Von Kai Rebmann
Es waren unfassbare Szenen, die sich am Dienstag im Kanzleramt abgespielt haben. Der nicht erst seit gestern als Holocaust-Leugner bekannte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas teilte der versammelten Weltpresse seine antisemitischen Ansichten mit und sprach von 50 Holocausts, die Israel seit dem Jahr 1947 an den Arabern verübt hätte. Zuvor war Abbas gefragt worden, ob er anlässlich des 50. Jahrestags des Olympia-Attentats von München vorhabe, sich bei den Hinterbliebenen zu entschuldigen. Während die Medien diese Relativierung des Massenmords an Millionen von Juden während des Zweiten Weltkriegs völlig zu Recht als Eklat verurteilten, wurde der eigentliche Skandal aber unter den Teppich gekehrt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ seinen Gast während dessen Rede nicht nur gewähren, sondern schwieg auch anschließend noch dazu und ließ die Pressekonferenz für beendet erklären.
Anstatt den deutschen Regierungschef für dieses offensichtliche Wegducken zu kritisieren, lobte zum Beispiel der Bayerische Rundfunk den Kanzler dafür, „im Nachgang“ deutliche Worte gefunden zu haben. „Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel“, ließ sich Scholz von dem gebührenfinanzierten Sender zitieren. Warum hat der Kanzler diesen Satz dem Palästinenserpräsidenten nicht direkt ins Gesicht gesagt? Es ist natürlich sehr viel einfacher und erfordert allenfalls Gratismut, „im Nachgang“, wenn das Gegenüber sich längst aus dem Staub gemacht hat, irgendwelche Fensterreden zu halten. Ein Zeichen von Stärke wäre es gewesen, den Holocaust-Leugner Abbas noch auf dem Podium zu stellen, doch dazu fehlte dem „Scholzomaten“, den sein Schweigen zu wirklich wichtigen Fragen im vergangenen Jahr schon ins Kanzleramt gespült hat, ganz offensichtlich der Mut.
Regierungstreue Journalisten wollen Publikum für dumm verkaufen
Natürlich waren die antisemitischen Äußerungen von Mahmud Abbas zu ungeheuerlich, als dass man sie einfach so im Raum hätte stehen lassen können. Und deshalb musste rasch eine halbwegs plausible Erklärung her, warum der Kanzler diese in seinem Haus ausgesprochenen Worte unkommentiert gelassen hat. In den Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF wurde über das Schweigen von Olaf Scholz zunächst überhaupt nicht berichtet, später einigte man sich offenbar auf die Sprachregelung, Regierungssprecher Steffen Hebestreit habe die Pressekonferenz eigenmächtig beendet, noch ehe der Bundeskanzler etwas habe erwidern können. Auf der Homepage von BR24 heißt es dazu: „Scholz verfolgte die Äußerungen mit versteinerter Miene, sichtlich verärgert und machte auch Anstalten, sie zu erwidern, berichteten Reporter der Nachrichtenagentur dpa. Scholz‘ Sprecher Steffen Hebestreit hatte die Pressekonferenz aber unmittelbar nach der Antwort Abbas‘ für beendet erklärt.“
Welt-Journalist Robin Alexander hatte das Schweigen des Bundeskanzlers zunächst noch kritisiert, besann sich dann aber eines Schlechteren und schloss sich kurzerhand der Darstellung der ÖRR-Sender an. Via Twitter setzte Alexander zum Zurückrudern an und stellte fest, dass Olaf Scholz „den Knopf aus dem Ohr“ nimmt. Es sei jedoch „unklar“ und „nicht eindeutig“, ob der Kanzler den Knopf aus dem Ohr genommen habe, um seinem Sprecher damit das Ende der Pressekonferenz zu signalisieren oder ob er habe antworten wollen, dabei aber „abgeschnitten“ worden sei. Wie bitte? Soll das Volk für dumm verkauft werden und ernsthaft glauben, dass sich ein deutscher Bundeskanzler in seinen eigenen vier Wänden von seinem Sprecher das Wort verbieten lassen würde, wenn es ihm ein Anliegen gewesen wäre, sich zu einer Holocaust-Leugnung im eigenen Haus zu äußern? Oder fürchtete Alexander Robin einfach nur, bei Einladungen zu Talkshows künftig nicht mehr so häufig berücksichtigt zu werden, wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen war? Die bequemen Sessel bei Anne Will, Sandra Maischberger und Co. sind bekanntlich rar gesät, und man will es sich bei den Hofberichterstattern mit allzu offener Kritik an der Regierung schließlich nicht verscherzen.
Kanzleramt spricht von Missverständnis
Und auch das Kanzleramt hatte in den Stunden nach dem lauten Schweigen seines Chefs alle Hände voll zu tun, den Skandal kleinzureden. Gegenüber Bild erklärte eine Regierungssprecherin: „Bevor der Kanzler diesem ungeheuerlichen Satz widersprechen konnte, hatte der Regierungssprecher die Pressekonferenz schon – wie üblich nach dem letzten Frage-/Antwort-Block abmoderiert – was Scholz sichtlich verärgerte. Daraufhin teilte der Regierungssprecher den noch anwesenden Journalisten, denen die Verärgerung des Kanzlers nicht entgangen war, mit, wie empört der Kanzler über die Aussage war und auch darüber, dass er keine Gelegenheit hatte, ein weiteres Mal offen zu widersprechen.“
Sichtliche Verärgerung? Ein empörter Kanzler? All das hat außer den eigenen Mitarbeitern und regierungstreuen Journalisten bei Olaf Scholz eben niemand ausmachen können. Hier eine kleine, aber bei weitem nicht vollständige Auswahl an Kommentaren auf Twitter:
Die Regierungsmedien melden brav: Der Kanzler konnte nichts dafür, der allmächtige Sprecher war‘s. https://t.co/dCl6ogOyaz
— Julian Reichelt (@jreichelt) August 16, 2022
Wenn der Regierungssprecher den Regierungschef in so einem Moment einfach abmoderieren kann, sollten die beiden vielleicht die Jobs tauschen. #Abbas #Scholz
— Nikolaus Blome (@NikolausBlome) August 17, 2022
Ein deutscher #Bundeskanzler muss die Größe besitzen, einer Holocaustrelativierung sofort & entschieden zu widersprechen. Ob das Ende der #PK nun mit dem #Regierungssprecher abgesprochen war oder nicht: Er sollte sich nicht hinter diesem verstecken. #Verantwortung #Abbas #Scholz https://t.co/GJDg3H1U9a
— Liberaler Freigeist (@micliberal) August 17, 2022
Deutschland ist die parlamentarische Vorzeigedemokratie, wo der Regierungssprecher entscheidet, ob der #Kanzler noch was sagt.#Kanzleramt #Scholz #Abbas
— Mario Mieruch Ⓜ️ (@MieruchMario) August 17, 2022
Hier geht es zum Video, so dass sich jeder selbst eine Meinung dazu bilden kann, ob der Kanzler den Eindruck erweckt, dass er noch etwas auf die Abbas-Äußerung habe entgegnen wollen. Olaf Scholz gibt seinem Gast beim Verlassen des Podiums sogar noch die Hand und bedankt sich damit offenbar für den gemeinsamen Auftritt. Man kann das wohlwollend als Akt der Höflichkeit auslegen, man kann es aber auch als feiges Wegducken kritisieren.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: 360b / ShutterstockText: kr
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