Kennen Sie dieses Gefühl? Man liest etwas, und denkt sich zunächst verwundert: Das kann doch gar nicht sein! Im zweiten Moment wundert man sich dann darüber, dass man sich gewundert hat. Und sagt sich: Also nüchtern betrachtet ist das doch eigentlich nur logisch – aber man wollte sich das offenbar selbst nicht eingestehen. So ging es mir heute, als mir ein guter Freund und zuverlässiger Themen-Lieferant mit exzellentem journalistischem Gespür einen Artikel mit folgender Überschrift schickte: „Geld für den Aufstand – Aktivisten der ‘Letzten Generation‘ beziehen Gehälter.“
Der Beitrag stammt aus der „Welt am Sonntag“ und steckt, leider, hinter einer Bezahlschranke. So sehr ich verstehen kann, dass diese zur Finanzierung von Journalismus notwendig ist – so traurig ist es, dass deswegen wichtige Texte und Themen regelmäßig einem größeren Publikum vorenthalten werden.
Was die Zeitung aus dem Springer-Verlag da aufgedeckt hat, ist unglaublich: Ein Berliner Verein überweist Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ Gehälter. In Rekrutierungsseminaren berichten die Organisatoren, sie hätten „sehr viel“ Geld.
Dieser betreffende Verein heißt „Wandelbündnis“. Er sei „offenbar wesentlich am rasanten Aufstieg der radikalen Klimagruppe ‘Die Letzte Generation‘ beteiligt gewesen“, schreibt das Blatt: „Denn das ‘Wandelbündnis‘ stellt seit einigen Monaten Arbeitsverträge für die Aktivisten aus – und ermöglicht ihnen so, mit den Protestaktionen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.“
Aus internen Chat-Nachrichten und Unterlagen der „Letzten Generation“, die das Blatt einsehen konnte, und Online-Seminaren, an denen ein Journalist teilgenommen hat, „ergibt sich das Bild einer straff organisierten Bewegung, die beständig neue Unterstützer gewinnt“, so die „Welt am Sonntag“: „Es sind Menschen, die teilweise bereit sind, ihren Job aufzugeben, um sich ganz der Arbeit für den Klimaschutz zu widmen.“
Im Gegensatz sichere die „Letzte Generation“ den Vollzeitaktivisten „in Zusammenarbeit mit dem ‘Wandelbündnis‘ ein Einkommen und eine sozialversicherungspflichtige Anstellung zu“, so das Blatt: „Wie das funktioniert, erfährt, wer an einem entsprechenden Online-Seminar teilnimmt.“
So habe ein jungen Mann aus Kassel, Carl, aus einer Arbeitsgruppe, die sich „Jobcenter der Letzten Generation“ nennt, den zugeschalteten Interessenten gesagt: „Wir haben zum Glück dieses Geld zur Verfügung und können Menschen bezahlen, und wir haben die Möglichkeit, die Menschen auch anzustellen.“ Das gehe auch sozialversicherungspflichtig. Denkbar seien Anstellungen in Vollzeit, Teilzeit, aber auch als Selbstständige und Minijobber. „Das ermöglichen wir, damit es vielen Menschen möglich ist, da ihre Zeit reinzugeben“, sagt er laut der Zeitung.
Aktuell könne die „Letzte Generation“ demnach ein Gehalt von bis zu 1.300 Euro im Monat zahlen. „Die Höhe richte sich danach, wie viel ein Aktivist zum Leben benötige“, so die „Welt am Sonntag“. „Das Konstrukt funktioniere so: Das Geld komme von Spenden, die die ‘Letzte Generation‘ erhalte. Das ‘Wandelbündnis‘ gebe den rechtlichen Rahmen und stelle die Verträge aus. ‘Die haben sonst gar nichts damit zu tun‘, erklärt Seminarleiter Carl.“
Das „Wandelbündnis“ selbst schildert die Zusammenarbeit laut der Zeitung dagegen ganz anders. Man habe kein Geld von der „Letzten Generation“ erhalten, behauptet Vorstandsmitglied Miguel San Miguel dem Bericht zufolge. Innerhalb des „Wandelbündnisses“ gebe es aber die Initiative „Gemeinnützige Bildungsarbeit zur Unterstützung von Letzte Generation“. Insgesamt beschäftige man „30 bezahlte Kräfte“.
Einen Großteil ihrer Einnahmen, mit denen die Aktivisten bezahlt werden, erzielt die „Letzte Generation“ laut eigenen Angaben durch Spenden vom Climate Emergency Fund, schreibt das Blatt: „Die kalifornische Stiftung will ‘disruptiven Aktivismus‘ unterstützen. Das Stiftungsvermögen stammt von Philanthropen wie Aileen Getty, Enkelin des Erdöl-Tycoons Jean Paul Getty, und dem Filmregisseur Adam McKay. ‘Wir beziehen sehr viel Geld aus dem Fonds‘, sagt Seminarleiter Carl.“
Das Fazit der „Welt am Sonntag“: „Die Praxis, Aktivisten für ihre Straßenblockaden zu bezahlen, spricht für einen zunehmenden Grad der Professionalisierung. Die straffe Organisation der ‘Letzten Generation‘ ist auch in internen Dokumenten festgehalten. Dort ist die Rede von einer ‘funktionalen Hierarchie‘, in der es eine ‘kleine Gruppe mit Entscheidungsmandat‘ gebe. Das Motto der Zusammenarbeit laute „viel Input, wenig Demokratie“, heißt es an anderer Stelle. Eine schnelle und effektive Entscheidungsfindung könne nicht im großen Plenum erfolgen. Laut internen Organigrammen besteht das Kernteam aus sechs Aktivisten, sieben weitere Aktivisten sind als Bindeglied zu den vielen AGs im Einsatz.“
In den internen Chat-Nachrichten, die der „Welt am Sonntag“ vorliegen, werden auch Angriffe auf Politiker zumindest diskutiert. Demnach schlug ein Aktivist vor, „in Sprechstunden von Abgeordneten zu gehen und sich an diesen festzukleben“. Das Blatt schreibt weiter: „In anderen Nachrichten werden Politiker – vermeintlich satirisch – mit Terroristen gleichgesetzt. Und im Protokoll eines Treffens der AG ‘Priviliegiencheck und Awareness‘ haben die Teilnehmer als Ziel festgehalten: ‘Wir versuchen das Spektrum des Aktivismus zu erweitern! Nicht Linksextrem werden! (also in der Außenwirkung – intern gerne;))‘“.
So sehr all das eigentlich leider auf der Hand lag – so wenig wollte man es sich vorstellen. Faktisch erinnert das Ganze an eine kommunistische Kampf- und Kaderorganisation – nur eben diesmal bezahlt von reichen Drahtziehern in den USA. Ich musste bei dem Bericht spontan an die „sowjetische Langzeitstrategie“ denken, über die ich gerade geschrieben habe. Die Väter dieser Strategie um Ex-KGB-Chef und Generalsekretär Juri Andropow hätten angesichts solcher Strukturen ihre helle Freude. Schöner hätten sie sich das selbst nicht ausdenken können. Dass die Saat, die sie einst aussäten, derart erfolgreich gedeihen würde, hätten sie sich wohl selbst nicht träumen lassen. Die bürgerliche Gesellschaft, die ja wesentlich auf der Industrie beruht, schafft sich, 100 Jahre nach Gründung der Sowjetunion und dreißig Jahre nach deren Zusammenbruch, selbst ab.
Bild: Letzte Generation