nur an ihn denken – und ich denke oft an ihn – schon wird es einem warm und sonnig ums Herz, und man hat sofort ein Lächeln auf den Lippen.

Ich schätze mich glücklich, dass ich einem so herausragenden Menschen nahe sein durfte. Unsere Treffen und Gespräche sehe ich als Reichtum. Unsere Freundschaft als Geschenk des Schicksals. Als ein großes Glück. Diese Freundschaft wird für immer in mir leben.

Er fehlt mir sehr! Die Gespräche mit ihm!

So oft möchte ich zum Hörer greifen, seine Stimme hören, mit ihm lachen, ihn nach Ratschlägen fragen.

Regelmäßig lese ich bis heute seine Bücher, und dann ist er wieder da, wieder lebendig; es ist, als würde man sich wieder mit ihm unterhalten.

Obwohl die Themen, über die wir sprachen, meistens ernst und oft traurig waren, verbreitete er immer etwas Fröhliches, Positives. Ich vermisse seine Geistesblitze, seinen brillanten, bissigen, aber nie bösen Humor, seine subtilen, scharfen Bemerkungen, seine Gedanken, seinen Rat.

Nichts kann die Lücke, die sein Tod gerissen hat, füllen.

Wojnowitschs Fußstapfen sind viel zu groß, als dass ich auch nur ansatzweise daran denken könnte, in sie zu treten.

Aber die Fackel, die er mir übergab, die werde ich nicht ausgehen lassen, und sei es nur ein Fäckelchen.

Ich werde nicht den Mund halten.

Ich werde mich nicht nach Applaus richten.

Ich werde nicht schweigen, weil reden angeblich den Falschen nützt (zu Sowjetzeiten „dem Westen“, heute „den Rechten“)

Ich werde aufstehen, wenn Menschen wegen ihrer politischen Meinung ausgegrenzt, diffamiert, entmenschlicht werden.

Wenn Themen tabuisiert werden, die die Menschen bewegen, werde ich sie ansprechen.

Wenn jemand glaubt, die absolute Wahrheit zu kennen und verbreiten zu müssen, werde ich sie lautstark anzweifeln.

So wenig man den Unrechtsstaat Russland mit seinem kriminellen Regime mit der Demokratie in Deutschland vergleichen kann – was bei uns geschieht, erfüllt mich mit tiefster Sorge und ich bin überzeugt, dass die Grundfesten unserer Demokratie und unserer Gesellschaft gerade massiv in Gefahr sind.

Übrigens auch, weil heute in vielem Lenins geistige Großneffen in Politik und Medien das Sagen haben – Ideologen, die sich berufen fühlen, die Gesellschaft nach ihren für absolut befundenen Vorstellungen von oben herab zu formen, und die Menschen zu erziehen bzw. zum Glück zu zwingen.

Diese Zwangsbeglücker, die sich als „Gute“ für über jeden Zweifel erhaben halten, sind resistent gegen störende Fakten; wer sie hinterfragt, ist Teil des „Bösen“ – früher „Volksfeind“ (bzw. noch früher „Ketzer“ oder „Leugner“, heute „Rechter“ oder schon wieder „Leugner“ (siehe mein Artikel hier). Wojnowitsch betrachtete diese Entwicklung mit größter Sorge. Seit seiner Ausbürgerung verzweifelte er schier daran, wie Politiker, Journalisten und Intellektuelle im satten und freien Westen naive Sympathien für den Kommunismus allgemein und das sowjetische System im Besondern hegten – und später nach dem gleichen Muster für Putin.

So wenig sich meine Einstellung zu Putin geändert hat und so lautstark ich ihn auch weiter kritisieren werde – ich bin überzeugt, für unsere Missstände in Deutschland sind wir in erster Linie selbst verantwortlich. Putin gießt zwar massiv Öl ins Feuer – aber dieses Feuer ist hausgemacht.Niemand destabilisiert uns so gut wie wir selbst. Wenn wir die Missstände bei uns verschweigen und verdrängen, im Glauben, damit die Demokratie zu retten, so ist das ein fataler Irrglaube. Genau damit spielen wir den Feinden der Demokratie in die Hände.

Wer nur Kritik am Kreml hören will, und keine Kritik an den Regierenden hierzulande, der ist bei mir an der falschen Adresse.

Ich sehe meine Aufgabe als Journalist darin, die Regierenden zu kritisieren.

Ich würde mich schämen, wenn ich schweigen würde zu Missständen, ganz egal wo.

Und ich würde mich schämen, wenn ich aufhören würde zu hinterfragen und zu zweifeln. In dem Moment wäre ich als denkender Mensch tot. Und als Journalist gleich doppelt.

Mein Motto als Journalist, das sicher ganz im Sinne von Wojnowitsch wäre, soll deshalb sein: „Wenn ich nicht mehr anecke bei den Mächtigen und ihren Lautsprechern, wenn ich nicht mehr gegen den Zeitgeist verstoße, nicht mehr als unbequem betrachtet und nicht mehr beschimpft werde, dann muss ich irgendetwas sehr falsch machen!“

P.S.: Dieser Text beruht auf meinen Erinnerungen an Wladimir Wojnowitsch, die ich für ein Buch zu seinem Andenken mit seinen letzten, unveröffentlichten Texten verfasst habe, das seine Angehörigen im September auf Russisch herausgeben haben. Der Text ist in Teilen eine Rückübersetzung aus dem Russischen.​

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Bilder: privat
Text: br


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