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Es gab einen Moment heute in der als Interview getarnten Kuschelei zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der ARD-Showmasterin Anne Will, in dem die ganze Tarnung zusammenbrach. Ein Moment, der so ungeheuerlich ist, dass man ihn hier noch einmal extra aufführen muss. Was Will da sagte, ist eine journalistische Selbstkastration zum Fremdschämen. Und wäre es nicht so traurig und nicht solch ein Offenbarungseid, der für das Elend einer ganzen Branche steht – man müsste sich freuen, dass Will sich derart enttarnt hat:
„Ich habe übrigens nachgedacht, wie ich das Interview anlege. Ich hätte ja jetzt auch die ganze Zeit die Gegenposition beziehen können, sagen können, es müssen Lockerungen her, die Menschen machen das nicht mit und so. Ist aber ja gar nicht so. Und ohnehin möchte ich gerne verbleiben in dem Grundsatz, den Sie eben auch noch einmal mit dem sehr guten Zitat ‚Es ist ernst, bitte nehmen Sie es ernst‘ gesagt haben.“ Dann geht es noch weiter: „Deshalb verbleibe ich in Ihrem Kosmos“, fügt Will hinzu (anzusehen hier).
Sie macht damit also gleich zu Beginn des Interviews klar, dass sie auf die Gegenposition verzichten will und sich anbiedert – durch Verbleiben „im Kosmos“ der Interviewten.
Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Das hat mit Journalismus nichts mehr zu tun.
Das ist Ikonenmalerei.
Mit Etikettenschwindel. Denn es wird immer wieder bei einzelnen Aspekten so getan, als würde kritisch gefragt. Da, wo es nicht weh tut. Wo es einen kritischen Eindruck macht, aber zahnlos bleibt.
Genau das macht dieses Hütchenspiel so gefährlich. Die Potemkin’sche Fassade.
Merkel droht den Ministerpräsidenten, faktisch bringt sie fast deren Entmachtung ins Spiel. Wenn sich die Probleme mit ihnen in „sehr absehbarer“ Zeit nicht lösten, werde sie überlegen, wie man bundeseinheitliche Regelung treffen könne, sagte die Kanzlerin. Eine Möglichkeit sei die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, um dann „ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen“, sagt sie. Die Ankündigung eines Anschlags auf den Föderalismus, eines der wichtigsten Prinzipien unserer Verfassung.
Will scheint das nicht zu stören.
Dafür fallen dann Sätze wie dieser: „Letzte Frage: Mit welchem Gefühl wird Merkel im Herbst abtreten – einem guten oder einem erschöpften?“
Da werden Phrasen gedroschen, die einem „lieber reich und gesund als arm und krank“ in nichts nachstehen: Wie kann Merkel all das verlorengegangene Vertrauen zurückgewinnen, will Will wissen. „Durch konsequentes Handeln“, antwortet die Kanzlerin. Die Maskenaffäre um Abgeordnete der Union sei zum Beispiel „völlig inakzeptabel und empörend“. Sie sei ja selbst Abgeordnete, erinnert Merkel. Ja und?
„Dass alles schlecht laufen soll … das geht auch nicht“, sagt Merkel. Und kommt damit durch.
„Ich wehre mich dagegen, dass hier blauäugig gehandelt wurde“, meint Merkel. Will lässt ihr diesen (Freud’schen?) Versprecher unbemerkt durchgehen. Wie alles.
Anfang Februar habe Merkel gesagt, bei der Impfstoffbeschaffung sei „im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen“, meint Will. Ob sie das immer noch denke? Ja, antwortet die Kanzlerin, und kommt damit durch.
Später sagt sie, im Vergleich zu anderen Ländern stünde man gut da. Auch damit kommt sie durch.
Es fehlte nur noch der Weihrauch im Studio.
PS: Besonders bizarr: Aus einer in der Bundespressekonferenz von Tilo Jung hingeworfenen Zahl (100.000 Neuinfektionen), die RKI-Chef Wieler nicht ausschließen wollte, wurde bei Will quasi ein Fakt. Merkel spielt den Ball dann weiter: „Ich werde nicht zuschauen, dass wir 100.000 Infizierte haben.“
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Bild: ARD/Screenshot/Youtube
Text: br
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