Von Matthias Heitmann
Man könnte es sich leicht machen und das Ganze wie ein modernes Märchen aussehen lassen: Es war einmal ein Herzog mit roten Haaren, der floh mit seiner Angetrauten aus dem alten Königspalast und verzichtete auf allerlei Annehmlichkeiten, um ein neues Leben in Freiheit und Demut zu führen. Im Land der Freiheit nahm man die beiden liebevoll auf. Die beiden Entflohenen erzählten den Menschen von ihrem fürchterlichen Schicksal als Gefangene der Krone und aus Mitleid gab man ihnen zu essen und zu trinken sowie ein Obdach. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Doch wer auch nur einige Passagen des Gesprächs des britischen Herzogs Harry und seiner Gattin Meghan Markle mit der US-amerikanischen Königin des Establishment-Talks Oprah Winfrey bei klarem Verstand gesehen hat, dem muss eigentlich schlecht geworden sein. Zumindest mir ging es so. Da saß ein junges Herzogenpaar vor einer luxuriösen Villa einem milliardenschweren TV-Star gegenüber und klagte vor laufenden Kameras sein Leid über das bisherige Leben als gefangene Mitglieder der britischen Königsfamilie und darüber, wie unterdrückt man sich in den letzten Jahren gefühlt hatte.
Während ihrer Schwangerschaft habe sie sogar Selbstmordgedanken gehabt, berichtete die Herzogin tief ergriffen, während sie ihr nicht minder tief ausgeschnittenes Designerkleid zurechtzupfte – und das alles vor den Augen der Öffentlichkeit eines Landes, in dem aufgrund seiner Anti-Corona-Politik 40 Millionen Menschen ihre Jobs verloren haben. Ebenso wie die muss sich nun auch das herzögliche Paar ein neues Leben aufbauen – wenngleich es letzteren doch ein bisschen leichter fallen sollte: Nur wenige Arbeitslose verdienen mit belanglosen Podcasts über ihr Privatleben Millionen.
Die Inszenierung konnte grotesker kaum werden. Und sie wurde es doch, als die beiden Leidgeplagten und Ausgebeuteten die aufdringlichen Medien als die eigentlichen Schuldigen ihres nicht lebenswerten Daseins ausmachten. Die mediale „Monstermaschine“ habe ihr Privatleben zerstört – das sie nun endlich wieder zurückhaben wollten, wie sie vor einem Millionenpublikum in die Kameras winselten. Und sofort wurde einem bewusst, wie widerwillig Meghan eben gerade noch ihre Selbstmordabsichten ausgeplaudert hatte – oder war es doch eher freiwillig? Egal, Adeligen widerspricht man nicht, schon gar nicht freiwillig einheiratenden früheren US-amerikanischen Schauspielerinnen, denen nichts, nicht einmal eine Fehlgeburt, zu privat und zu heilig war, um es der Öffentlichkeit vorzuenthalten.
Ob derlei unsägliche Interviews der britischen Monarchie schaden, ist mir als republikanischem, antimonarchistischem und antiautoritärem Freiheitsverfechter zutiefst schnuppe. Sie tun es bestimmt. Und dennoch muss ich gestehen, dass ich bei so viel widerwärtiger Doppelzüngigkeit und Heuchelei fast ein wenig Mitleid mit Queen Elizabeth II. bekomme, die den medialen Dolchstoß ihres Enkels physisch gespürt haben musste. Möglicherweise werden die Erschütterungen für die britische Monarchie noch stärker werden als die nach dem Tode von Harrys Mutter, Prinzessin Diana, im Jahr 1997. Nach der „Königin der Herzen“ ist es nun also eine neue königliche Doppelspitze der globalen Opferkultur, die die traditionellen monarchischen Werte in scheinbar aufgeklärter Gesinnung zur Guillotine führt.
Aggressive Attacken auf die Medienlandschaft
Tatsächlich ist an dieser Mischung aus Opferkult und Identitätspolitik, die hier von Harry und Meghan aufgeführt wird, nichts Aufgeklärtes, nichts Demokratisches und auch nichts Zukunftsweisendes. Ein Jahr nach ihrem Rückzug in die USA kann das Interview mit Oprah Winfrey nun als eine Art Krönungszeremonie für eine Neo-Aristokratie interpretiert werden, die sich an moderne kulturelle Hegemonien richtet und sich von einer Oberschicht aus Vertretern von Facebook, Netflix, Hollywood und Silicon Valley beklatschen und auch fürstlich bezahlen lässt. Dass dies vom liberalen US-amerikanischen Establishment goutiert wird, macht die Sache noch schlimmer, kommen doch von dort nicht minder aggressive Attacken auf die Medienlandschaft sowie auf all jene, die angesichts von so viel Heuchelei keine Lust haben, sich dem Diktat der Reichen, Schönen und angeblich Bessermeinenden zu beugen.
Diese vermeintliche Palastrevolte ist keine, im Gegenteil. Während die Macht der britischen Krone über Jahrhunderte durch das demokratische System gebändigt und die Monarchie zu einer repräsentativen Hülle degradiert wurde, hält sich der neu-authentische und para-progressive Gefühls-Feudalismus mit Angriffen auf die Demokratie schon lange nicht mehr zurück. Im Gegenteil: Der Aufstieg der Mimimi-Monarchen führt über die Ruinen der zunehmend morschen demokratischen Kultur. Es wird höchste Zeit für eine prinzipielle und prinzenfreie Erneuerung – und für eine neue Marseillaise.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Matthias Heitmann (Jahrgang 1971) ist freier Journalist, Buchautor und Kabarettist. Von ihm sind u.a. erschienen: „Zeitgeisterjagd. Auf Safari durch das Dickicht des modernen politischen Denkens“ (2015), „Zeitgeisterjagd spezial: Essays gegen enges Denken“ (2017) und „Schöne Aussichten. Die Welt anders sehen“ (2019). Zudem geistert er als „Zeitgeisterjäger FreiHeitmann“ mit eigenen Soloprogrammen über Kleinkunst- und Kabarettbühnen. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de. Sein Podcast „FreiHeitmanns Befreiungsschlag“ erscheint regelmäßig auf www.reitschuster.de.
Bild: Sarnia/Shutterstock
Text: Gast
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