Von Alexander Wallasch
In Kalifornien ist ein Journalist gerichtlich gegen Facebook und seine sogenannten Faktenchecker vorgegangen: Facebook hat dabei für die Gerichtsakten schriftlich hinterlegt, dass ihre Faktenchecker gar keine Fakten checken, sondern nur Meinungen zum Ausdruck bringen.
Besagter Journalist hatte den Social-Media-Konzern auf Verleumdung verklagt. Interessant ist die Antwort von Facebook auf diese Klage: Der Konzern schrieb nämlich, dass Facebook gar nicht wegen Verleumdung (d. h. falscher und schädlicher Behauptungen) verklagt werden könne.
Und die Begründung, warum das so sei, geht möglicherweise in seiner Wirkung weit über diesen individuellen Rechtsstreit hinaus, weil Facebook hier eingestanden hat, dass “Faktenchecks” nur Meinungsäußerungen und keine Tatsachenbehauptungen sind.
Das Originaldokument findet sich unter anderem auf Santa Clara Law Digital Commons, einem Repositorium der School of Law, Santa Clara University Kalifornien. Im Kern geht es darum, dass Facebook sich darauf berufen hatte, dass Meinungen im Gegensatz zu falschen Tatsachenbehauptungen nicht Gegenstand von Verleumdungsklagen sein können. Also erklärte der Konzern seine Faktenchecks kurzerhand zu Meinungen.
Zu den Myriaden von Brandmarkungen von angeblichen Fake-News sagt Facebook: „Die Kennzeichnungen selbst sind weder falsch noch diffamierend; sie stellen vielmehr eine geschützte Meinung dar.”
Sind „Fakencheck“, „Faktenfinder“ oder ähnliche Bezeichnungen demnach irreführend? Müsste es nach der Selbstbezichtigung von Facebook jetzt „Ideologiecheck“, „Propagandacheck“ oder „Meinungscheck“ heißen? Dann wären allerdings weiteren Klagen Tür und Tor geöffnet.
Die Neue Zürcher Zeitung fragte Ende 2020: „Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter unterziehen Beiträge einem Faktencheck. Doch wer kontrolliert eigentlich diese Prüfinstanz?“
Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hielt sich gar für berufen, vor der Gefahr einer „Infodemie“ zu warnen, er meinte damit allen Ernstes ein Überangebot an Informationen, „von denen manche irreführend oder sogar schädlich sein können“.
Das Regionalbüro der WHO in Europa sprach davon, dass sich eine „unüberschaubare Menge an Informationen (…) auf unterschiedliche Weise negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken“ könne. Aber kann es zu viel Wissen geben? Das klingt gefährlich nach Bücherverbrennung oder Bildersturm, das ist der Sound von Regimen, die sich nur noch an der Macht halten können, indem sie Meinungsfreiheit radikal unterdrücken.
Es klingt tatsächlich grotesk, wenn eine behauptete „unüberschaubare Menge an Informationen“ als Krankheit unserer Zeit diagnostiziert wird und Faktenchecker ausschwärmen, die digitalen Büchereien niederzureißen und zu verbrennen. Nein, falsch, nicht zu verbrennen, sondern mit dem glühenden Eisen zu brandmarken als Falsch-Nachricht, das ultimative Böse, das laut WHO wegen seines Umfangs und seiner „Zugänglichkeit und Allgegenwärtigkeit zu Angstzuständen, Sorgen und anderen psychischen Gesundheitsproblemen führen“ kann.
Diese schreckliche Pathologisierung Andersdenkender – nichts anderes ist es im Kern – ist aber noch wesentlich umfangreicher: Die WHO befürchtet gar, dass die Menschen von zu vielen Informationen dazu veranlasst würden, „irreführenden oder sogar gefährlichen Ratschlägen zu folgen“. Zu viele Informationen würden „Ermüdungserscheinungen sowie Desinteresse und Ablehnung gegenüber gesundheitlichen Botschaften hervorrufen“. Aber auch „Xenophobie, Hass und Ausgrenzung Vorschub leisten“.
Die WHO ist so von ihrer Mission Bildungsgesundheit überzeugt und dabei so geschwätzig, dass sich die Organisation nicht einmal mehr scheut, einen der Gründe für diesen Angriff auf das Weltwissen zu benennen:
„Je mehr die Menschen den Gesundheitsbehörden vertrauen, desto mehr werden sie sich an deren Empfehlungen zum Schutz der Gesundheit und an schützende Verhaltensweisen halten, die auf der nationalen wie globalen Ebene zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beitragen.“
Entzieht ihnen ihre Debatten und Diskurse, verunglimpft unangenehme Haltungen, Fakten und Meinungen und haltet sie am Ende dumm, dann bleiben sie auch folgsam? Ist das wirklich so gemeint?
Um Wissen zu reglementieren, vermeintlich Unwahres von Wahrem und Kritik von Gefolgschaft zu trennen, wurde weltweit ein System der Faktenfinder installiert. Die Regierungen schaffen einen gesetzlichen Rahmen, in welchem Debattenorte im Netz, aber auch virtuelle Räume des gesammelten Wissens und des Austausches von Meinungen beschnitten werden sollen – von Faktenfindern: Die sozialen Medien haben diesen mächtigen Wortstaubsaugern die Tore geöffnet, damit ihnen per sogenannter Anti-Hass-und-Hetze-Gesetze nicht der Laden dichtgemacht wird.
Aktuell steht der Dienst von Telegram in Deutschland in der Kritik. Die Bundesregierung will dem in großen Teilen noch zensurfreien Medium den Garaus machen und sucht dafür bereits europäische Verbündete für einen EU-weiten einheitlichen Rechtsrahmen, um hier den ganz großen Radiergummi anzusetzen und das Portal trockenzulegen.
Aber bei allen Bemühungen der politischen Einflussnahme bleibt doch ein Hauptproblem bestehen: Noch sind die Regierungen bestrebt, an der Oberfläche den demokratischen Konsens zu wahren und das per Grundgesetz verbürgte Recht auf umfängliche Meinungsfreiheit pro forma weiter existieren zu lassen. Also hat man sich mit der Lösung beholfen, Hass und Hetze würden nicht unter das Recht auf Meinungsfreiheit fallen. Aber was genau ist Hass und Hetze? Zehntausende Nutzer von Facebook und Twitter werden in Deutschland tagtäglich für eine bestimmte Zeit gesperrt, einige Nutzer sogar dauerhaft. Umfangreich werden zudem Beiträge und Kommentare zensiert, kommentiert, in ihrer Reichweite eingeschränkt, mit einem Warnhinweis versehen oder gleich ganz gelöscht.
Der Spiegel fasst das Dilemma für die Social-Media-Konzerne einmal so zusammen: „Löscht Facebook nicht, gibt es Ärger – von Politikern, Medien, Nutzern. Löscht Facebook etwas, fast immer auch.“
Und jetzt hat Facebook noch ein weiteres Problem: In den USA hat der Konzern im Rahmen der Abwehr einer Klage eingestanden, dass Faktenchecker keine Fakten checken, sondern Inhalte danach prüfen, ob sie einer geltenden – oder gar gewünschten? – Mehrheitsmeinung widersprechen. Was das allerdings konkret für Klagen in Deutschland bedeutet, sei einmal dahingestellt. Wer Facebook verklagen will, der muss das nämlich immer noch in Irland machen, wo der Konzern seinen Europasitz hat.
Die Rechtsabteilungen von Facebook müssen jedenfalls gigantisch groß sein, die Forderungen der Kläger sind aber bisweilen noch gigantischer: Aktuell wird der Social-Media-Konzern auf 150 Milliarden Dollar Schadenersatz verklagt. Der Hintergrund: Facebook hätte Hass und Hetze durch Algorithmen gefördert.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: Screenshot Shutterstock
Text: wal
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