Ein Gastbeitrag von Josef Kraus
Man muss keine leidenschaftliche Aversion gegen den Formel-1-Motorsport pflegen, um doch immer wieder den Kopf zu schütteln. Jetzt zum Beispiel wieder beim jüngsten Formel-1-Rennen vom 3. Juli 2022 in Silverstone.
Viel hätte nicht gefehlt und das Rennen wäre beinahe bereits in der Startphase in einem womöglich tödlichen Desaster geendet. Bereits nach der ersten Kurve kam es zu einer Massenkarambolage. Am heftigsten erwischt hat es den 23-jährigen Chinesen Zhou Guanyu. Sein Alpha Romeo hob ab, flog durch die Luft und schlitterte auf dem Kopf in die Fangzäune.
Das war wohl auch die glückliche Fügung für fünf „Klima-Aktivisten“, die kurz nach dem missglückten Start die Strecke besetzten. Wegen des Crashs aber gab es die Rote Fahne, das Rennen wurde unterbrochen und es folgte eine sogenannte Saftey-Car-Phase, in der die Piloten ihre Geschwindigkeit drosseln mussten.
'Aktivisten' begeben sich bewusst in Lebensgefahr
Sonst hätte es womöglich Tote unter „Aktivisten“ gegeben, die sich auf dem Asphalt der Rennstrecke niederließen. Und zwar dort, wo die Rennautos bereits kurz nach dem Start mit mehr als 200 Kilometern/Stunde vorbeirasen. Da das Rennen an dieser Stelle zudem noch in der Startphase gewesen wäre, wären die Rennfahrer wohl im ersten Gerangel um vordere Plätze nebeneinander hergefahren und hätten kaum ausweichen können. Die Streckenposten hätten die „Aktivisten“ zudem nicht mehr rechtzeitig von der Strecke zerren können, und sie hätten sich selbst in Lebensgefahr gebracht. So aber hatten die Streckenposten etwas mehr Zeit, die „Aktivisten“ von der Strecke zu holen. Im Live-TV war davon freilich nichts zu sehen.
Die britischen Behörden hatten übrigens mit einer Protest-Aktion von „Klimaaktivisten“ gerechnet. Man hatte deswegen die Präsenz um die rund 5,9 Kilometer lange Rennstrecke verstärkt, aber eine lückenlose Absicherung war natürlich nicht möglich. Chefinspektor Tom Thompson hatte zudem gewarnt: „Eine befahrene Rennstrecke zu betreten, ist extrem gefährlich. Wenn Sie diesen rücksichtslosen Plan umsetzen, gefährden Sie Leben.“ Das beeindruckte die „Aktivisten“ der Organisation „Just Stop Oil“ nicht; ihre Forderung lautet, die britische Regierung müsse die Förderung von fossilen Brennstoffen einstellen.
Nun müssen sich die „Aktivisten“ vor Gericht verantworten. Der Vorwurf lautet: Sie hätten sich zur Störung der öffentlichen Ordnung verschworen, so die Polizei der Grafschaft Northampton am 5. Juli. Nicht auszudenken, wenn einer der „Aktivisten“, die sich zur Tarnung wie die Streckenposten gekleidet hatten, zu Tode gekommen wäre. Die diversen „Klimaschützer“ hätten ihren Märtyrer gehabt und sich womöglich wie die damalige RAF als „grüne RAF“ nach den ersten Toten weiter radikalisiert.
'Ein Hoch für die Demonstranten!'
So weit, so gut? Noch einmal gut gegangen? Nein, so weit so schlecht! Auf der Pressekonferenz nach dem Rennen meinte der in Silverstone Drittplatzierte und in der 2022 Rangliste auf Platz 6 liegende Lewis Hamilton (Mercedes): „Ein Hoch auf die Demonstranten!“ Es brauche „mehr Leute wie sie“, fügte er hinzu. Der Brite gibt sich ja seit Jahren als Umweltschutz-Bewegter. So wie sein Konkurrent, der Heppenheimer Sebastian Vettel (Aston Martin), der es diesmal auf Platz 9 brachte und in der 2022er Wertung auf Platz 15 steht. Vettel wiederum hatte schon vorher zum Besten gegeben: Die Klimakrise mache ihm zu schaffen. Er sorge sich um die Zukunft seiner Kinder. Wörtlich: „Je mehr man über das Thema lernt und verstehen lernt, desto schlechter geht’s einem“, räumte der viermalige Weltmeister in „1,5 Grad – der Klima-Podcast mit Luisa Neubauer“ ein. Weiter: Er habe „in gewisser Weise auch Angst“, dass seine Kinder die Freiheiten und die Unbekümmertheit „später nicht mehr erleben können oder dürfen“, die er gehabt habe. „Es wird ja nicht besser, es wird immer schlimmer. Deswegen ist es umso notwendiger und dringlicher, dass wir unbedingt etwas tun müssen“, betonte er. Dabei gerne auch gekleidet in T-Shirts mit entsprechendem „Klima“-Aufdruck.
Nun: Man würde den beiden Herren Rennfahrern nicht unbedingt vorrechnen, dass sie bei einem 306-Kilometer-Rennen wie in Silverstone rund 120 Liter Sprit verpulvern. Und man würde ihnen auch nicht vorrechnen, wie viel Kerosin sie mit ihren Privatjets und mit den Flügen ihres Teams verbrauchen. Aber: Wenn man sich so für das Klima in die Brust wirft wie die Beiden und Sympathien für „Aktivisten“, die oft Kriminelle heißen müssten, pflegt, dann kann man ihnen im dezenteren Fall nur Scheinheiligkeit, in schärferer Tonlage Schizophrenie vorhalten.
Aber was soll’s? Hauptsache, die Kasse stimmt. Allein Sky zahlt für die Formel-1-Übertragungsrechte 2022 dem Vernehmen nach 50 Millionen, RTL für Teil-Rechte für vier Rennen dem Vernehmen nach 25 Millionen. Hamilton steckt pro Jahr rund 35 Millionen, Vettel pro Jahr rund 13 Millionen Euro an „Gehalt“ ein.
Dass freilich die sonst so klimabewegten Öffentlich-Rechtlichen auf die Schizophrenie, die diese beiden Herren an den Tag legen, nicht eingehen, hat wohl damit zu tun, dass ARD und ZDF keine Übertragungsrechte haben und Sky bzw. RTL ihnen diesen Zuschauermagneten nicht gönnen.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)
Bild: Screenshot Youtube Motorsport Magazin
Text: Gast