Ballweg hofft jetzt auf Ex-UN-Sonderberichterstatter Melzer "Juristische Konstruktionen ersonnen", um Haft zu verlängern

Ballweg

Der inhaftierte Querdenken-Gründer Michael Ballweg hat sich jetzt an den UN-Menschenrechtsrat und den ehemaligen Folter-Sonderberichterstatter der Uno, Nils Melzer, gewandt. Er wirft den deutschen Behörden vor, dass er kein faires Verfahren erhalte. Das teilten seine Anwälte mit. Ballweg sitzt seit fast einem halben Jahr in Untersuchungshaft.

„Bisher hatte Michael Ballweg die Hoffnung auf ein faires Verfahren in einem gegen ihn anhaltslos angestrengten Ermittlungsverfahren“, so seine Verteidiger: Dieses Vertrauen sei aber verloren nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 14. November 2022.

Dieses hatte den bis dahin gültigen Haftbefehl wegen mutmaßlich vollendeten Betrugs zwar aufgehoben, aber ihm weiter vorgeworfen, einen „untauglichen Versuch“ unternommen zu haben. Damit eröffnete es dem Amtsgericht Stuttgart den Weg, Ballwegs Haft zu verlängern. Bei dem Haftverkündigungstermin hat der Amtsrichter, so der Vorwurf der Anwälte, elementare rechtsstaatliche Prinzipien verletzt.

Ballweg sei klar geworden, „dass er nicht aufgrund falscher juristischer Schlüsse wegen mangelhafter Ermittlungen in Haft gehalten wird, sondern juristische Konstruktionen ersonnen werden, mit dem Ziel ihn weiterhin festzuhalten“, so die Anwälte. Nach ihren Angaben wurde Ballwegs komplettes Vermögen, „das nachweislich aus seiner unternehmerischen Tätigkeit vor 2020 stammt, bis auf 300,00 € arrestiert.“ Damit sei ihm „jede Möglichkeit“ genommen worden, „sich angemessen zu verteidigen“.

Die Verteidiger beklagen auch, dass Ballweg nach Aufhebung der Vorwürfe aus dem ursprünglichen Haftbefehl viereinhalb Monate unschuldig in Untersuchungshaft gesessen habe – und zeitgleich mit der Aufhebung des alten Haftbefehls ein neuer wegen anderer Vorwürfe erlassen wurde. Laut Anwälten heißt es in dem Gerichtsbeschluss dazu auf Seite 12: „Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Beschuldigte – wie hier – unter Aufhebung des ursprünglichen Haftbefehls freigelassen, aber alsbald aufgrund eines neuen Haftbefehls wieder festgenommen werden müsste.“

Das ist ein Vorgehen, das mir aus Russland sehr gut bekannt ist. Und das Oppositionelle dort als „Zersetzung“ bezeichnen und als Methode aus dem „Handbuch des KGB“. Also Demoralisierung und Psycho-Terror gegen Regierungskritiker. Menschenrechtsorganisationen in Russland kritisieren diese Methoden massiv.

Kein Zugriff auf Vermögen

Auch Ballwegs Vermögen bleibt weiterhin arrestiert, so die Anwälte, obwohl das Oberlandesgericht feststellt habe: „Bei diesen Gegebenheiten kann der Eintritt eines Vermögensschadens im Sinne der Zweckverfehlungslehre nicht belastbar angenommen und mithin dringender Tatverdacht im Hinblick auf eine Strafbarkeit des Beschuldigten wegen vollendeten Betrugs nicht festgestellt werden.“

Die konkreten Vorwürfe des Verteidiger-Teams:

  • Akten werden ihm und/oder seinen Verteidigern nicht oder verspätet zur Verfügung gestellt
  • Zeugen werden nicht angehört
  • Rechtliches Gehör wird verweigert
  • Verteidiger werden vom Gericht übergangen
  • Der Beschleunigungsgrundsatz wurde und wird verletzt.

So würde etwa der Steuerberater, „der wichtige, für Michael Ballweg entlastende Beweise beitragen kann“, bis heute „nicht durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart befragt, Michael Ballweg hat mehrfach darauf hingewiesen, dass der Steuerberater wichtige Beweise für seine Unschuld liefern kann.“

Staatsanwaltschaft ohne Interesse

Ballweg habe von Anfang an der Staatsanwaltschaft seine aktive Mitarbeit an der schnellen Aufklärung der haltlosen Vorwürfe angeboten. Die Staatsanwaltschaft hat im Oktober nach 3 Terminen (Nr. 1: 25.08; Nr. 2: 20.09; Nr. 3: 28.09.2022) mitgeteilt, dass an weiteren Aufklärungsterminen kein Interesse besteht. Bis heute ist diese Situation unverändert. Die Verteidiger kündigten an, die prozessualen Mängel im Verfahren noch einmal gesondert auszuarbeiten und publik zu machen.

Das Anwälte-Team verweist auch darauf, dass Ex-UN-Sonderberichterstatter Melzer sich bereits in Sachen „Querdenken“ an die Bundesregierung gewandt hat. In einem Brief zur angekündigten bundesweiten Observation von den Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstranten schrieb er: „Eine solch wahllose öffentliche Bloßstellung, Diffamierung und Stigmatisierung kann ungerechtfertigte Ängste, Stress, Scham und Schuldgefühle hervorrufen und dazu führen, dass den Opfern aufgrund von Einschüchterung, Angst vor Überwachung und anderen Formen von Repressalien, die nicht mit den Menschenrechten vereinbar sind, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Rehabilitierung verweigert werden.“

Erinnerung an autoritäre Staaten

Anders als die Verteidiger gibt sich die Staatsanwaltschaft leider bedeckt und hat sich zu den Vorwürfen von Ballweg und seinen Anwälten bislang nicht näher eingelassen. Ermöglicht wird dies auch durch das Schweigen der großen Medien in diesem Fall. So wenig ich mir ohne Kenntnis der Akten ein umfassendes Urteil erlaube – so merkwürdig kommt mir doch sehr vieles in diesem Verfahren vor. Und da die Unschuldsvermutung in Deutschland zumindest offiziell immer noch für den Angeklagten gilt und nicht für die Staatsanwaltschaft, die der Politik gegenüber weisungsgebunden ist, muss ich sagen: Mir kommt die ganze Causa inzwischen überaus spanisch vor. Gerade, weil mich so vieles an das Vorgehen der Justiz und auch der Medien in autoritären Staaten erinnert, die ich hautnah erlebt habe. Und weil mein einst großes Urvertrauen in unseren Rechtsstaat regelrecht zerstört wurde in den vergangenen knapp drei Jahren. Umso mehr erstaunt mich, dass Ballweg dieses Urvertrauen nach Angaben seiner Anwälte erst nach sechs Monaten in Untersuchungshaft verloren hat.

Während von den Verdächtigen aus der Politik bei den dubiosen Masken-Millionen-Deals kein einziger in U-Haft kam, sitzt der „Querdenken“-Gründer seit sechs Monaten ein. Während in Deutschland etwa Kinderschänder und Frauenmörder trotz Urteil auf freien Fuß kommen, weil die Justiz nach eigenen Angaben zu wenig Ressourcen hat, reichen diese Ressourcen gleichzeitig für die Verfolgung von einem der bekanntesten Regierungskritiker aus. Und die Medien berichten entweder gar nicht oder selten und im Kleingedruckten. Stellen Sie sich einmal vor, in Polen oder Ungarn würde einer der bekanntesten Regierungskritiker fünf Monate lang unter merkwürdigen Umständen inhaftiert – wir würden von früh bis spät davon lesen und auch die Politiker würden ständig davon sprechen. Ganz anders in Deutschland. Nicht einmal für die Opposition scheint die Causa Ballweg ein Thema zu sein.

PS: Ich kann mir vorstellen, wie belastend das Eingesperrtsein ist – und wie jede Aufmerksamkeit willkommen ist, gerade jetzt im Advent. Daher hier die Koordinaten, unter denen Sie Ballweg eine kleine vorweihnachtliche Freude machen können: 

Michael Ballweg
c/o Justizvollzugsanstalt Stuttgart
Asperger Str. 60
70439  Stuttgart

Während selbst in Russland in vielen Haftanstalten für die Insassen ein Empfang elektronischer Nachrichten möglich ist, ist man in Deutschland dazu leider nicht in der Lage. Ursprünglich stand hier die E-Mail des Gefängnisses, doch Leser, die dorthin schrieben, bekamen folgende Standard-Antwort:
Es handelt sich bei dieser Email-Adresse um eine dienstliche Adresse, die nicht für den Postverkehr mit Gefangenen zur Verfügung steht.
Daher wird die Email nicht an den Gefangenen weitergeleitet.
Es wird gebeten, Gefangene auf dem hierfür vorgesehenen Postweg zu kontaktieren.
Poststelle
JVA Stuttgart
Wenn Sie sich über dieses Vorgehen beschweren wollen, können Sie dafür aber die E-Mail-Adresse der JVA Stammheim verwenden: [email protected]. Vielleicht hilft das, ein zeitgemäßes, ja humaneres Herangehen in Sachen Post zu erwirken.

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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Bild: Michael Ballweg privat

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