Hört man CDU-Parteichef Friedrich Merz zu, bekommt man oft den Eindruck, dass er seine wichtigste Aufgabe als Oppositionsführer nicht in der Bekämpfung der Regierung sieht – sondern im Kampf gegen eine andere Oppositionspartei, die AfD. So merkwürdig ein solches Gebaren für eine Demokratie ist – so wenig fällt es in Deutschland nach all den Merkel-Jahren überhaupt noch auf.
Einer der wichtigsten Glaubenssätze von Merz, der sich sehr zum Missfallen konservativer Christdemokraten nicht vom Merkel-Kurs absetzt, ist ein Ausschluss jedweder Zusammenarbeit mit der AfD. Faktisch ist das angesichts enormer Umfrage-Werte für die AfD eine Garantie für eine Beteiligung von Rot-Grün an der Macht in Bund und Ländern. Und damit eine Art Selbstkastration der Union. Über die man sich bei SPD, Grünen und „Linker“ massiv freuen kann – und die man sehr zielgerichtet und geschickt betrieben hat.
Erst vor wenigen Tagen wiederholte Merz wieder einmal sein Mantra, mit der AfD werde es „keinerlei Zusammenarbeit“ geben, solange er Parteichef ist.
Und jetzt das! Michael Brychcy, CDU-Politiker und Bürgermeister von Waltershausen in Thüringen, wo die AfD laut aktuellen Umfragen auf bis zu 30 Prozent hoffen kann, sprach sich in einem Interview für eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. „Nicht alle in dieser Partei sind Faschisten“, sagte Brychcy dem „MDR Thüringen“. Die Kollegen vom Focus schockte diese Aussage offenbar so sehr, dass sie ganz vergaßen, wem gegenüber Brychcy sich so äußerte – und zunächst nur zwei Gänzefüßchen angaben, ohne Buchstaben dazwischen.
Bei Sachfragen im Stadtrat arbeite er bereits mit AfD-Politikern zusammen, sagte Brychcy dem öffentlich-rechtlichen Sender. „Es hilft uns nicht weiter, wenn wir immer nur davon reden, dass wir mit der AfD nicht reden“, so der Christdemokrat: „Es gibt in meiner Stadt kein rotes, kein grünes, kein schwarzes und kein gelbes Schlagloch. Sondern es gibt ein Schlagloch und die Leute erwarten, dass wir es wegkriegen.“
Er selbst binde schon längst die AfD-Abgeordneten bei Sachfragen im Stadtrat mit ein, so Brychcy. Allerdings sehe er „ausreichend rechtsradikale Tendenzen innerhalb der AfD“, so der Bürgermeister, der sein Amt aufgeben und nächstes Jahr für den Landtag in Thüringen kandidieren will: „Mit denen will ich überhaupt nichts zu tun haben. Mit denen können wir uns auch nicht abgeben.“ Mit dem AfD-„Flügel“ um Björn Hocke schließe er eine Zusammenarbeit aus, so Brychcy.
Nun wird es spannend, wie Merz reagiert. Vor seiner Wahl zum CDU-Chef Ende 2021 hatte er angekündigt: „Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“
Bisher schweigt Merz zum Vorstoß von Brychcy. Der agiert als „Eisbrecher“. Angesichts der massiv wachsenden Werte für die AfD vor allem im Osten, wo sie inzwischen laut Umfragen stärkste Partei ist, kommt der Kurs von Merz massiv unter Druck. Mehr noch: Die Ausgrenzung hilft letztlich der AFD und dürfte kaum einer anderen Partei mehr schaden als der CDU.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Bis in die 1980er Jahre hinaus schloss die SPD (und die Union und die FDP natürlich erst recht) jede Zusammenarbeit mit den Grünen aus, die damals noch als Bürgerschreck galten und abseits des eigenen Lagers so verpönt und stigmatisiert waren wie heute die AfD.
Hessens Ministerpräsident Holger Börner (SPD) distanzierte sich im Wahlkampf 1982 ganz entschieden von der jungen Partei. Als ihn Spiegel-Journalisten 1982 fragten, ob er sich überhaupt vorstellen könne, mit den Grünen an einem Verhandlungstisch zu sitzen, antwortete der Sozialdemokrat: „Da können Sie sicher sein: Solche Photos werden noch nicht mal als Montage zu sehen sein.“
Ein Jahr später ging der Sozialdemokrat noch weiter: „Die Grünen stehen für mich außerhalb jeder Kalkulation. Ich schließe nicht nur eine Koalition, sondern jede Zusammenarbeit mit ihnen aus.“
Weil er aber ohne die Grünen die Macht verloren hätte, pfiff er ein Jahr später auf seine Zusagen und ließ sich durch eine „Tolerierung“ von den Grünen 1984 wieder ins Amt wählen.
Noch ein Jahr später ging er 1985 offiziell in eine Koalition mit den Grünen und machte Joschka Fischer zum ersten grünen Minister Deutschlands.
Das Beispiel Börner zeigt, wie viel Zusagen wie die jetzigen von Merz über eine Nicht-Zusammenarbeit wert sind.
Die Frage ist weniger, ob es einen Börner bei der CDU geben wird – sondern wer und wann in dessen Rolle schlüpfen wird.
Anders als im Falle Börner, der auf das Wohlwollen der damals schon zu einem großen Teil – aber nicht durchweg – linken Medien bauen konnte, wäre im Falle der AfD aber das Hyperventilieren im polit-medialen Komplex gewaltig. Was durchaus logisch ist: Rot-Grün würde so sein Machtmonopol verlieren und es wäre erstmals seit langer Zeit eine Alternative zur rot-grünen Politik möglich.
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