Von Alexander Wallasch
Wer wird nach dem 26. September 2021 in der Lage sein, den Absturz dieses Landes noch zu wenden? Wer könnte geeignet sein, die Merkel-Gräben zu schließen, um die Menschen endlich wieder miteinander zu versöhnen? Die Bundeskanzlerin wird in einigen Monaten aller Voraussicht nach nicht mehr im Amt sein und also auch kein weiteres Unheil mehr anstellen können. Zugegeben, der Prozess kann sich hinziehen. Aber die Tatsache, dass ihr politisches Ende trotzdem nicht mehr weit ist, taugt als Beruhigung wenig. Der Schaden ist einfach zu groß.
Nach dem Aufwachen aus diesem sechzehnjährigen Merkel-Koma wird sich der eine oder andere zunächst einmal verwundert die Augen reiben, dass Angela Merkel sich wohin auch immer zurückziehen kann, ohne dass die Verwerfungen ihrer Politik in irgendeiner Weise geahndet werden. Das wird die erste Kröte sein, die zu schlucken ist.
Und die verwaisten etablierten Merkel-Medien müssen lernen, mit dieser großen Leere umzugehen, können sich allenfalls noch darüber hinwegtrösten, indem sie alles dafür tun, den Heiligenschein ihrer Hochverehrten zu putzen mit der schon jetzt irrwitzigen Idee, der Glanz könne womöglich dieses katastrophale Versagen der Medien selbst überstrahlen.
Aber das ist schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es wieder devote Ausreißer geben wird, die den umgedrehten Weg gehen, indem sie Abbitte leisten. Der Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Lorenzo, wählte diesen Ausweg, als er sich vor vier Jahren für das Versagen seiner Zunft umfassend entschuldigte, indem er das Offenhalten der Grenzen 2015 „eine historische Panne“ nannte und den „beseelten“ Medien die Schuld an den dann folgenden Verwerfungen gab:
„Die Folgen sind bis heute zu spüren: Es gab eine beispiellose Vergiftung der Gesellschaft und einen Vertrauensverlust gegenüber den Eliten und den im Bundestag vertretenen Parteien.“
Ob ihm dieses umfassende Bekenntnis mittlerweile leid tut, soll heute vollkommen gleich sein. Noch ein weiterer Grabenbauer, der lieber den Weg der Abbitte nahm, ist der Fernsehmann Kai Gniffke. Ironischerweise war sein Sprung in den Beichtstuhl begleitet von einem persönlichen Aufstieg Ende 2019 zum hochdotierten Intendanten des via Zwangsgebühren finanzierten Südwestrundfunks.
Abbitte auf den Knien
Aber auch das soll hier nebensächlich sein. Denn interessanter ist, dass Gniffke zuvor Chef der Tagesthemen und der Tagesschau war und auf dem Sprung die Karriereleiter hinauf gewissermaßen auf den Knien Abbitte leistete dafür, dass seine öffentlich-rechtliche Redaktion in dieser Zeit einen „gewissen missionarischen Eifer“ an den Tag gelegt hätte, als die AfD größer wurde. Absichtsvoll hätte man unter anderem daran gearbeitet, die Partei als „rechtspopulistisch“ darzustellen. Und Gniffke forderte zudem bezogen auf die Einladungspolitik der vier großen öffentlich-rechtlichen Talkshows: „Wenn wir anfangen zu unterscheiden, wer bei uns auftreten darf und wer nicht, kommen wir argumentativ ganz schnell in den Wald.“
Zwei von vielleicht noch ein paar wenigen Abbitte-Kandidaten mehr – freilich, ohne dass sich anschließend in den etablierten Berichterstattungen spürbar etwas geändert hätte. Und damit sind wir gerade einmal bei zwei Prominenten und ihren dann doch recht kläglichen Aufarbeitungsversuchen bezüglich der illegalen Massenzuwanderung angekommen.
Auf die vom Chefredakteur der Zeit als „beispiellose Vergiftung der Gesellschaft“ bezeichnete Schuld folgte leider mit der Corona-Politik der Bundesregierung und den Diffamierungskampagnen der öffentlich-rechtlichen und privaten Medien der Versuch, die von di Lorenzo beschriebene Vergiftung der Gesellschaft noch auf die Spitze zu treiben und nicht nur Einheimische gegen Zuwanderer, sondern Ost gegen West, Mann gegen Frau und Alt gegen Jung aufzuhetzen.
Die Alt-Medien werden sich also nach dem Abgang von Merkel mutmaßlich in zwei ungleich verteilte Lager spalten: Jene, die den Merkel-Schrein polieren und solche, die lieber Abbitte leisten und das nächste verfügbare Pferd satteln. Gut zu beobachten übrigens in der Chronologie der Bild-Zeitung und weiterer Springer-Medien, die mehr oder weniger geschickt versuchen, vom Refugees-Welcome-Aufkleber der Bild-Zeitung zum Zuwanderungskritiker und neuerdings sogar zum Kritiker der Corona-Maßnahmen der Bundesregierung zu konvertieren – Welt-Chef Ulf Poschardt twitterte wochenlang fast nichts anderes als Einsatzglossen über Annalena Baerbock, als hätte es die grüne Phase seines so verlustreich durch die Jahre gekommenen Blattes nie gegeben.
Persönliches Heil in Ab- und Umkehr
Das große Wehklagen dieser von Merkel alleingelassenen Medienmacher wird ziemlich schaurig klingen. Und es wird auch begleitet sein von noch mehr Hass und Hetze dieser ehemaligen Journalisten und wenigen Kniefällen solcher Medienmacher, die in der Ab- bzw. Umkehr doch noch so etwas wie ihr persönliches Heil erkennen mögen.
Aber was dann? Wer könnten die Vernünftigen sein, die in dieser frühen Nach-Merkel-Ära sich ein Herz fassen und die Geschicke dieses Landes wieder in die Hand nehmen, die den Gaul gewissermaßen am Schopf des Reiters packend selbst aus diesem Sumpf ziehen? Taugen die vielen Mitläufer der Merkel-Ära tatsächlich für die Aufräumarbeiten oder muss das Räumkommando ganz neu aufgestellt werden aus echten Oppositionellen, so sich noch welche fänden?
Eindrucksvoll übrigens sind hier die vielen heimlichen Oppositionellen, die auf den letzten Merkelmetern ihr Coming-out feiern und so noch den Eindruck erwecken wollen, sie ständen schon immer in einer gewissen Distanz zur Durchlaucht. Aber auch hier müssen es dann so aufrichtige Deutsche aus der Provinz richten wie der aufrechte Bürgermeister Helmut Lussi aus dem überfluteten Schuld (Ahr), der es wagte, Merkel etwas über Überschwemmungen zu erzählen, die es auch ohne Klimakatastrophe schon gab, der darauf hinwies, als die Bundeskanzlerin in selbstgefälliger Geste gerade die Zerstörung von Schuld wegwischen und lieber über die Folgen der Klimakatastrophe für die ganze Welt fabulieren wollte.
Aber Bürgermeister Lussi wird das Land nicht aufrichten können – so sehr man auch sicher sein könnte, dass er in höherer Position jedenfalls nicht an der planvollen Fortführung der Zerstörung der Werte dieses Landes weiter mitarbeiten würde.
Korrumpierte Persönlichkeiten
Kann beispielsweise Hans-Georg Maaßen (Ex-Verfassungsschutzpräsident, Wahlkreiskandidat der CDU) so ein Vernünftiger sein? Man möchte es ihm wünschen, aber wie soll so eine Erneuerung innerhalb der CDU funktionieren, die selbstredend vor einer Erneuerung des Landes passieren müsste? Das große Dilemma ist tatsächlich diese erfolgreiche, schleichende Ausdünnung des Landes an befähigten, sich nicht im System Merkel korrumpierten Persönlichkeiten in Politik und Medien.
Ja, es gibt eine Opposition im Land. Aber dieses Deutschland nach Merkel ist so stark verunsichert, dass es für eine Erneuerung einer großen Wende bedarf. Die Menschen sind geradezu ausgehungert. So viele Bürger haben sich den neuen Medien zugewandt. Der Erfolg von reitschuster.de und weiterer oppositioneller Portale ist beispiellos. Und ihr Einfluss ist jetzt schon viel größer, als es viele der Etablierten wahrhaben wollen – wer nur kritisch genug schaut, erkennt, dass es neben Abbitte und dem Putzen des Merkelheiligenscheins auch noch eine ganze Reihe von Plagiaten gibt – die neuen Medien wirken auch dort, wo sie vermeintlich geschnitten werden.
Um die verwaisten Merkel-Medien nach Merkel muss einem also nicht bange sein. Nach Merkels Abgang wird das Werben der Altmedien um Journalisten aus den Reihen der neuen Medien beginnen oder sie werden um eine friedliche Koexistenz bitten – die Diffamierungen werden sogar langsam zurückgehen und dann wird es alleine an der oppositionellen Presse liegen, verzeihen zu können, den Handschlag von jenen anzunehmen, denen über Jahre hinweg fast jedes denunziatorische Mittel recht war, den Journalismus zu verteufeln, der sich noch als vierte Gewalt, also zunächst einmal ganz selbstverständlich als Opposition gegen die Merkel-Regierung versteht.
Unbändiger Freiheitsdrang
Das ist die mediale Ebene – aber wer sollen auf politischer und auch auf kultureller Ebene die Vernünftigen sein? Auf kultureller Ebene muss einem nicht bange sein. Dem Künstler innewohnend ist sein unbändiger Freiheitsdrang – langfristig kann man diesen Drang nicht endlos weg subventionieren, Nena und Co sind nur die Vorboten eines großen Stühlerückens, eines Abrückens der Kulturschaffenden als Vollzugsclowns von Regierungsmaßnahmen – so eine politische Pervertierung der Kultur ist immer endlich.
Geradezu erschreckend allerdings das Bild der Politik – der desolate Zustand der etablierten Parteien scheint irreparabel. Festmachen lässt sich das recht gut am Beispiel des Bundesvorsitzenden der FDP: Christian Lindner ist im Wahlkampf quasi von der Bildfläche verschwunden. Er findet schlicht nicht statt. Und das aus Kalkül.
Noch im Wahlkampf 2017 hatte Lindner den Wiedereinzug der FDP in den Bundestag nur deshalb geschafft, weil er sich als so etwas wie einen Oppositionellen gegen die Merkel-Regierung verkaufte. Um dann allerdings fast vier Jahre lang Opposition nur gegen den Oppositionsführer AfD zu betreiben und sich ansonsten der Union als Partner ab 2021 anzudienen. Einer Union, die allerdings längst von Merkel an die Grünen verramscht wurden, beinahe schon so, als wäre das nun die Retourkutsche dafür, dass sich Lindner 2017 nicht zu ihr und den Grünen ins Jamaica-Bett legen wollte.
Die Vernünftigen sind in der Politik heute leider rar gesät. Und Christian Lindner und seine FDP gehören sicher nicht dazu. Dennoch steigt er in der Gunst der Wähler, weil Lindner abgetaucht ist und Wolfgang Kubicki mit seinem Bonus als Vizepräsident des Deutschen Bundestags für ihn Schatten boxt. Was für ein Missverständnis: Die FDP wird wieder von mehr Wählern als vernünftig betrachtet, weil sie eine Legislatur quasi komplett abgetaucht ist. Ist Abtauchen die neue Vernunft nach sechzehn Jahren Merkel?
In der Politik sind die Vernünftigen unter Merkel Mangelware. Oder sie sind opportunistische Profiteure (Systemlinge) geworden, deren Rückkehr in die imaginären Hallen der Vernunft Bauchschmerzen bereiten würde. Immerhin ein Hoffnungsschimmer: Um die Medien und die Kultur muss einem nicht ganz so bange sein. Hier haben sich Vernünftige durchaus Nischen geschaffen, die mit dem Fall des Systems Merkel eine überraschende Ausdehnung erleben könnten – es bleibt also spannend. Werden die Aufrechten auch die Vernünftigen sein und bleiben?
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: screenshot Youtube/BildText: Gast
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