Wenn Doppelmoral und Heuchelei Abwärme erzeugen würden, dann wäre Berlin selbst in diesen eisigen Tagen eine große Freilichtsauna. „Nach der Sperrung mehrerer US-Reporter auf Twitter denkt die Bundesregierung laut über Konsequenzen nach. Die EU droht Elon Musk mit Sanktionen“, verkündet das Zentralorgan von Rotgrün, die „Zeit“. Dass der Auslöser für die Sperrungen ein Aktivist war, der unter dem Deckmantel des Journalismus persönliche Details wie die jeweiligen Aufenthaltsorte von Musk veröffentlichte und damit seine Sicherheit gefährdete, verschweigt die „Zeit“ ihren Lesern in manipulativer Manier. Offenbar passt es nicht zur beabsichtigten Botschaft.
Dass in Deutschland ständig Journalisten gesperrt werden, dass ich etwa zeitweise hunderttausende Abonnenten nicht mehr über meine Arbeit in der Bundespressekonferenz informieren konnte – das hat weder deutsche Medien noch die Bundesregierung jemals gekümmert.
Schlimmer noch: Obwohl ich das Thema wiederholt auf der Bundespressekonferenz ansprach und Merkel-Sprecher Steffen Seibert und seine Stellvertreter danach befragte, antworteten sie stets in hämischer Art und Weise, es gehe hier quasi um eine Privatangelegenheit, und es handele sich bei den sozialen Netzwerken um Privatfirmen, die Regierung habe damit nichts zu tun (siehe mein Beitrag „Bundesregierung für Pressefreiheit – aber nicht in Deutschland“). Obwohl die „Twitter-Files“, die Neu-Eigner Elon Musk jetzt öffentlich machte, belegen, wie massiv der Einfluss der Politik auf die Sperrungen und generell den Kurs des Internetgiganten war.
Auch der Vorstand der Bundespressekonferenz hat bisher bei allen Fällen der Zensur meiner Kanäle geschwiegen. Unterstützung kam auch nicht von anderen Medien. Und nicht von den deutschen Journalisten, die sich jetzt wegen Twitter echauffieren. Wie etwa Monitor-Chef Georg Restle von der ARD. Die Blindheit von ihm und seinen Kulturkampf-Mitstreitern auf einem Auge ist schlicht faszinierend.
Und nun vergleichen Sie das bitte damit, was weiter im Zentralorgan der Kulturrevolution, der „Zeit“, steht: „Das Auswärtige Amt wertete die Sperrung der Journalisten-Accounts als Angriff auf die Medienfreiheit. ‘Pressefreiheit darf nicht nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden‘, hieß es in einem Tweet des Ministeriums. Die gesperrten Journalisten könnten nun auch dem Auswärtigen Amt nicht mehr folgen, nicht mehr kommentieren und kritisieren. ‘Damit haben wir ein Problem @Twitter.‘ Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte: ‘Aus unserer Sicht ist Pressefreiheit ein extrem hohes Gut und das gilt es zu verteidigen, wenn es infrage gestellt wird, sei es durch Staaten, sei es durch private Akteure.‘“
Weiter heißt es in der Zeit: „Als ‘willkürlich‘ kritisierte die Europäische Union die Suspendierung der Journalisten von Twitter. ‘Die Nachrichten über die willkürliche Suspendierung von Journalisten sind besorgniserregend‘, schrieb Vizekommissionspräsidentin Věra Jourová.“
Was ich mich frage bei solchen Aussagen: Sind sich diejenigen, die sie tätigen, ihrer Doppelmoral und Heuchelei bewusst? Oder verdrängen sie diese – im Glauben, die „Guten“ zu sein? Aber kann man es verdrängen, wenn man bei den einen Sperrungen und Zensur beklatscht und bei den anderen beklagt? Und eine Frage, die mich fast noch mehr beschäftigt: Warum nimmt eine Mehrheit in unserem Land diese Doppelmoral schweigend hin? Und wählt diejenigen, die dafür verantwortlich sind, zuverlässig immer wieder in ihre Ämter?
Falsches Verständnis von Meinungsfreiheit
Was unsere Glaubenskrieger im polit-medialen Komplex geflissentlich ausblenden: Meinungsfreiheit ist immer die für andere Meinungen. Für unbequeme. Die Grundrechte sind eben keine Schönwetter-Regeln, die für die Rotgrünen und „Woken“ gelten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Sie dienen dem Schutz von Widerspruch und Kritik. Auch harter.
Insofern halte ich auch die jetzigen Sperrungen für falsch. Das sieht inzwischen auch Musk selbst so. Er hat die Sperren inzwischen als Fehler bezeichnet und aufgehoben. Bei den zahlreichen Sperren von Regierungskritikern in Deutschland geschah so etwas nur in den seltensten Fällen. Meine Facebook-Seite ist bis heute beeinträchtigt, meine LinkedIn-Seite bis heute gesperrt, ebenso mein Paypal-Account.
Bild: ShutterstockEs gehört mehr Größe dazu, eigene Fehler zu korrigieren, als immer alles richtig zu machen. Daher: Respekt dafür, dass @elonmusk die gesperrten Journalistenkanäle wieder frei gibt.
Nicht gefällt mir, dass darüber abgestimmt wurde. Denn Meinungsfreiheit ist Minderheitenschutz.
— Marco Buschmann (@MarcoBuschmann) December 17, 2022