Ein Gastbeitrag von Roland Wiesendanger
Seit im Jahr 2011 zwei Forschungsgruppen gezeigt haben, dass durch biotechnologische Experimente Vogelgrippeerreger die Fähigkeit zur Übertragung zwischen Säugetieren über die Luft, d.h. ohne Mithilfe eines Zwischenwirtstieres, erlangen können und damit laut eigener Aussage der Forscher ein zuvor nichtexistierendes Risiko für eine Pandemie beim Menschen aufgezeigt wurde, ist ein heftiger Streit in der Wissenschaft – und weit darüber hinaus – über die Legitimation solcher Forschung entbrannt.
Diese hochproblematischen Gain-of-function-Experimente, bei denen natürlich vorkommende Erreger für den Menschen gefährlicher, übertragbarer und letztlich pandemiefähig gemacht werden, wurden aus öffentlichen Steuergeldern, u.a. durch Anthony Fauci von den National Institutes of Health in den USA, mitfinanziert. Dieser äußerte 2012 die Ansicht, „dass der Nutzen solcher Experimente und die daraus resultierenden Erkenntnisse die Risiken überwiegen“. Diese Auffassung vertraten schon damals längst nicht alle Wissenschaftler und Politiker, sodass es nach heftigen Debatten schließlich 2014 zu einem Moratorium der öffentlichen Finanzierung solcher hochriskanten virologischen Experimente in den USA unter der Obama-Administration kam.
Sehr wirksam war dieses Moratorium jedoch nicht, da Anthony Fauci diese hochriskanten Experimente verstärkt ins Ausland verlagern ließ. Unter anderem nach Wuhan, wo in enger Kooperation zwischen US-Wissenschaftlern und chinesischen Kooperationspartnern speziell Sars-artige Coronaviren durch Gain-of-function-Experimente an menschliche Zellrezeptoren angepasst sowie eine leichte Mensch-zu-Mensch-Übertragbarkeit durch Einbau einer sogenannten Furin-Spaltstelle in das Genom von Sars-artigen Coronaviren herbeigeführt wurden. Dies ist in zahlreichen wissenschaftlichen Fachpublikationen und zudem durch öffentlich gemachte Forschungsanträge im Detail dokumentiert. Es wurden jedoch auch Gain-of-function-Experimente mit vielen anderen Erregern, darunter auch die unlängst allgemein bekannt gewordenen Affenpocken-Erreger, staatlich gefördert.
Dann brach die Covid-19-Pandemie quasi vor der Haustüre desjenigen Forschungsinstituts in Wuhan aus, welches die weltweit größte Sammlung an Sars-artigen Erregern besaß, inklusiv lebender Fledermäuse als natürliches Reservoir solcher Erreger. Die Forscher dort hatten jahrelang hochrisikoreiche Gain-of-function-Experimente mit Sars-artigen Coronaviren durchgeführt. Somit lag der Verdacht nahe, dass die Pandemie gerade in diesem Forschungsinstitut ihren Anfang genommen haben könnte.
Diese Vermutung wurde gestärkt durch nicht weniger als sieben außergewöhnliche Merkmale der Gensequenz des Sars-CoV-2-Virus, welche in natürlich vorkommenden Sars-artigen Coronaviren derselben Untergattung nicht zu finden sind. Hierzu gehört auch die oben bereits erwähnte Furin-Spaltstelle, die laut eines Forschungsantrags aus dem Jahr 2018 gerade in diesem virologischen Institut in Wuhan in Sars-artige Coronaviren eingebaut werden sollte, um das „Pandemie-Potenzial“ solch künstlich veränderter Coronaviren aufzuzeigen. Die detaillierte Anleitung, wie dies geschehen sollte, ist in frappierender Übereinstimmung mit Signaturen, die von einer internationalen Forschergruppe mittlerweile bei Sars-CoV-2 nachgewiesen werden konnten.
Laborursprung-These: in Deutschland ignoriert, in den USA untersucht
Während in Deutschland die überwältigende Zahl an Indizien für einen Laborursprung des Sars-CoV-2-Virus im Verlauf der letzten vier Jahre entweder ignoriert oder Aussagen hierzu aktiv und teilweise in diffamierender Weise bekämpft wurden, hat man diese wichtige Thematik in den USA im Rahmen mehrerer Untersuchungsausschüsse sowohl des US-Repräsentantenhauses als auch des US-Senats aufgegriffen. Im Rahmen öffentlicher Anhörungen wurden relevante Personen aus der Wissenschaft, aus Forschungsförderinstitutionen, dem Gesundheitswesen, der Politik und sogar der US-Geheimdienste unter Eid befragt.
So hat etwa Dr. Steven Quay, Berater der US-amerikanischen Regierung in Fragen des Ursprungs der Covid-19-Pandemie, diesen Sommer im Rahmen einer Anhörung in einem Untersuchungsausschuss des US-Senats Folgendes ausgesagt: „Das Genom von Sars-CoV-2 weist sieben Merkmale auf, die man bei einem im Labor hergestellten Virus erwarten würde und die bei Sars-artigen Viren aus der Natur nicht vorkommen. Die statistische Wahrscheinlichkeit, jedes einzelne Merkmal in der Natur zu finden, kann bestimmt werden, und die kombinierte Wahrscheinlichkeit, dass Sars-CoV-2 aus der Natur stammt, beträgt weniger als 1:1,2 Milliarden.“ Dr. Quay war es auch, der eindeutige Hinweise auf hochrisikoreiche Experimente mit sehr viel tödlicheren Nipah-Viren am gleichen virologischen Institut in Wuhan gefunden hat. Nur am Rande sei hier darauf verwiesen, dass die unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen des Instituts bereits seit 2018 Anlass zu internationaler Besorgnis gegeben haben.
Die US-amerikanischen Behörden haben dieses Jahr nicht nur die weitere Forschungsförderung für das Wuhan Institut für Virologie, sondern auch für die Nichtregierungsorganisation Eco Health Alliance, welche die hochrisikoreichen Experimente von US-amerikanischer Seite zu verantworten hatte, ausgesetzt. Viel wichtiger ist jedoch, dass die problematische Gain-of-function-Forschung mit pandemiefähigen Erregern insgesamt wieder auf höchster politischer Ebene auf den Prüfstand kam und sich gerade in den letzten Tagen der Ausschuss für Innere Sicherheit und Regierungsangelegenheiten des US-Senats mit überwältigender Mehrheit für ein neues Gesetz zur Überprüfung riskanter Forschung mit pandemiefähigen Erregern (Risky Research Review Act) ausgesprochen hat. Der Gesetzentwurf sieht u.a. vor, dass ein unabhängiges Gremium eingerichtet werden soll, welches die Gain-of-Function-Forschung und andere risikoreiche Biowissenschaftsforschung, die möglicherweise eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit, Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt, beaufsichtigt. Dieser Gesetzentwurf wurde von Vertretern beider politischen Parteien in den USA, den Demokraten und Republikanern, mitgetragen, verbunden mit einer klaren Botschaft: Die Ära der ungebremsten hochriskanten Forschung geht zu Ende!
Bemerkenswert sind die Kommentare von namhaften Persönlichkeiten wie dem ehemaligen Direktor der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (U.S. Department of Health and Human Services), Dr. Robert Redfield, selbst ein promovierter Virologe: Dieses Gesetz „wird sicherstellen, dass die nationale Sicherheit bei Finanzierungsentscheidungen für die Biowissenschaften in den USA Vorrang hat. Hätten wir diesen Gesetzentwurf schon vor zehn Jahren in Kraft gesetzt, hätten wir die Covid-Pandemie verhindern können“.
Simon Wain-Hobson, international hoch angesehener Professor für Virologie des berühmten Pasteur-Instituts in Paris, kommentierte: „Im 21. Jahrhundert sind neuartige menschliche Krankheitserreger künstlich erzeugt worden, von denen man annimmt, dass sie eine Pandemie auslösen können, oder es sind bereits ausgestorbene Viren, wie die der Spanischen Grippe, rekonstruiert worden. Der Nutzen dieser Arbeit wurde stark überschätzt, während gleichzeitig die Risiken unterschätzt wurden. Die Selbstverwaltung ist gescheitert.“
Und schließlich kommentierte Jay Bhattacharya, Professor für Gesundheitspolitik der Stanford Universität: „Der Risky Research Review Act ist ein großer Schritt vorwärts in Richtung des Ziels, das amerikanische Volk vor Wissenschaftlern zu schützen, die gefährliche Experimente durchführen … [Damit] haben Wissenschaftler keinen Freibrief mehr, sich selbst zu regulieren und solche Experimente zu genehmigen. Es ist längst an der Zeit, dass die Menschen, welche die Arbeit der Wissenschaftler bezahlen, ein Mitspracherecht bei den Risiken haben, die diese Wissenschaftler im Namen der Menschheit eingehen.“
Wie sieht die Situation in Deutschland aus?
Bemerkenswert ist ferner, dass einzelne US-Bundesstaaten bereits zuvor eine Initiative für ein Verbot der hochrisikoreichen Gain-of-function-Forschung mit pandemiefähigen Erregern gestartet hatten.
Doch wie sieht die Situation in Europa und speziell in Deutschland aus? Bereits im Februar 2022 riefen rund 50 internationale Wissenschaftler im Rahmen der „Hamburger Erklärung 2022“ zur weltweiten Beendigung der hochrisikoreichen Gain-of-function-Forschung an Krankheitserregern mit weltweitem Pandemie-Potenzial auf. Während diese Erklärung Einfluss auf die jüngsten Entwicklungen in den USA hatte, wird dieses bedeutsame Thema in Deutschland weitgehend ignoriert oder das immense Gesundheitsrisiko für die eigene Bevölkerung unterschätzt.
So äußerte sich die deutsche Bundesregierung Ende 2021 wie folgt: „Nach Ansicht der Bundesregierung sind Gain-of-function- oder auch Loss-of-function-Experimente wichtige Instrumente der biomedizinischen Forschung; unter anderem, um die Eigenschaften von Erregern und Möglichkeiten ihrer Bekämpfung zu erforschen. Solche Untersuchungen finden auch in Deutschland (darunter auch an der Charité, Berlin) statt.“
Bedenklich dabei ist, dass man auf nationaler Ebene keinerlei Risiken erkennen kann oder will, wenn mitten in Berlin hochrisikoreiche Gain-of-function-Experimente, u.a. mit Mers-Coronaviren, welche für den Menschen deutlich gefährlicher als Sars-Viren sind, durchgeführt werden, während man auf internationaler Ebene die Tatsache, dass solche hochproblematischen virologischen Experimente im Zentrum der Stadt Wuhan – einer 11-Millionen-Einwohner-Metropole – durchgeführt wurden, mittlerweile als großen Fehler ansieht.
Auch die Mitfinanzierung hoch risikoreicher virologischer Forschung vonseiten deutscher Förderorganisationen – insbesondere bei deren Durchführung mit Kooperationspartnern in anderen Ländern mit niedrigeren Sicherheitsstandards – muss hinterfragt werden und auf den Prüfstand kommen.
Zumindest in den USA sieht man es mittlerweile als notwendig an, das Risiko virologischer Forschung nicht durch die Wissenschaftler, die diese Forschung selbst betreiben möchten, und auch nicht durch die Forschungsförderorganisationen, sondern durch eine unabhängige Kontrollinstanz beurteilen zu lassen. Dabei wäre es wünschenswert, wenn die berechtigten Interessen der Gesellschaft, die solche Experimente über öffentliche Steuergelder finanziert, angemessen Berücksichtigung finden würden.
Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er erschien zuerst in der Berliner Zeitung.
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Roland Wiesendanger ist Physik-Professor an der Universität Hamburg sowie Ehrendoktor der Technischen Universität Posen. Er ist Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Wissenschaftsakademien, darunter auch der beiden nationalen Akademien „Leopoldina“ und „acatech“. Er ist ferner Fellow mehrerer internationaler Wissenschaftsorganisationen und ist durch über sechshundert wissenschaftliche Publikationen sowie über sechshundert wissenschaftliche Vorträge in verschiedenen Wissenschaftsbereichen weltweit bekannt und vernetzt.
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