Boris wird nicht schlafen heute Nacht… ...so wie die anderen in der ersten Nacht hinter Gittern

Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle

meine dünne Hoffnung, dass Boris Becker nochmal davon kommen könnte, hat sich nicht erfüllt. Zweieinhalb Jahre Knast für Insolvenzbetrug, die meisten Beobachter hatten sowas erwartet. Richterin Deborah Taylor hat Recht gesprochen, und sie hätte den einstigen Nationalhelden aus Leimen im schlimmsten Fall für sieben Jahre hinter Gitter schicken können. Die Ehrenwerte kennt keinen Promibonus, und – seien wir ehrlich – solche Richter wünschen wir uns im Grunde alle. Auch vorher hatte sie schon mal einen anderen Prominenten – Julian Assange – für sechs Wochen in den Bau geschickt. Aber zweieinhalb Jahre? Wenn er sich anständig führt, kommt er vielleicht nach einem Jahr und drei Monaten wieder raus. Auch das kann eine sehr lange Zeit sein.

Was macht so ein Moment mit jemandem wie Becker oder Hoeneß oder Kachelmann oder Middelhoff? Wenn sie in einem Gefangenentransporter mit Uniformierten neben sich ins Gefängnis gebracht werden? Wenn Sie sich unter den Augen von Vollzugsbeamten ausziehen und Sträflingskleidung anlegen müssen? Wenn sie alle persönlichen Gegenstände, Hosengürtel, Schlüssel, Portemonnaie und Handy abgeben müssen und dann allein in einer 6,5 Meter kleinen kargen Zelle hocken? Ich stelle es mir vor wie einen Albtraum, der wahr geworden ist.

Die anderen genannten Personen, die einst Millionen auf ihrem Bankkonto hatten, die in Limousinen mit Fahrern durch die Gegend kutschiert wurden, Fernsehinterview gegeben haben, und plötzlich allein da sitzen. Waschbecken, Klo, Bett, ein Tisch, ein Stuhl. Und die plötzlich alle Zeit der Welt haben, um über ihr Leben nachzudenken?

Uli Hoeneß, Fußballprofi und genialer Manager und später Chef des FC Bayern München. Der grandiose Erfolg des internationalen Spitzenclubs ist ohne jeden Zweifel diesem Manager zu verdanken. Er, und nur er hat den grandiosen FC Bayern erschaffen. Im März 2014 wurde Hoeneß zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, von denen er neun Monate im geschlossenen Vollzug im Knast von Landsberg am Lech verbringen musste. Zu seinem 70. Geburtstag gab er der ZEIT ein Interview und erzählte von der Zeit hinter Gittern. Nachdem seine Mithäftlinge gesehen hätten, dass er ganz normal wie alle behandelt wird, sei das Verhältnis entspannt gewesen. Honeß: „Zuerst kursierten ja diese Märchen, ‚für den kommt abends immer der Feinkost Käfer‘ und so, aber dann haben sie gemerkt, das ist alles Blödsinn.“

Der Millionenmanager, verurteilt wegen Steuerhinterziehung – was sonst? -, musste jeden Tag in der Kleiderkammer der Haftanstalt arbeiten. Eines Tages habe sich eine scheinbar bedrohliche Situation entwickelt, als ein furchteinflößender Mann auf den prominenten Häftling zuging, und die Wärter sofort in Alarmbereitschaft waren. Der Knastkollege sagte zu Hoeneß: „Herr Hoeneß, eine Frage: Holt ihr jetzt den Reus oder nicht?“ Und Hoeneß antwortete: „Ich kann Ihnen versichern, wir holen ihn nicht.“ Darauf der: „Gut, dann kann ich jetzt in Ruhe meine Strafe antreten.“

Wettermoderator Jörg Kachelmann musste 132 Tage in Untersuchungshaft einsitzen. Vorwurf: Er habe eine Frau vergewaltigt. Vor Gericht wurde er freigesprochen, weil die Frau offenbar massiv gelogen hatte über das Geschehen. Gegenüber der „Weltwoche“ erzählte Kachelmann über seine gar nicht angenehmen Erlebnisse in Haft: „Ich glaube tatsächlich, es ist das Ziel der U-Haft, die Menschen zu brechen. Sie zielt nicht auf physische, aber auf psychische Vernichtung.“ Und zur ersten Nacht in der neuen Umgebung: „Dort kam die erste Nacht in einer versifften, verschissenen und verkakerlakten Zelle. Die Behörden behaupteten später mit einem Seitenhieb an mich, jeder Häftling sei selber verantwortlich für die Sauberkeit. Das gilt schon, aber erst für die Zelle, die man nachher bekommt, nicht für die Zelle der ersten Nacht.“

Thomas Middelhoff, Top-Manager beim Bertelsmann-Konzern und dann Arcandor-Chef, musste wegen Untreue ins Gefängnis. Seine Erlebnisse mit dem real existierenden Strafvollzug in Deutschland schrieb er in seinem Buch „A 115 – Der Sturz“ auf. Ein international gefragter Konzernchef, Firmenflugzeug, Platin-Kreditkarten und dann plötzlich in einer Zelle in der JVA Essen. Verhaftet wurde der smarte Nadelstreifen-Mann wegen Fluchtgefahr noch im Gerichtssaal und saß mehr als fünf Monate in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Essen in Untersuchungshaft, bevor er gegen Kaution entlassen wurde. Den Rest seiner drei Jahre verbüßte er im offenen Vollzug in Bielefeld.

Middelhoffs Schilderungen in seinem Buch später bestätigen auch seine vorherige Eitelkeit. Aber er vermittelt gleichzeitig eindrucksvoll, wie schutzlos sich einer, der mal ganz oben war, in dieser Lage fühlen muss. Das Entsetzen über die schmuddelige Zelle, der Blick aus dem Zellenfenster, der erste Hofgang. Die verschiedenen ethnischen Gangs im Knast kommen zu ihm und bieten ihm „Schutz“ an. Schließich beschließt die Gefängnisleitung, Middelhoff nicht mehr am Hofgang teilnehmen zu lassen. Und dann das gemeinsame Duschen, all der Ekel. Die erste Rasur mit einem Einwegrasierer, der verzweifelte Versuch, sich einen Kamm zu organisieren…

Der damals „meistgehasste Manager in Deutschland“ (O-Ton Middelhoff), er schafft es mit seinen Schilderungen tatsächlich, mein Mitgefühl zu wecken. Und dann seine Bekehrung zum christlichen Glauben. Wer nicht an Gott glauben kann oder will, der versteht nicht, was Middelhoff hier beschreibt, eines Nachts in seiner dunklen Zelle, aber ich fand es bewegend, als ich sein Buch damals in zwei Tagen nahezu verschlungen habe.

Boris Becker, keiner von uns weiß, wie er sich jetzt in diesem Moment fühlt. Ich bin sicher, er schläft noch nicht auf seiner Liege in der Zelle. Nach dem Urteilsspruch durfte sich der sechsmalige Grand Slam-Gewinner nicht einmal von seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn Noah verabschieden. Mit seiner mitgebrachten Reisetasche wurde er aus dem Gericht zum weißen Gefangenentransporte geführt und umringt von Paparazzi weggebracht.

Ich hatte heute in der Redaktion zahlreiche aktuelle Fotos von ihm, wie er Hand in Hand mit seiner Partnerin Lilian zum Gericht geht, und wie er allein draußen steht, und um Fassung ringt, während Horden von Fotografen erbarmungslos draufhalten. Hoffentlich hält Lilian weiter zu ihm, nichts ist in einer schwierigen Situation so wichtig, wie der Partner oder die Partnerin, die da sind, und auf die man sich verlassen kann. Und natürlich die beiden Jungs, die damit klarkommen müssen, dass ihr Vater jetzt im Gefängnis sitzt. Und auf allen Bildern gestern fielen mir die verquollenen Augen Beckers auf. Nein, er wird noch nicht einschlafen, noch lange nicht.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Dieser Beitrag ist zuerst auf „the-germanz.de“ erschienen.

Bild: PROMA1/Shutterstock
Text: Gast

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