Ein Gastbeitrag von Gunter Weißgerber und Annette Heinisch
Die Umwandlung selbstbewusster, eigenverantwortlicher Bürger in – überspitzt formuliert – freiwillige Staatssklaven, die sich der Obrigkeit in selbstverschuldeter Unmündigkeit beugen, schreitet munter voran. Das geschieht durch die Methode, die im Märchen „Rotkäppchen und der Wolf“ sehr anschaulich beschrieben wird: Der Wolf bringt Rotkäppchen erst vom Weg ab und verkleidet sich dann als Großmutter, damit Rotkäppchen ihm „auf den Leim“ geht und er es verspeisen kann. In dem Märchen werden zwei Methoden der List aufgezeigt: Zunächst das Ausnutzen der Arglosigkeit, denn Rotkäppchen weiß nicht, dass der Wolf böse ist, lässt sich von ihm daher vom Weg abbringen und hält ihn dann für die Großmutter, also eine Person, der es vertraut. Die zweite Methode ist die Täuschung, denn der Wolf verkleidet sich und belügt das Rotkäppchen.
Die Arglosigkeit
In einem kürzlich erschienenen Beitrag in der Welt äußerte die frühere Familienministerin Kristina Schröder Bedenken bezüglich weiterer Freiheitseinschränkungen:
„Der Corona-Ausnahmezustand endet, doch politische Langzeitschäden bleiben: Freiheitseinschränkungen und die Ächtung von Zweiflern sind nun eingeübt und können stets reaktiviert werden, unter dem Jubel der Mehrheit und sogar der Gerichte. Erster Lackmustest: der Klimaschutz.“
Sie beschreibt mögliche freiheitsberaubende Szenarien, die unter dem Vorwand des Klimaschutzes unseren Staat völlig umwandeln würden. Zwar hoffe sie, dass es Dystopien bleiben, in den letzten Jahren sei ihr Optimismus aber oft enttäuscht worden, daher seien Wachsamkeit und Skepsis angebracht:
„Grundlegende Freiheiten sind schneller dahin, als man denkt.“
Dies ist die Variante, auf den vermeintlich fürsorglichen Staat hereinzufallen, so wie Rotkäppchen auf den als Großmutter verkleideten Wolf. Ein Unbehagen verspürte auch Rotkäppchen, aber doch nicht ausreichend, um schnell Reißaus zu nehmen.
Die Büchse der Pandora wurde allerdings schon viel früher geöffnet. Eigentlich fing es mit Bismarck und seiner allgemeinen Rentenversicherung an. Entgegen weitverbreiteter Ansicht fiel nämlich die Mehrheit der Bevölkerung keineswegs im Alter der Armut anheim oder benötigte viele Kinder, um über die Runden zu kommen. Tatsächlich waren berufliche Versorgungswerke, die sehr gut funktionierten, weit verbreitet. Statt sich aber nur um diejenigen zu kümmern, die keine Rentenversorgung hatten, wurde ein funktionierendes System verschrottet und durch ein langfristig dysfunktionales staatliches Rentensystem ersetzt. Dieses hatte den einzigen Zweck, die Bürger in Abhängigkeit vom Staat zu bringen und damit Macht und Einfluss des Staates auf Kosten der Selbstbestimmung des Einzelnen auszuweiten.
Die Bundesrepublik kehrte bei Gründung nicht zu einem privat organisierten, beruflichen Rentensystem zurück, sondern beließ es bei der staatlichen Rente. Dass diese zum Scheitern verurteilt ist, ist seit Jahrzehnten klar, geändert wird nichts. Bis heute funktionieren nur die Reste der beruflichen Absicherung noch gut, die wie früher rein eigenverantwortlich organisiert sind, z. B. bei Ärzten und Anwälten.
Immerhin aber war es verboten, Steuern und sonstige Abgaben zu einem anderen Zweck als der reinen Einnahmeerzielung zu verwenden. Bis zur Einführung der neuen Abgabenordnung 1977 galt die alte Reichsabgabenordnung von 1919, deren Steuerdefinition bis heute gilt, nur dass noch ein Nebensatz eingefügt wurde:
§ 3 Steuern, steuerliche Nebenleistungen
(1) Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.
Während also früher der Staat nur und ausschließlich Steuern zur Einnahmeerzielung erheben durfte, ist nunmehr ein Wandel hin zu Steuern mit Lenkungswirkung zu verzeichnen.
Bis 1977 war eine Lenkung des Bürgers verpönt: Der mündige Bürger ist erwachsen, er muss selber wissen, wie er sein Leben gestaltet. Der Staat ist kein Vormund, darf sich so auch nicht verhalten; dies war die allgemeine Auffassung von Zweck und Aufgabe des Staates. Namhafte Rechtswissenschaftler warnten davor, dass der Staat mit der Ermöglichung von Lenkungsabgaben vom Diener zum Herrn würde. Andere sagten, die Befürchtungen seien übertrieben. Sie waren arglos. Leider behielten die Mahner Recht, die rasante Zunahme von Lenkungsabgaben zeigt, dass die Befürchtung von Kristina Schröder völlig zutreffend ist. Das Verhältnis vom Staat zum Bürger ist schon lange umgekippt, die Schlinge wird immer schneller immer enger gezogen.
Die Täuschung
So wie der Wolf sich verkleidete, um das Rotkäppchen zu täuschen und es dann auch noch belog, werden auch die Bürger getäuscht. Die Wirklichkeit sei lediglich ein soziales Konstrukt, so heißt es. Wahrheit wird geächtet und Lügen verbreitet, nichts ist heilig – alles relativ.
„Ich schaue Scholz an und vergleiche ihn mit Merkel und wir verstehen, dass das ganze Problem bei Scholz ist, dass er in der Jugend keine gute Komsomol-Organisation hatte.“ (Quelle hier).
Diese Feststellung wurde im russischen Fernsehen getroffen. Sie zeigt, dass man in Russland die spezielle Leistung unserer Ex-Kanzlerin wohl zu würdigen weiß. Was lernt man denn, wenn man in der Jugendorganisation der KP geschult wird?
Zunächst einmal lernt man, dass man den Gegner diskreditiert. Begonnen hatte damit die SPD schon 2013. Ihr Bundesparteitag im November beschloss ausgerechnet in der Stadt der Friedlichen Revolution gegen die zweite deutsche Diktatur (eine linke), Koalitionen auf Bundesebene fortan inklusive der Linksaußenpartei anzustreben. Alleinige Kriterien sollten fachliche Übereinstimmungen sein. Kein Widerwort über die Antidemokraten der „Kommunistischen Plattform“, kein Wort über die linksextreme Antifa als Teil der Linken. Die SPD gab mit diesem Beschluss ihre antitotalitäre Grundhaltung auf. Stattdessen wurde die sinnentleerte Formel „Gegen Rechts!“ zur neuen Leitlinie der bis dahin gegen Rechts- und Linksextremismus gleichermaßen wirkenden deutschen Sozialdemokratie. Ausgerechnet die SPD, die unter den National- und Realsozialisten verboten war, ging mit den Feinden der Republik von Linksaußen ein Bündnis ein, machte diese Feinde salonfähig. (Quelle hier)
Jede kritische Stimme wurde von nun an unter das Verdikt „Rechts“ gestellt, die politische Statik der Republik schwer beschädigt. Alles was von politisch Links betrachtet Richtung Mitte steht, ist in diesem antidemokratischen Sinn „Rechts“. Erst recht „Rechts“ ist damit das demokratische Spektrum rechts der Mitte. Die SPD als Anführer auf dem Weg in den linken Gesinnungsstaat, Grüne und Linke an der Seite – so die Idee, die seitdem auch unter der Verwendung des stalinschen Antifaschismus, der aktuell durch Putin wieder fröhliche Urstände feiert, in Deutschland verheerende öffentliche Wirkung erzielt.
Für Stalin waren die Sozialdemokraten „Sozialfaschisten“, jede bürgerliche Partei galt dem Massenmörder als „faschistisch“. Der 1953er Volksaufstand in der DDR, der 68er „Prager Frühling“, die „Charta 77“ in der CSSR, die Gründung und das Wirken der „Solidarnost“, die Friedliche Revolution von 1989/90 im Ostblock, die „Orangene Revolution“ 2004 und der „Maidan“ 2014 waren und sind im Sprachgebrauch der Stalins und Putins „faschistische“, „konterrevolutionäre“ Bandenbewegungen. Für Putin ist jeder ein Faschist, der seine demokratischen Rechte einfordert, so wie für SPD, Linke und Grüne jeder „Rechts“ ist, der ihnen nicht folgen will. Das Prinzip ist immer gleich: „Wir bestimmen, wer dazu gehören darf!“
Interessant auch der sinnfreie Satz „Keinen Millimeter nach Rechts.“ Ergo, wer von Links in die Mitte will, ist rechts. Bei all dem „gegen Rechts“ bleibt festzustellen: Eine Regierung, die nur nach rechts schaut, sieht keine linken Gefahren und nicht einmal die vor den Füßen liegenden islamistischen Herausforderungen.
Das zum schwerwiegenden Anteil der SPD am Niedergang des innenpolitischen Klimas. Die CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstselbst trägt die maßgebliche Verantwortung für den Weg der Union in den linken Gesinnungsstaat. Man stelle sich eine Wippe auf dem Spielplatz vor und platziere die Bundestagsparteien auf die beiden Wippenarme. Von ganz links beginnend sitzen Die Linke, Grüne, SPD, CDU/CSU und FDP. Die Mitte ist seit dem Seebeben 2011 vor Fukushima und der merkelschen Völkereinwanderung 2015 verwaist und auf dem rechten Wippenarm fläzt sich die AfD. Das Gewicht der linken Seite führt dazu, dass die AfD scheinbar oben sitzt.
Ob das Ergebnis der letzten Bundestagswahl die Situation wieder zu ordnen vermag, kann heute nicht eingeschätzt werden. Alle Parteien bis auf die AfD sind der Klimareligion verfallen und organisieren immer noch den Aufstand gegen die vier Grundrechenarten, gegen Physik und Chemie. Möglich, dass der Ukraine-Feldzug Putins die deutschen Ideologen auf den Boden zurückholt. Sicher ist das nicht.
Unter Merkel haben wir einen explosionsartigen Anstieg von Diffamierungskampagnen erlebt, ob es Kriegstreiber und Europa-Hasser (bei der Euro-Rettung), Leugner, Schwurbler oder Sonstige waren. Vor allem die Nazi-Keule wurde geschwungen, die wundersame Vermehrung vermeintlicher „Rechter“ war eklatant, selbst die seriösesten und völlig integren Bürger waren nicht davor gefeit, plötzlich als Nazi und Antisemit beschimpft zu werden.
Genau das passiert derzeit mit der Ukraine, die angeblich voll mit Nazis und Antisemiten ist.
Über viele Aspekte der Methode hat kürzlich der britische Journalist Christopher Booth berichtet, der während des Tschetschenien-Feldzugs in Grosny war.
Ihm fallen zahlreiche Ähnlichkeiten zur aktuellen Situation auf: Zunächst dachten alle, der Kreml würde nicht Krieg führen, es gäbe doch Erwachsene dort – der Irrtum klingt bekannt. Gegen die Moskau nicht genehme Regierung wurde gehetzt und diese wurde von den Führern abgespaltener Landesteile, unterstützt vom GRU (russischer Militärnachrichtendienst), zeitweilig attackiert. Hm, das ist schon ziemlich ähnlich, oder?
Dann tönte der bekanntermaßen korrupte russische Verteidigungsminister Pavel Grachev, Russland würde Grosny in zwei Stunden nehmen, es wäre ein Spaziergang. Man kann „Grozny“ einfach durch „Kiew“ ersetzen, passt schon.
Booth schildert, wie es eines Abends – verschiedene Journalisten saßen bei einem Drink zusammen – Explosionen in der Nähe gab, das Geräusch von Jets war zu hören. Die Journalisten stürmten hinaus und sahen ein zerstörtes Wohngebäude und Menschen, die völlig verstört waren. Sie filmten es. Als Booth nach Moskau zurückkehrte, hörte er die offizielle Berichterstattung des Kremls und konnte es kaum fassen: Angeblich hatten Banditengruppen in Tschetschenien ihre eigenen Wohnhäuser in die Luft gesprengt, um einen Luftangriff vorzutäuschen. Später dann hieß es, die Luftangriffe seien von unidentifizierten Flugzeugen ausgeführt worden.
“Planes from Lichtenstein, I wondered? Is that what you’re saying? Maybe devilishly clever pilots from outer space with missions we can only guess at? Given what I had seen in Grozny, I was astonished by the insane scale of the lies.”
Heute sagt Russland, russische Soldaten hätten keinen einzigen Einwohner von Butscha verletzt. Bilder von getöteten Zivilisten seien ukrainische Propaganda.
Zu keinem Zeitpunkt nannte der Kreml den Krieg in Tschetschenien Krieg, es war eine „Operation, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen“. Dreißig Jahre später heißt es „spezielle Militäroperation“ mit dem angeblichen Zweck, die Ukraine von Nazis zu befreien.
Oft hörte man im Westen die Ansicht, was in der Ukraine passiere, sei Schuld des Westens. „As if in some state of nature, like noble savages, Russians would be at peace with their neighbours and themselves, were it not for ‘us’.” Dies hält Booth für abwegig, es entspräche weder seinen eigenen Erfahrungen noch der menschlichen Natur.
Tatsächlich hat Putin bezüglich Georgien gesagt, das Land habe das Recht, über Sicherheitsfragen selbst zu entscheiden. Eine US-Militärpräsenz dort sei kein Problem. Und der immer noch amtierende Außenminister Lawrow gab 2005 zu Protokoll, dass Russland nichts gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine habe.
Über Putin sagt Booth: “The truth is that he is merely an inheritor of the ingrained governing DNA. Pathological lying to foreigners and one’s own citizens is standard operating procedure.”
Das Belügen der eigenen Bevölkerung ist auch bei uns endemisch geworden. Wie war das mit den schnellen und reichlichen Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine? Alles Lüge, wie fleißige und kritische Journalisten herausfanden.
Und was ist mit schnellstmöglichem Ersatz für russische Energielieferungen? Ersatz ja, aber nur soweit es die Energiewende und die Klimaideologie nicht stört oder umgekehrt zur Umsetzung der Ideologie sogar nützlich ist. Vernünftige und schnelle Lösungen, wie sie vorgeschlagen wurden, kommen nicht in Betracht. Frackinggas – reichlich Vorräte in Deutschland vorhanden, aber das machen wir nicht, das kaufen wir lieber von woanders ein. Kernkraft geht auch nicht, denn wie der niedersächsische Ministerpräsident Weil sagt, haben wir ja ein Gas- und kein Stromproblem.
“Whatever the post-Soviet catechism of these people, it falls within a long tradition of deceit: the idea that you can change abject reality by renaming it.” (Quelle hier).
Erkennbar ist, dass der Wokeismus, der im Kern eine linke Ideologie des Rassismus und Sexismus ist, genau diese Methode anwendet. Es wird versucht, die Wirklichkeit mit Worten zu verändern, sei es das Gendern der Sprache oder so etwas wie das „Gute-Kita-Gesetz“.
Fazit
Im Kern nutzen alle totalitären Ideologien dieselben Zersetzungsmethode „Rotkäppchen“. Es wird versucht, den Menschen eine objektive Tatsachengrundlage als Basis einer Beurteilung zu nehmen und zugleich den Maßstab der Bewertung vorzugeben. Mittel sind Täuschung und die Besetzung einer Vertrauensposition, der angeblich fürsorgliche „Vater Staat“, der sich nicht nur um die Bürger, sondern auch um „Mutter Erde“ kümmert. Die Verwandlung zu einem autoritären Staat ist auch in Deutschland schon weit fortgeschritten, die Befürchtungen von Kristina Schröder sind mehr als begründet.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Annette Heinisch. Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.
Gunter Weißgerber war Montagsdemonstrant in Leipzig, Mit-Gründer der Ost-SPD und saß dann 19 Jahre für die SPD als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. 2019 trat er aus der Partei aus. Der gelernte Bergbauingenieur ist heute Publizist und Herausgeber von GlobKult. Im Internet zu finden ist er unter www.weissgerber-freiheit.de. Dieser Beitrag ist zunächst auf www.weissgerber-freiheit.de erschienen.
Bild: ShutterstokText: Gast