Von Alexander Wallasch
Was neben gleich einem ganzen Bündel an Befürchtungen vor einer Ampelregierung bisher untergegangen ist, sind eine Reihe von B-Vorhaben, die auf der To-do-Liste einer grün-rot-gelben Bundesregierung in spe hintenanstehen oder wohl auch keine Diskussion benötigen, weil längst Einigkeit besteht.
Die Legalisierung von Cannabis ist so ein Thema. Christian Lindner, Parteichef der FDP, hatte sich auf dem Bundesparteitag seiner Partei im Mai in Berlin dafür ausgesprochen. Möglicherweise waren es solche Zugeständnisse aus der vermeintlich liberal-konservativen Ecke, welche die Ampel am Ende möglich machen. Fast kindische Zugeständnisse hinüber zu den Grünen, die der Ampel ganz andere Sachen diktieren, und von denen man sagen darf, dass ihre Geburtsstunde in den 1970er Jahren eine aus dem Nebel dichter Haschwolken heraus war.
„Legalize it!“ ist eines der ältesten Mantras der Grünen, haltbar bis heute. Und der FDP-Vorsitzende dachte wohl, er vergibt sich nichts, wenn er dem zukünftigen Koalitionspartner hier entgegenkommt: „Wir wollen Cannabis legalisieren – aber nicht alle Drogen!“ Ja, so ein Geschacher gehört zum politischen Geschäft der Parteifunktionäre.
Der Parteitag der FDP hatte zwar die Legalisierung aller Drogen gefordert, aber so steigert man die Erfolgschancen, dass sich am Ende im Sinne eines Kompromisses die Befürworter von Cannabis durchsetzen konnten.
Lindner betonte damals – wohl auch in Hinblick auf weite Teile seiner Partei, die sich mit der Idee nicht so schnell anfreunden können –, es ginge nicht um ein Recht auf Rausch, sondern darum, über eine legale Abgabe in Apotheken den Schwarzmarkt trocken zu legen.
Schluss damit, das Kiffen schönzureden
Kriminalbeamte würden ebenso empfehlen, so Lindner, den Weg der Legalisierung zu gehen. Angesichts der Ampelgespräche sieht das 2021 allerdings Oliver Malchow, er ist Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, ganz anders. Malchow sagte nämlich gegenüber der Osnabrücker Zeitung, es ergebe keinen Sinn, neben dem legalen, aber gefährlichen Alkohol die Tür noch für eine weitere oft verharmloste Droge zu öffnen. Der Gewerkschaftsboss sagt, es müsse endlich Schluss damit sein, den Joint schönzureden.
Was meint Malchow? So ein bisschen Gras oder Hasch kann doch nicht schaden. Leider berichten in der Sache maßgebliche Mediziner das Gegenteil: Eine Studie des Universitätsklinikum Ulm ermittelte Ende 2020 sogar Alarmierendes. Ein Ausreißer? So hätte sich „die Zahl der Psychiatriepatienten mit Cannabis-Psychose vervielfacht“. Und die Klinik hat die Vergleichszahlen, schaute insbesondere auf den Zeitraum von 2011 bis 2019.
Bevor Christian Lindner (FDP) also mit Robert Habeck (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) beschließt, dass Cannabis legal sein soll, sollten sich alle drei einmal mit Professor Carlos Schönfeldt-Lecuona von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III am Universitätsklinikum Ulm zusammensetzen.
Der nämlich wird ihnen dann schon sagen, was ihre Lässigkeit in der Drogenpolitik möglicherweise für Folgen für eine Reihe von empfindsamen Persönlichkeiten, insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene, haben kann.
U.a. folgende Symptome können bei einer durch Cannabis induzierten Psychose auftreten, berichtet der Professor: Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Zerfahrenheit und Verhaltensstörungen.
Worauf basieren die Daten aus Ulm? Die Mediziner haben hierfür eine vierstellige Zahl von Kranken- und Behandlungsdaten von in ihrer Klinik stationär untergebrachten Patienten untersucht, verglichen und ausgewertet: Ein massiver Anstieg der genannten Erkrankungen wurde so festgestellt.
Bemerkenswert hier auch, dass im selben Zeitraum auf Drogenkonsum basierende Psychosen (substanzinduzierte) bei allen anderen Drogen nicht diagnostiziert wurden – die immensen Steigerungsraten von Psychosen betreffen also ausschließlich Cannabis.
Was die Ampel, was Christian Lindner da mit einem zwinkernden Auge neben den vermeintlich viel wichtigeren Themen durchwinken könnte, ist für tausende oder zehntausende Familien in Deutschland Tag für Tag ein wiederkehrender Alptraum, eine Odyssee, an deren Ende nicht selten die Entfremdung und psychische Zerstörung eines Familienmitgliedes steht.
Ein Zerfall, den man womöglich noch vor den Nachbarn zu verschleiern sucht: Alkoholismus ja, kann passieren, aber ein von Cannabis chronisch psychotischer Sohn oder die Tochter werden versteckt.
Das Drama in den eigenen vier Wänden versteckt
In Ulm spricht man von einer Verachtfachung der Psychosen in nicht einmal zehn Jahren. Betroffen sind vor allem junge Männer. Eine Ursache soll übrigens der gestiegene Wirkstoffgehalt der Droge sein, maßgeblich zurückzuführen auf gentechnisch veränderte Pflanzen.
Interessant auch ein weiterer Grund für den Anstieg der Erkrankungen, den die Ulmer Mediziner und ihr Forschungsteam Ende 2020 vermutet hatten: Als Ende 2017 Cannabis zur Behandlung bestimmter schwerer Erkrankungen auf Rezept möglich wurde, hätte das, so die Vermutung, auch zur Folge gehabt, dass die gefährlichen Nebenwirkungen auch der illegal erworben Cannabisprodukte unterschätzt werden.
Um das genauer einzuordnen: Diese schweren, teils chronischen Erkrankungen betreffen bei weitem nicht alle Cannabis-Konsumenten. Aber keine andere Droge mit so schwerwiegenden Folgen für einige bzw. wenige wird wohl, ihrem negativen Potenzial gegenüber, auf diese Weise verharmlost und Ulm hat zudem festgestellt, dass die Erkrankungen massiv zugenommen haben.
Ein Fazit von Professor Carlos Schönfeldt-Lecuon bezüglich seiner Studie geht so:
Trotz ihres Potenzials als therapeutische Substanzen bei vielen Störungsbildern ist der Einsatz von Cannabinoiden mit einem nicht zu unterschätzenden gesundheitlichen Risiko verbunden. Dies gilt insbesondere für Personen mit einer psychischen Vorerkrankung. So sind eben immer mehr Cannabis-Psychosen zu beobachten. Andererseits kommt es auch verstärkt zu Abhängigkeiten und zu schädlichem Gebrauch.
Und die Kurzfassung aus Ulm klingt dann so: Harmlos wäre der Konsum von Cannabis auf keinen Fall.
Anti-Cannabis-Prävention an Schulen
Die Studienmacher empfehlen eine intensivere Aufklärung über mögliche Risiken des Konsums von Cannabinoiden – vor allem auch an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.
Die Zeit schreibt heute, dass die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm angekündigt hätten, „einen regulierten Verkauf von Cannabis in lizenzierten Fachgeschäften“ zu ermöglichen und die FDP fordere in ihrem Programm die kontrollierte Freigabe von Cannabis. Die SPD befürwortete immerhin noch eine „regulierte Abgabe“ an Erwachsene, erst einmal in Modellprojekten.
Interessant übrigens auch der Umgang der Öffentlich-Rechtlichen mit dem Thema. Hier ist nicht vom Konsumenten illegaler Drogen die Rede, sondern hier wird verniedlichend vom „Kiffer“ gesprochen und vom Vorgang des „Kiffens“.
Keine so schädliche Droge hat wohl eine so große Lobby. Und es gibt auch keine vergleichbaren Begriffe für Abhängige von anderen ähnlich gefährlichen Drogen – die grüne Cannabis-Lobby hat hier ganze Arbeit geleistet.
Deutsche Kiffer:innen
Der WDR schreibt in perfektem Neudeutsch: „Es liegt was in der Luft! Deutsche Kiffer:innen blicken gerade gespannt nach Berlin.“
Der öffentlich-rechtliche Sender erwähnt zwar am Rande, dass der erhöhte Wirkstoffgehalt „aufs Hirn“ schlagen könnte. Aber auch hier macht die Ausdrucksweise die Musik. Der Bericht des WDR liest sich tatsächlich wie eine Werbeveranstaltung für die Legalisierung.
Entsprechend spielerisch – die Ulmer würden wohl „verharmlosend“ sagen – dann auch der Schlusssatz beim Sender: „Übrigens: Was heute längst Volksdroge und unverdächtig ist, war in Teilen Deutschlands einst schwer verpönt und sogar verboten – Kaffee.“ Psychosen von Kaffee?
Der WDR weiß um die Häufigkeit des Konsums der illegalen Droge Cannabis:
Eine Seltenheit ist Cannabis-Konsum dabei nicht mehr. Nach einem Forschungsbericht der BZgA hat fast die Hälfte aller jungen Erwachsenen in Deutschland im Jahr 2019 einmal Cannabis probiert. Regelmäßig, also häufiger als zehnmal innerhalb von zwölf Monaten, kifften knapp sieben Prozent der jungen Erwachsenen.
Cannabis-Konsum ist vor allem ein Politikum. Aber wenn der Missbrauch schon so häufig ist, dann wissen auch viele Eltern längst aus leidvoller Erfahrung um die große Problematik, die damit verbunden ist.
Andere Eltern behandeln das Thema aber immer noch so, wie man grinsend auf den ersten Vollrausch des Jüngsten geschaut hat und sich dabei nostalgisch an den eigenen Vollrausch mit 14 oder 15 erinnert – in der Provinz ist das häufiger zu beobachten als in der Stadt, wo die gemeinschaftlichen Ereignisse nicht mehr im selben Maße stattfinden.
Die Ampel könnte also dafür sorgen, dass sich Ulm in Zukunft auf noch mehr psychotische Fälle bei jungen Menschen einrichten muss, ebenso wie die Polizei im Falle der Legalisierung bereits von einem erhöhten Unfallaufkommen im Straßenverkehr nach Cannabis-Konsum ausgeht. Die Grünen wollen die Legalisierung, die FDP will sie und die SPD wird ihr Zaudern überwinden.
Literaturhinweis:
Gahr M, Ziller J, Keller F, Schönfeldt-Lecuona C. Increasing Proportion of Cannabinoid-Associated Psychotic Disorders: Results of a Single-Center Analysis of Treatment Data From 2011 to 2019. J Clin Psychopharmacol. 2020 Nov/Dec (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33009227)
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: Screenshot NRZ, 11.10.2021Text: wal