Ein Gastbeitrag von Vera Lengsfeld
Stand 8. Oktober 12:00: Seit dem 29. September herrscht auf dem X-Kanal der Deutschen Bahn AG (@DB_Presse) Post-Stille: „Mehr Sitzplätze, mehr Fahrten, mehr Nachtzüge, mehr Tempo.“ – Seit diesem 10:44-Sept-29-Post scheint X-Twitter-Schockstarre zu bestehen.
Natürlich hängt dies damit zusammen, dass selbiger Deutsche-Bahn-Kanal am Sonntag, dem 1. Oktober um 8:35 Uhr, den Social Media Fauxpas schlechthin gemacht hat: Kritik von MdB Beatrix von Storch triggert den Verantwortlichen im Sonntagsfrühbüro (oder gar im homeoffice?) und führt zu einem kleinen Meltdown, aber statt die Sache schnell und konsequent abzuräumen, hat es der deutsche Staatskonzern (Eigenwerbung: „Das ist grün“), noch jedes Klischee und Vorurteil bedienend, auch eine Woche später (!!) noch nicht geschafft, souverän zu reagieren.
Was war passiert?
MdB Beatrix von Storch, eine der vielen Millionen Kundinnen und Nutzerinnen der Deutschen Bahn, hat sich über eine Verspätung geärgert und diesem Ärger über X Luft gemacht – als aktive Bundestagsabgeordnete und Politikerin hat sie dies natürlich auch mit einer politischen Botschaft verbunden:
„Die Bahn kann wirklich NUR NOCH WOKE:
25 Minuten verspätete Abfahrt. Nach 3 Minuten Fahrt Durchsage: Wir müssen nach dem nächsten Halt noch eine Drehfahrt machen – zusätzlich 15 Minuten.
Wie ganz Deutschland (hier symbolisiert durch eine deutsche Fahne): Nix mehr auf die Kette kriegen, aber im rosa Tütü mächtig viel 🌈- Haltung…“
Die Aussage ist unterlegt mit einem Selfie von MdB von Storch mit „Make Germany safe again“ vor einem ICC-Triebfahrzeug der Deutschen Bahn mit Regenbogenanstrich.
Ich möchte ausdrücklich sagen, dass die folgende Bewertung unabhängig davon ist, dass der Post von MdB Beatrix von Storch in Tonlage und Aussage eine eher moderate X-Kritik von betroffenen Nutzern ist – jeder, der ab und zu mal auf Frustposts der Kunden der Deutschen Bahn schaut, kann das bestätigen.
Trotzdem, es ist im Grunde die Äußerung und Rückmeldung einer Nutzerin und einer aktiven Politikerin an den Staatskonzern Deutsche Bahn – eine intrinsisch asymmetrische Diskussion.
Und wie reagiert der Staatskonzern?
Die verantwortliche Person am hochsensiblen Account „DB_Presse“ kopiert das Foto von MdB v. Storch, kombiniert es mit einem Wüstenhintergrund und haut die Antwort eine Stunde nach dem Originalpost raus: „Wir freuen uns, dass Sie Ihr Ziel trotzdem erreicht haben. Die Rückfahrt fällt leider aus.“
Wir freuen uns, dass Sie Ihr Ziel trotzdem erreicht haben. Die Rückfahrt fällt leider aus. pic.twitter.com/gdZm74TZBI
— Deutsche Bahn AG (@DB_Presse) October 1, 2023
Natürlich hat diese klassische Social-Media-Entgleisung sofort zu heftigen Reaktionen geführt – neben einigen Mob-Reflex-Gratulationen (der Deutsche kann sich dem Sog kollektivistischer Exzesse ja oft nur schwer entziehen) gab es gleich sehr viel Gegenwind. Und dies natürlich völlig zu Recht. Denn die Deutsche Bahn in Gestalt ihres DB-Presse-Accounts macht alles auf einmal:
- Angriff auf einen freigewählten Parlamentarier.
- Sehr fragwürdiger Umgang mit Persönlichkeitsrechten (ungenehmigtes Kopieren eines Fotos in einen anderen Zusammenhang und Nutzung desselben für die Zwecke der Deutschen Bahn AG).
- Äußerst unglücklicher Umgang mit der deutschen Geschichte und der Verantwortung der Deutschen Bahn für die Verbrechen der Deutschen Reichsbahn während der Shoa.
Muss man das detaillieren?
Natürlich kann man verstehen, dass die Deutsche Bahn und ihre Mitarbeiter genervt sind von den vielen Beschwerden – es ist aber absolut falsch hier im besten real-sozialistischen Sinne einfach durch einen Gegenangriff auf die Kunden zu reagieren.
Und es ist ein absolutes No-Go, dass ein Account, der die „Deutsche Bahn AG“ repräsentiert und „DB_Presse“ heißt, ein frei gewähltes Mitglied des Deutschen Bundestages persönlich angreift und framt („in die Wüste schicken“).
Der dritte Punkt ist aus meiner Sicht eher ein Sahnehäubchen, aber natürlich bin ich mir sicher, dass die Deutsche Bahn kein Recht hat, das Foto einer Kundin, und sei sie auch eine öffentlich bekannte MdB, ohne Genehmigung mit einem anderen Hintergrund zu versehen und dann gegen diese Person ins Feld zu führen – aber vielleicht ist dies formal-juristisch eine Grauzone – mit den blumigen Ansprüchen und Werten der Deutschen Bahn ist dies ganz sicherlich nicht vereinbar.
Und die Erinnerungspolitik?
Fast kann einem die handelnde Person schon wieder leidtun – offenkundig ohne klare Richtlinien, ohne Vorgesetzte mit denen Rücksprache gehalten werden kann, schießt der DB-Mitarbeiter die Kugel ins eigene Tor: Kundenbeschimpfung mittels historischer Assoziationen? Dass die Deutsche Reichsbahn Millionen Menschen ohne Rückfahrkarte nicht etwa in die Wüste, sondern direkt in den Tod geschickt hat, scheint in diesem deutschen Staatskonzern jedenfalls nicht so präsent zu sein, dass Social-Media-Verantwortliche hier angemessene Zurückhaltung pflegen.
Was muss passieren?
Natürlich kann die verantwortliche Person nicht auf ihrer Social-Media-Position bleiben (wenn die Deutsche Bahn gut ist, kriegt er aber eine zweite Chance, vielleicht im IT-Bereich), aber eine einwöchige Unfähigkeit mit dem Problem umzugehen zeigt doch die ganze Dramatik: Natürlich liegt die Verantwortung für diese Art Entgleisungen viel höher: Und zwar bei den gleichen Leuten, die sich offenbar einbilden, dass es für ein Unternehmen zu reichen hat, dass man sich den richtigen Grünanstrich gibt und gegen die richtigen Leute holzt.
Die Deutsche Bahn muss den unsäglichen Post zurücknehmen, am besten gleich den ganzen Account schließen.
Eine Geste gegenüber Vielfahrerin Beatrix von Storch wäre natürlich richtig, kann man aber nicht erzwingen.
Und ansonsten sollte sich die gesamte Bahn endlich darauf konzentrieren einen verlässlichen und robusten Betrieb zu gewährleisten – Grünanstriche und Grünclaims sind ein Holzweg: Den Kunden interessiert der Strommix, unter dem die DB fährt oder zu oft steht, überhaupt nicht, gleiches gilt für die Mittel, die zum notwendigen Freiräumen der Gleise eingesetzt werden – die Deutsche Bahn muss da einfach funktionieren und zwar so, dass es bezahlbar ist.
Und das andere Pseudo-Feel-Good-Gehabe? Ist in Maßen ertragbar, wir sind ein freies Land, aber nur, wenn das Kerngeschäft läuft, sonst darf jeder fragen, wie hier eigentlich die Prioritäten gesetzt werden.
Unter Beschuss – aber umso wichtiger ist Ihre Unterstützung!
„Verschwörungsideologe“, „Nazi“ oder „rechter Hetzer“: Als kritischer Journalist muss man sich heute ständig mit Schmutz bewerfen lassen. Besonders aktive dabei: die öffentlich-rechtlichen Sender. Der ARD-Chef-Faktenfinder Gensing verklagte mich schon 2019, der Böhmermann-Sender ZDF verleumdete mich erst kürzlich als „Verbreiter von Verschwörungserzählungen“ – ohne einen einzigen Beleg zu benennen, und in einem Beitrag voller Lügen. Springer-Journalist Gabor Steingardt verleumdete mich im „Focus“, für den ich 16 Jahre lang arbeitete, als „Mitglied einer Armee von Zinnsoldaten“ und einer „medialen Kampfmaschine“ der AfD. Auf Initiative des „Westdeutschen Rundfunks“ wurde ich sogar zur Fahndung ausgeschrieben. Wehrt man sich juristisch, bleibt man auf den Kosten in der Regel selbst sitzen. Umso wichtiger ist Ihre Unterstützung. Auch moralisch. Sie spornt an, weiter zu machen, und nicht aufzugeben. Ich danke Ihnen ganz herzlich dafür, dass Sie mir mit Ihrem Beitrag meine Arbeit ermöglichen – ohne Zwangsgebühren und Steuergelder.
Aktuell sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link. Alternativ via Banküberweisung, IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Sie betreibt einen Blog, den ich sehr empfehle. Der Beitrag erschien zuerst auf Vera Lengsfelds Blog.
Bild: Screenshot Youtube-Video Deutsche Bahn Konzern