Wenige hundert Meter vom Reichstag entfernt gab die Berliner Polizei heute einen Vorgeschmack: darauf, wie sich das neue Deutschland anfühlt, das Angela Merkel sich zementieren ließ, mit dem heute verabschiedeten Infektionsschutzgesetz und den weitreichenden Vollmachten, die sie sich damit zubilligte. Mit selbst für Berliner Verhältnisse ungewöhnlicher Härte ging die Berliner Polizei gegen Demonstranten vor, die gegen die Gesetzesänderungen protestierten. Und gegen Journalisten, die ihr Vorgehen dokumentierten oder dies zumindest versuchten. Ich wurde heute einmal absichtlich von einem Polizeibeamten umgestoßen, als ich filmte, wie ein am Boden liegender Demonstrant behandelt wurde. Ein zweites Mal wurde mir meine Kamera aus der Hand geschlagen von einem Polizisten. Ich wurde Augenzeuge, wie ein am Boden liegender Demonstrant einen Fausthieb gegen den Hinterkopf bekam. Und damit schildere ich nur einen kleinen Teil der Szenen, die mich heute schockierten. Ich habe sie in meinen Livestreams dokumentiert, und werde auch noch die wichtigsten Szenen zusammenschneiden zu einem Video.
Anders als ihre Kollegen in Stuttgart und Kassel haben die Leiter der Berliner Polizei heute auf massive Härte gesetzt. Zumindest zeitweise. Am späteren Abend gab es dann Szenen, als eine Rest-Demonstration fast außer Kontrolle geriet und die verbliebenen, schwachen Polizeikräfte ihrer kaum Herr wurden – und sie eskalierten. Notgedrungen? Während etwa in Stuttgart der Einsatzleiter sagte, eine Auflösung sei nicht verhältnismäßig gewesen und aus Infektionsschutz-Sicht gefährlicher, als das Ignorieren der Mindestabstände und der Pflicht zur Mund- und Nasenbedeckung hinzunehmen, sah die Berliner Polizei das umgekehrt. Und sorgte nach der Auflösung der Kundgebung, bei der ebenfalls die Hygieneregeln weitgehend ignoriert wurden, mit sehr engen Korridoren dafür, dass sich die Demonstranten besonders eng tummelten. Absicht oder Polizeiversagen? Zuvor war bereits eine ganze Straßenhälfte der Straße des 17. Juni abgesperrt worden für Polizeiarbeit – so dass eine Enge an der einzigen vorhandenen Bühne geradezu vorprogrammiert war.
Auch nach neun Stunden vor Ort, die meiste Zeit davon im Livestream, bekommt man natürlich nur einen sehr schmalen Ausschnitt des Geschehens mit. Die ersten Festgenommenen, die aus dem Tiergarten abgeführt wurden, wirkten auf mich nicht wie die normalen Teilnehmer der Demonstration, sondern eher wie gewaltbereite Hooligans oder Provokateure. Dieser Eindruck mag subjektiv sein, doch nach mehr als zwei Jahrzehnten Demo-Berichterstattung halte ich mir da ein gewisses Bauchgefühl zugute. Gut möglich, dass diese eher wenig friedlich wirkenden Personen die Polizei provoziert hatten. Ich war nicht dabei. Ich ging dann aber in den Tiergarten und wurde Zeuge, wie Beamte willkürlich und teilweise sehr brutal Menschen abführten. Die Härte, die ich da sah und auch selbst spürte, entsetzte mich. Auch ich wurde immer wieder brutal weggestoßen, am Abend war ich recht lädiert. Einmal wurde mir sogar die Festnahme angedroht. Ich hatte, was auch im Video dokumentiert ist, aus mindestens zwei Metern Abstand eine Festnahme gefilmt – da kam ein Beamter auf mich zu, sehr nah, und warf mir dann vor, den Mindestabstand zu unterschreiten und die Maßnahme zu behindern. Gott sei Dank ist das Gegenteil im Video festgehalten. Ich wurde Zeuge von massiven Beleidigungen der Polizisten. In der aufgeheizten Stimmung gab es Sprechchöre „Nazis, Nazis!“ oder Rufe wie „Verbrecher“. Gewalt gegen Beamte beobachtete ich, bis auf ein paar Gegenwehr-Momente aus dem Affekt heraus, bei den Festnahmen nicht; es wurde aber von Flaschenwürfen auf die Beamten berichtet.
Umgekehrt war die Polizei abseits der brutalen Szenen im Tiergarten ausgesprochen freundlich und kooperativ – Beamte hoben mir sowohl eine heruntergefallene Brille als auch eine Visitenkarte vom Boden auf, waren bei den Durchgängen fast ausnahmslos freundlich und auskunftsbereit. Auch der Anwalt Markus Haintz von den „Anwälten für Aufklärung“ lobte das Verhalten der Berliner Polizei. Offenbar hatte er die Szenen im Tiergarten nicht gesehen. In einem Livestream von Focus Online ist zu sehen, wie Beamte eine alte Frau über den Boden schleifen. Ansonsten erkannte ich in den meisten Berichten der großen Medien nicht das Demonstrationsgeschehen, das ich selbst erlebt habe. Aber vielleicht war ich ja immer nur am falschen Ort. Unten eine Übersicht. Besonders entlarvend finde ich die Überschrift von Focus Online: „Polizei muss ‘Schläge und Tritte‘ anwenden“.
Für mich war der Tag nicht wegen der Blessuren sehr bedrückend. Das neue Gesetz ist ein Anschlag auf die Freiheit der Bürger und den freiheitlichen Charakter der alten Bundesrepublik. Die wirkt nach 16 Jahren Merkel wie unter einer zentnerschweren Grabplatte begraben. Mit dem Gesetz sind die Mechanismen geschaffen, mit denen die Regierung die Demokratie faktisch aushebeln kann, mit Hilfe der Ausrufung eines „Notstands“ und von Grenzwerten, die die Politik durch die Anzahl und Verfahren der Tests maßgeblich selbst bestimmen kann. Und schwuppsdiwupps sind die Grundrechte in Luft aufgelöst. Die Polizei kann faktisch nach Belieben in Wohnungen eindringen, selbst das Ordnungsamt. Freizügigkeit, Berufsfreiheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit waren einmal.
Erschreckend ist auch, mit welchem Geist mit Kritikern des Gesetzes umgegangen wird. CDU-Fraktionschef Brinkhaus sagte heute im Bundestag, wer behaupte, das Gesetz sei undemokratisch, der betreibe Hetze. Das ist die Sprache der DDR, die damit ihrerseits den alten Sprachgebrauch der Nazis übernommen hatte. In der alten Bundesrepublik war der Begriff „Hetze“ für Kritik an der Regierung oder ihren Entscheidungen nicht gebräuchlich und wurde im Wesentlichen in seiner ursprünglichen Bedeutung angewandt. Die Rückkehr in das Denken der DDR mit ihrer Verunglimpfung und Diffamierung von Kritik nimmt damit immer besorgniserregendere Ausmaße an.
Hier der Presseüberblick von Ekaterina Quehl
Eskalation in Berlin: Als Polizei Demo auflösen will, kommt es zu Gewalt-Szenen, Focus, 21.4
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„Die Demonstration mit einer Teilnehmerzahl von rund 8000 Personen war von der Polizei gegen Mittag offiziell aufgelöst worden, nachdem sich laut Angaben der Polizei die Mehrzahl der Teilnehmer weigerte, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und Mindestabstände einzuhalten.“
Polizei muss „Schläge und Tritte“ anwenden
Wie FOCUS-Online-Reporter Ulf Lüdeke berichtet, wurden immer wieder Polizisten und auch Journalisten von Demonstranten bepöbelt. Zahlreiche Personen wurden festgenommen. Dabei heizte sich die Stimmung zum Teil gefährlich auf. Allein am Vormittag gab es 40 Festnahmen, teilte eine Polizeisprecherin FOCUS Online vor Ort mit. Im Verlauf der Räumung der Straße des 17. Juni kam es dann zu etlichen weiteren Festnahmen.“
Mehr als 150 Festnahmen nach aufgelöster Corona-Demo, rbb24.de, 21.04.2021, 18:10
„Die Berliner Polizei hat am Rande einer Demonstration gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes bis zum Mittwochnachmittag insgesamt 152 Personen festgenommen. Neben Verstößen gegen die Infektionsschutzverordnung sei es auch zu tätlichen Angriffen auf die Einsatzkräfte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Gefangenenbefreiung gekommen, so die Polizei.“
Polizei setzt Pfefferspray ein
„Nach Angaben der Polizei versuchten Demonstranten, eine Absperrung vor dem Brandenburger Tor zu überwinden. Demnach wurden Flaschen auf Beamte geworfen, woraufhin die Polizisten Pfefferspray einsetzten. Einzelne Demonstranten trugen Taucherbrillen und Gasmasken. Im Tiergarten wurden nach Kontrollen Polizisten tätlich angegriffen. Bei Gegenmaßnahmen habe die Polizei auch körperlichen Zwang anwenden müssen.“
„Querdenker-Demo“ in Berlin – bislang 152 Festnahmen, morgenpost.de, 21.04.2021, 18:06
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„Berlin. Anlässlich der Abstimmung über das geänderte Infektionsschutzgesetz im Bundestag demonstrieren am Mittwoch im Berliner Regierungsviertel tausende Gegner der Corona-Politik. Insgesamt 2200 Polizisten seien im Einsatz, teilte die Berliner Polizei mit. Die Polizei zieht auswärtige Hilfe heran und wird von Kräften aus Nordrhein-Westfalen, Bremen, Brandenburg, Sachsen und der Bundespolizei unterstützt. Das Reichstagsgebäude wurde weiträumig abgesperrt.“
Festnahmen, Flaschenwürfe – Demonstration gegen Corona-Maßnahmen eskaliert, WELT, 21.04.2021, 19.36
„Bei einer Demonstration von Corona-Kritikern in Berlin und deren Räumung hat die Polizei am Mittwoch 152 Teilnehmer vorübergehend festgenommen. Ihnen werden Verstöße gegen die Corona-Regeln sowie Angriffe auf Einsatzkräfte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchte Gefangenen-Befreiung vorgeworfen, wie die Polizei auf Twitter mitteilte. (…)
Von der Demonstration mit mehr als 8000 Teilnehmern sei eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgegangen, teilte die Polizei mit. Es gebe fortwährende und flächendeckende Verstöße gegen den Infektionsschutz. Mindestabstände seien immer wieder missachtet worden, zudem sei oft kein Mund-Nasen-Schutz getragen worden.“
Polizei löst Corona-Demos in Berlin auf – mehr als 200 Festnahmen, Berliner Zeitung, 21.04.2021, 19:51
„Etwa 8000 Menschen protestierten am Mittwoch gegen das Infektionsschutzgesetz. „Querdenker“ wurden in den Bundestag geschleust.“
„Die Polizei greift hart durch. Immer wieder werden Demonstranten festgenommen. Der Bereich vor dem Schloss Bellevue ist von einem Großaufgebot an Einsatzkräften geräumt worden. Teilnehmer der Kundgebung wurden teilweise gewaltsam zurückgedrängt. (…)
Die Zahl der Festnahmen ist mittlerweile auf knapp 200 gestiegen, so ein Polizeisprecher. Die meisten von ihnen müssen sich wegen tätlichen Angriffs, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Gefangenenbefreiung sowie wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln verantworten. Nach Angaben der Polizei seien bisher mindestens sieben Beamte verletzt worden.“
150 Festnahmen bei Protesten gegen Corona-Politik, zeit.de, 21.04.2021, 09:50
„Rund 8.000 Demonstrierende hatten sich im Regierungsviertel in Berlin versammelt, ohne die Hygieneauflagen zu beachten. Zwei Demos mussten gewaltsam aufgelöst werden. (…)
Bei Demonstrationen von Corona-Maßnahmen-Kritikern und -Kritikerinnen in Berlin und deren Räumung hat die Polizei am Mittwoch 152 Teilnehmende vorübergehend festgenommen. Ihnen werden Verstöße gegen die Corona-Regeln sowie Angriffe auf Einsatzkräfte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamtinnen und -beamte sowie Gefangenenbefreiung vorgeworfen, wie die Polizei auf Twitter mitteilte. (…)
Da sich viele der Aufforderung widersetzen, griff die Polizei ein und drängte die Menschen von der Straße des 17. Juni in den Tiergarten ab. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Einzelne Teilnehmende wurden weggetragen, dabei kam es zu den Festnahmen.“
Bild: Privat
Text: br/eq
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