Von Kai Rebmann
Der Infektionsepidemiologe Johannes Knobloch ist am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) für den Arbeitsbereich Krankenhaushygiene verantwortlich. Im Interview mit der Welt übte der Experte deutliche Kritik an der FFP2-Maskenpflicht, die in einigen Teilbereichen weiter besteht, und mahnte insgesamt ein Umdenken im Umgang mit dem Coronavirus an. Die Lockerungen im privaten Umfeld kommen für Knobloch zu spät, denn diese „hätten längst beschlossen werden können“. Den Hinweis auf Studien, die die erhöhte Sicherheit von FFP2-Masken gezeigt hätten, und die die Grundlage für politische Entscheidungen gewesen seien, entkräftete Knobloch damit, dass dies nur gelte, wenn die FFP2-Masken korrekt getragen würden. „Mit der Pflicht zur FFP2-Maske müsste konsequenterweise ein Verbot von Gesichtsbehaarung einhergehen, und das wäre natürlich Quatsch“, schildert der Fachmann ein grundlegendes Problem. Er halte FFP2-Masken bei Laien für grundsätzlich ungeeignet. Diese Position sei auch von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene von Anfang an vertreten worden, aber niemand habe zugehört. Viele Menschen würden sich deshalb in falscher Sicherheit wähnen.
Auch die bisher gefahrene Teststrategie wird von dem Epidemiologen kritisch gesehen. Wie zahlreiche weitere Experten hält auch Knobloch die massenhafte Anwendung von Antigen-Tests für wenig sinnvoll, da die aktuell verwendeten Produkte zu spät anschlügen. „Positive sind schon 24 bis 48 Stunden infektiös, bevor ihr Antigen-Test das anzeigt“, erklärte Knobloch gegenüber der Welt. Bei Personen, die der vulnerablen Gruppe angehören und in Gemeinschaftsunterkünften wie etwa Pflegeeinrichtungen leben, schlägt er stattdessen gezielte PCR-Tests vor, was grundsätzlich möglich sei, politisch aber auch gewollt und praktiziert werden müsse. Ähnliches gilt nach Ansicht des UKE-Professors auch für Menschen über 60 Jahre. Eine Erhöhung der Impfquote von 80 Prozent in dieser Personengruppe hat für ihn keine Priorität. Stattdessen halte er es für unbedingt erforderlich, bei den genannten Gruppen auf PCR-Tests umzuschwenken. Er rechne damit, dass bereits im Spätsommer, spätestens aber im Herbst/Winter auch andere respiratorische Viren relevant würden und mit PCR könne man auf mehrere Viren gleichzeitig untersuchen.
Andere Viruserkrankungen rücken in den Vordergrund
Im Gegensatz zu Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dem die Corona-Maßnahmen gar nicht weit genug gehen können und der kürzlich vor neuen „Killervarianten“ im Herbst warnte, blickt der Experte aus Hamburg deutlich entspannter in Richtung Spätjahr. Während das SARS-Corona-Virus im Jahr 2020 auf eine Bevölkerung getroffen sei, die noch nie Kontakt mit diesem Virus hatte, seien inzwischen viele genesen, mehrfach geimpft und geboostert. „Bei der nächsten Welle werden nur wenige schwer erkranken, selbst bei neuen Virusvarianten“, ist sich Knobloch deshalb sicher. Andererseits kämen insbesondere Kinder und Jugendliche nach monatelangem Maskentragen mit manchen anderen Viren zum ersten Mal in Kontakt, weshalb der Professor in den nächsten Monaten mit ungewöhnlichen Influenza- und Norovirus-Wellen rechnet. Man dürfe daher nicht nur auf das Corona-Virus schauen.
Auf den vermeintlichen Widerspruch zwischen der stark sinkenden Zahl an PCR-Labortests und dem gleichzeitig stark gestiegenen Anteil der positiven Testergebnisse angesprochen, hat Knobloch eine durchaus plausible Erklärung parat. Viele würden im Zweifel auf einen Test verzichten, weil sie wüssten, dass sie bei einem positiven PCR-Test zehn Tage lang zu Hause bleiben müssen. Der Epidemiologe sieht in diesem Verhalten auch eine mögliche Erklärung dafür, dass die Zahlen nach Ostern zunächst wieder gestiegen sind. Kurz vor und über die Feiertage hätten sich sehr viel weniger Menschen testen lassen, weil niemand in Quarantäne wollte, wie Knobloch vermutet. Außerdem betonte er, dass er die in Hamburg angewandte Hotspot-Regelung nicht beschlossen hätte und verwies darauf, dass hinsichtlich der Belastung des Gesundheitssystems in der Hansestadt kaum ein Unterschied zu erkennen gewesen sei. Diese sei überall hoch, auch weil das Personal ohnehin schon knapp gewesen sei und man nun einen hohen Krankenstand habe. In diesem Zusammenhang sind wohl auch die Zweifel des Experten an der Aussagekraft des ct-Werts und der Kopienzahl zu sehen. Diese beiden Werte sollten eigentlich die Infektiösität anzeigen, aufgrund der unterschiedlichen Tests in den Laboren sei dies in der Praxis jedoch nur bedingt der Fall. Da diese Frage nicht pauschal zu beantworten sei, hält Knobloch die persönliche Rücksichtnahme für den besseren Weg.
Massenhafte Schnelltests verlängern die Corona-Pandemie
Die Aussagen des UKE-Professors sind eine deutliche Kritik an der Corona-Politik in Bund und Ländern. Bundesländer wie Hamburg oder Mecklenburg-Vorpommern hatten sich der Hotspot-Regelung bedient, um die Corona-Maßnahmen nochmal bis Ende April zu verlängern. Bemerkenswert sind auch die Aussagen über die insbesondere durch einen hohen Krankenstand beim Personal bedingte starke Belastung des Gesundheitssystems. Mehr als zwei Jahre Corona-Politik mit oft fragwürdigen Maßnahmen, etwa anlasslosen Antigen-Schnelltests, haben dazu geführt, dass jeder positiv Getestete als „krank“ galt und gilt – völlig unabhängig davon, ob und welche Symptome er tatsächlich spürte. Ein Festhalten an dieser sinnbefreiten Teststrategie, wenn man denn überhaupt von einer „Strategie“ sprechen möchte, hält die Bürger in einer Corona-Endlosschleife gefangen. Nur eine Rückkehr zur individuellen Eigenverantwortung und der persönlichen Rücksichtnahme wird den Menschen in Deutschland und anderswo den Weg zurück in die Normalität ebnen.
Umso wichtiger ist es, dass namhafte Experten wie Johannes Knobloch darauf hinweisen, dass die Corona-Maßnahmen zumindest in einigen Teilbereichen sogar kontraproduktiv gewirkt haben, zum Beispiel beim Aufbau einer natürlichen Immunität bei Kindern und Jugendlichen gegen andere Viren. Es ist entlarvend, wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach versucht, die gesetzlich vorgeschriebene Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen zu blockieren und sein Hof-Virologe sich in diesem Zusammenhang aus dem Staub macht. Christian Drosten war in wesentlichen Teilen für die Einschränkung der Freiheitsrechte der deutschen Bürger verantwortlich und hätte den Sinn oder Unsinn dieser Politik am liebsten selbst evaluiert. Erst die deutliche Kritik von FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki an diesem intransparenten Vorgehen hat Drosten in der vergangenen Woche zum Rücktritt aus dem Sachverständigenrat der Bundesregierung gezwungen.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: nitpicker / ShutterstockText: kr
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