Gesundheitsminister warnt vor „gravierendem Variantenwechsel“ Wirre Begründungen für die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Thomas Rießinger

Manches kann man sich nicht ausdenken, man muss warten, bis die Realität die Phantasie überholt. Wer hätte beispielspielsweise geahnt, dass der SPIEGEL, einst vielbewundertes „Sturmgeschütz der Demokratie“, sich zur Wasserpistole der Waschlappenfraktion machen könnte? Man erinnert sich: Winfried Kretschmann hat kürzlich als Strategie zur Bewältigung der Folgen seiner eigenen verheerenden Energiepolitik den Einsatz von Waschlappen wärmstens empfohlen und schon eilt ihm die SPIEGEL-Redaktion unterstützend zur Seite. Denn der deutsche Astronaut Matthias Maurer, so kann man bei SPIEGEL Panorama lesen, hat sich doch tatsächlich auf der Raumstation ISS fast ein halbes Jahr lang wegen des Phänomens der Schwerelosigkeit „mit einem feuchten Tuch gewaschen“, und „die erste Dusche auf der Erde war ein Schock,“ der zu anschließendem Übergeben geführt habe. Das wird den durchschnittlichen Erdenbewohner, der sich nur selten auf Raumstationen aufhält und die Freuden der Schwerelosigkeit nur sehr bedingt erlebt, ohne Frage zum sofortigen Ändern seiner Duschgewohnheiten motivieren. Kann man noch tiefer sinken als dieses Qualitätsblatt?

'Gravierender Variantenwechsel'

Ja. Das kann man. Dazu genügt es, das Ministerium für Scharlatanerie und Pharmaförderung zu leiten und sich nicht im Mindesten für die Gesundheit der Bevölkerung zu interessieren. Da der zuständige Minister Karl Lyssenko Lauterbach jeden Tag ohne Presse- oder Fernsehpräsenz für einen verlorenen Tag hält, hat er sich zu den Gründen für die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes geäußert. Man könne nicht ausschließen, dass es zu einem „gravierenden Variantenwechsel“ komme, und es sei ein Irrtum, „dass sich im Laufe einer Pandemie immer nur die leichteren Varianten durchsetzen“. Der Corona-Herbst werde „kein Zuckerschlecken,“ und sobald es kälter werde und sich die Menschen mehr in Innenräumen aufhielten, werde es wegen der erhöhten Fallzahlen „zu Ausfällen in den Betrieben und der kritischen Infrastruktur kommen, etwa in Krankenhäusern – es stehen uns also schwierige Zeiten bevor“.

Er kann es nicht lassen und wie man seinem wirren Denken vielleicht mit musikalischen Mitteln begegnen kann, werde ich am Ende dieses Textes zeigen, das entsprechende Video kann man sich zur Erholung natürlich auch jetzt schon ansehen.

Zunächst aber zu unserem Hauptakteur: Noch immer hat er nichts begriffen und es ist nicht anzunehmen, dass sich daran noch etwas ändern wird. Sehen wir einmal davon ab, dass sich in der Regel im Zuge mutationsbedingter Virenentwicklung tatsächlich die „leichteren Varianten“ durchsetzen, weil ihre Wirte sich besserer Gesundheit erfreuen und sie deshalb weitergeben können – „ausschließen“ kann man üblicherweise gar nichts, keine unangenehmen Varianten und auch keine aufschlagenden Kometen. Aber deshalb laufen wir nicht auf Jahre hinaus mit einem Helm auf dem Kopf durch die Welt und deshalb müssen wir auch nicht zu Maßnahmen greifen, die man nur noch mit Begriffen des Strafrechts oder – bei unterstellter Schuldunfähigkeit – der Psychiatrie charakterisieren kann. Die Fallzahlen werden steigen? Ja, das werden sie. Es handelt sich dabei um die Anzahl positiver PCR- oder sonstiger sinnloser Tests, die nichts über eine Erkrankung aussagen; außer unter Politikern und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist diese Tatsache inzwischen recht weit verbreitet. Es wird zu Ausfällen in Betrieben und Krankenhäusern kommen? Ja, das wird es, solange man gesunden Menschen aufgrund eben jener positiven Testergebnisse den Zutritt zu ihrem Arbeitsplatz verweigert und, was Krankenhäuser angeht, an der unsäglichen einrichtungsbezogenen Impfpflicht festhält. Ganz zu schweigen davon, dass die Heizvorschläge der erleuchteten Bundes- und Landesregierungen jede Form von Erkältungskrankheiten eher fördern als reduzieren werden.

Und selbst die Maskenpflicht in Schulen weiß der Minister für Voodoo-Medizin noch zu verteidigen. „Noch wissen wir nicht, was diese Infektion, wenn sie wiederholt auftritt, mit dem Immunsystem der Kinder macht. Das Risiko massenhafter Infektionen in der Schule können wir als Gesellschaft nicht eingehen.“ Bisher hat sich dieses Risiko offenbar in sehr engen Grenzen gehalten und der Verweis auf eine unklare Zukunft ist an Sinnlosigkeit kaum noch zu überbieten, da sich diese Zukunft beliebig weiter verschieben lässt und man immer anführen kann, bisher sei es ja gut gegangen, aber wer wisse schon, was in Zukunft passiere? Was übrigens die von ihm so sehr geschätzte Covid-Impfung mit dem Immunsystem der Kinder und auch der Erwachsenen macht, hat dieses fleischgewordene Prinzip vollständiger Fehlbesetzung noch nie interessiert.

Aber er kann eben nicht anders. Niemand sollte dem Gedanken verfallen, der – dem Titel nach, nicht in der Realität – Bundesminister für Gesundheit bringe ernsthaftes Interesse für die Gesundheit der Menschen auf, schon in der Vergangenheit hat er das zur Genüge belegt. Man muss sich nur einmal mit der Geschichte des Wirkstoffs Sibutramin befassen, um das festzustellen. Inzwischen hat er andere Vorlieben entwickelt, doch das Prinzip bleibt das gleiche. Wie es der Zufall will, hat die Firma Pfizer das Medikament Paxlovid zur Behandlung von Covid-19 entwickelt und freut sich schon jetzt auf zahlreiche zahlende Kundschaft. Und das geht nicht von alleine. Vielleicht hat es ja geholfen, dass Lauterbach während seiner eigenen Covid-Erkrankung hinausposaunte, er habe jetzt Paxlovid genommen – obwohl das Medikament in der Regel für ungeimpfte Risikopatienten vorgesehen ist und man den Minister der Herzen zwar als einen Risikofall betrachten darf, aber eher für andere Patienten und nicht für sich selbst.

Paxlovid-Beauftragte für jedes Pflegeheim

Und sicher werden seine neuen Regelungen der weiteren Verbreitung von Paxlovid förderlich sein, denn bisher verläuft der Absatz eher zögerlich und muss unterstützt werden. Selbstverständlich dient es nur dem Wohl der Patienten, wenn Ärzte „das Mittel ab sofort in ihrer Praxis vorrätig haben und direkt an Corona-Patienten abgeben“ dürfen, wie man von der Tagesschau erfährt. Und auch der Umstand, dass eine ärztliche Verordnung „zudem mit 15 Euro vergütet werden“ soll, kann der Verbreitung nicht schaden. Das reicht dem Minister aber noch nicht, denn „darüber hinaus solle jedes Pflegeheim neben einem Impf- auch einen Paxlovid-Beauftragten ernennen, der sich um alles Organisatorische kümmere“. Man fragt sich, warum es nicht schon längst Ibuprofen- oder Candesartan-Beauftragte in den Pfegeheimen gibt, hier werden Missstände aufgedeckt, um die man sich im Ministerium für Gesundheit dringend kümmern sollte, zumal auch die Anzahl der Gender-Beauftragten für Pflegeheime noch sehr zu wünschen übrig lässt.

Pürner

Wie man sieht, äußert er sehr zu Recht den Satz „Solidarität muss sein“, auch wenn er sich eher auf Solidarität mit Teilen der Pharmaindustrie bezieht als auf die mit den Patienten. Vielleicht sollte man sich im Hinblick auf die Ziele seiner Solidarität auch bei Angela Spelsberg informieren, mit der er einmal verheiratet war. Im Zusammenhang mit dem lang andauernden Gerichtsverfahren um den Unterhalt für die gemeinsamen Kinder äußerte sie: „Vor Gericht hatte ich den Eindruck, als ob Geld und Karriere das Wichtigste für ihn seien.“ Und selbst nach einem endlich geschlossenen Vergleich habe Lauterbach noch zu Zahlungen gezwungen werden müssen. Solidarität sieht anders aus.

Interessanter ist jedoch ihre Einschätzung der wissenschaftlichen Qualifikation des Ministers der Herzen. „Er hat ja nicht das Gleiche studiert wie ich. Er war in Health Policy und Management, ich war in Epidemiologie.“ Und zur Frage, wieso sie zu ganz anderen Einschätzungen komme als Lauterbach: „Weil man das Handwerk verstehen muss. Man muss die Daten und Zahlen analysieren und man muss sich auch Zeit nehmen. Ein Politiker hat keine Zeit.“ Und Lauterbach ist Politiker.

Abziehbild eines Wissenschaftlers

Doch Wissenschaftler ist er nicht und ist es auch nie gewesen, schon gar kein Epidemiologe. Einen Doktorgrad hat er erworben, tatsächlich sogar zwei, aber der erste, erworben mit einer Arbeit zur Nuklearmedizin, hat in seinem weiteren Leben keinen wissenschaftlichen Niederschlag gefunden und der zweite spottet jeder Beschreibung. Es ist wahr, dass er in den frühen Neunzigern an der Harvard School of Public Health studiert hat, mit den Schwerpunkten Epidemiologie und Health Policy – doch die Aussage seiner Ex-Frau, er habe mit Epidemiologie nichts zu tun, wird gestützt durch die Tatsache, dass er „1990 einen Master of Public Health (MPH) und 1992 einen Master of Science (M.Sc.) in Health Policy and Management erlangte“. Erst öffentliche Gesundheit, dann der Schwerpunkt auf Gesundheitspolitik und Management – das macht keinen zum Epidemiologen. Und seine in Harvard erstellte Dissertation lässt ihn bestenfalls als Abziehbild eines Wissenschaftlers erscheinen. „Justice and the functions of healthcare“ nennt sich sein Werk, eine trivialphilosophische Plauderei über Probleme des Gesundheitswesens ohne nennenswerten Erkenntnisfortschritt, in der er so tut, als würde er sich mit den philosophischen Theorien von Immanuel Kant und John Rawls zu Gerechtigkeit und Ethik auseinandersetzen. Jeder kann es nachlesen, als Bachelorarbeit könnte der Text heute akzeptiert werden, als eigenständige wissenschaftliche Leistung sicher nicht. Zur Epidemiologie hat die Arbeit nichts beigetragen.

Man sollte nicht vergessen, dass unser beliebter Minister seine akademische Würde aus Harvard 1995 erlangte. Und schon 1996 wurde der hoffnungsvolle Wissenschaftler, der keine ernstzunehmenden Publikationen vorzuweisen hatte, von der Universität zu Köln auf einen Lehrstuhl berufen – in Deutschland die höchste Form der Professur – und mit der Gründung des „Instituts für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft“ beauftragt. Dass es heute den Namen „Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie“ trägt, geht auf seinen Gründer zurück, dem wohl aufgefallen ist, dass der bisherige Name etwas vage klang. Betrachtet man allerdings seine Veröffentlichungen, so hat ihn der epidemiologische Teil seines Instituts wohl nicht übermäßig interessiert.

'Ich bekam die Professur, weil ich der Universität geraten habe, eine solche Professur zu schaffen'

Doch wie hat er es geschafft, innerhalb eines Jahres vom Harvard-Doktoranden mit einer wissenschaftlich irrelevanten Dissertation und ganz ohne Habilitationsschrift zum wohlbestallten Lehrstuhlprofessor aufzusteigen? Das hat uns der Professor 2014 im Rahmen eines sogenannten Ted-Talks in Aachen selbst verraten, man muss ihm dankbar sein. In seinem unvergleichlichen Englisch, das ich hier in die deutsche Sprache übersetze, verriet er: „Ich bekam die Professur, weil ich der Universität geraten habe, eine solche Professur zu schaffen. Später habe ich mich auf genau diese Professur beworben. Und glauben Sie es oder nicht: Ich erfüllte genau die Kriterien der Professur. Das funktionierte also sehr gut.“ Er sagt weiter, es hätte fast noch einmal in Aachen funktioniert, weil er bereits einige Professoren hatte, die überzeugt waren, dass das der richtige Weg für seine alte Alma Mater Aachen sei.

Darauf hätte ich früher kommen sollen. Um an einen Lehrstuhl zu gelangen, muss man nur der Universität die Einrichtung eben jenes Lehrstuhls vorschlagen, der exakt auf die eigene Unfähigkeit zugeschnitten ist, und flugs wird die Professur auch wirklich installiert. Wie er das im Einzelnen geschafft hat, können spätere Historiker herausfinden, besser wäre es, schon heute würden sich Journalisten damit befassen, wie wohl ein völlig unbedeutender Gesundheitsökonom einer Universität erfolgreich vorschlagen kann, ihm einen Lehrstuhl zu schenken. An seiner wissenschaftlichen Qualifikation kann es nicht gelegen haben, die gab es nicht, und er hat auch in den folgenden Jahren nicht viel dazu beigetragen, sie zu verstärken. Die Qualität seiner Habilitationsschrift gab sicher nicht den Ausschlag, er hat nie eine verfasst. Lag es an seinen politischen Kontakten? Oder an den Beziehungen zur Pharmaindustrie, die im Hinblick auf die Beschaffung von Mitteln nie schaden können? Journalisten, die diesen Namen noch verdienen, könnten sich dieser Frage annehmen; ich bezweifle, dass es so weit kommt.

Die einzige Verbindung des Ministers der Herzen zur Wissenschaft besteht darin, dass er vor langer Zeit ohne nennenswerte Qualifikation einen Lehrstuhl erhalten hat. Das will ich ihm gerne gönnen, aber er sollte sich nicht immer und immer wieder als Wissenschaftler aufspielen und unzählige Menschen mit seinen Vorstellungen behelligen, die mit Wissenschaft nichts zu tun haben. Dass der Inhaber der politischen Richtlinienkompetenz, Olaf Scholz, dem unseligen Treiben seines Ministers ein Ende setzt, ist nicht zu erwarten. Scholz wird bekanntlich von Gedächtnisproblemen heimgesucht, sobald er sich mit Problemen wie beispielsweise Cum-Ex-Geschäften konfrontiert sieht. Warum sollte es in diesem Fall anders sein? Vermutlich fragt er sich während jeder Kabinettssitzung, wer denn wohl der abgehärmte Mensch mit dem irrlichternden Blick und den wirren Reden sein mag, weil er seine Existenz seit der letzten Sitzung vergessen hat.

Wie kann man damit umgehen? Ich stelle mir vor: Karl Lauterbach, Minister der Herzen, hält eine Rede, geht durch die Straßen, hält sich irgendwo in der Öffentlichkeit auf. Ich schlage nicht vor, ihm Argumente entgegen zu halten, bei ihm führt das zu nichts. Aber vielleicht kann man ihm einen Spiegel vorhalten, eine Beschreibung seiner Person in Form eines einfachen und leicht zu verstehenden Songs, in den jeder einstimmen kann, falls er dem Minister etwas zu sagen hat. Man kann ihn sich auf Youtube anhören und ansehen, solange ihn dort noch keine zuständige Zensurkraft bemerkt und dann postwendend gelöscht hat. Und zur Sicherheit findet man das Video auch hier, am Ende dieses Textes, denn auf die Freude von Youtube an der Meinungsfreiheit darf man sich nicht verlassen. Wann immer sich eine Gelegenheit ergibt, Lauterbach und seine Jünger mit sich selbst zu konfrontieren, wann und wo auch immer ein Spaziergang oder eine Demonstration eine musikalische Untermalung braucht, die über Bella Ciao hinausgeht, darf ich das folgende Lied über den Minister der Herzen empfehlen. Uns bleibt nur noch der Humor, um solchen Leuten entgegenzutreten.

David gegen Goliath
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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