Von Kai Rebmann
Deutschland steuert auf einen besorgniserregenden Bildungsnotstand zu. Sicher, diese Erkenntnis ist nicht neu, das Ausmaß der Schwächen in grundlegenden Kompetenzen wie Rechnen, Lesen oder Schreiben kann wohl nur noch als eklatant bezeichnet werden. Besonders erschreckend: Beim Lesen erreichen die Viertklässler an deutschen Grundschulen nicht einmal mehr den Durchschnitt aller EU- und OECD-Staaten. Das zeigt die am Dienstag veröffentlichte IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung), an der mehr als 400.000 Kinder aus 65 Ländern und Regionen teilnahmen.
Doch woran liegt das? Der Schock steht den dafür verantwortlichen Politikern ins Gesicht geschrieben bzw. lässt sich an deren Worten ablesen. Im Haus von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) werden die üblichen Phrasen gedroschen: „Es ist alarmierend, wenn ein Viertel unserer Viertklässlerinnen und Viertklässler beim Lesen als leistungsschwach gilt.“ Recht hat sie, die Frau Ministerin, aber die Feststellung und vor allem Benennung eines Problems ist eben nur der allererste Schritt auf dem Weg zu einer möglichen Lösung.
Aus dem Mund von Staatssekretärin Sabine Döring hört sich das dann so an: „Ein ‚Weiter so‘ darf es unter keinen Umständen geben. Wir brauchen dringend eine bildungspolitische Trendwende.“ Dabei hat Stark-Watzinger – wohl ohne es zu wollen – schon auf einen Teil des Problems hingewiesen, als sie von „Viertklässlerinnen und Viertklässlern“ sprach.
Das ist noch die harmloseste aller „gendergerechten Formulierungen“ und im Gegensatz zu den meisten anderen Versionen (Genderstern, Unterstrich, Doppelpunkt etc. pp.) sogar noch mit der gängigen Orthografie und den Empfehlungen des Rechtschreibrats halbwegs vereinbar. Darf es ernsthaft verwundern, wenn Kinder aus ohnehin schon bildungsfernen Familien und/oder solchen mit Migrationshintergrund bei solchen Ungetümen, mit denen sie heutzutage schon in der Grundschule indoktriniert werden, nur noch Bahnhof verstehen bzw. lesen?
Dramatischer Leistungsabfall
Besonders alarmierend: Im Jahr 2001 lag die mittlere Lesekompetenz deutscher Viertklässler noch bei 539 Punkten und fiel bis zum Jahr 2016, als die IGLU-Studie letztmals durchgeführt worden war, „nur“ auf 537 Punkte ab. Bei der aktuellen Untersuchung wurde an den hiesigen Grundschulen ein Ergebnis von nur noch 524 Punkten und damit ein Platz im Mittelfeld erreicht. An der Spitze liegt Singapur (587 Punkte), der Durchschnitt der EU- und OECD-Staaten liegt bei 527 Punkten.
Auch die CDU tut sich bei der Suche nach Ursachen für die offensichtliche Misere schwer. Die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch räumt ein, dass die Ergebnisse nicht „vollkommen überraschend“ kämen, stochert ansonsten aber auch nur im Nebel und ist sich trotzdem sicher: Die Pandemie erkläre einen Teil, aber nicht alles.
Falsch, die „Pandemie“ erklärt überhaupt nichts. Eine Atemwegserkrankung als solche ist nicht schuld daran, wenn Millionen deutsche Kinder und Jugendliche nicht (mehr) lesen und schreiben können bzw. selbiges gar nicht erst richtig lernen. Wenn überhaupt, dann kann die CDU-Frau damit höchstens die von der deutschen Politik erlassenen Maßnahmen meinen – und die erklären eine ganze Menge. Wohl vor allem deshalb spricht Günther-Wünsch an dieser Stelle lieber von „Pandemie“ als von „Maßnahmen“.
Aber ganz bestimmt steht der dramatische Leistungsabfall zwischen den beiden jüngsten IGLU-Studien – jener aus dem Jahr 2016 und der aktuellen Untersuchung – einmal mehr nur rein zufällig in dem viel zitierten „zeitlichen Zusammenhang“ mit den Schulschließungen, Lockdowns und vielem mehr, keinesfalls aber in einem kausalen Zusammenhang.
Kommt jetzt der Bildungs-Wumms?
Und auch bei einer anderen Frage reden die formalen Eliten der deutschen Bildungspolitik nach allen Regeln der Kunst um den heißen Brei herum. Eine weitere Herausforderung bestehe darin, so Günther-Wünsch als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Antworten auf die „wachsende Heterogenität der Schülerlandschaft“ zu finden. Es gehe dabei nicht nur um Bildungspolitik, gefragt seien auch andere Politikfelder.
Ohne es explizit beim Namen zu nennen, verweist die Berliner Bildungssenatorin damit wohl nicht zuletzt auf die Integrationspolitik. Natürlich schlägt es sich in den durchschnittlichen Leistungen an deutschen Schulen nieder, wenn selbst in Familien, die in zweiter oder dritter Generation hier leben, nicht Deutsch gesprochen wird.
Und dieses Problem wird sich mit Geld allein nicht lösen lassen. Bundesministerin Stark-Watzinger erklärte, der Bund werde in den kommenden zehn Jahren bis zu eine Milliarde Euro jährlich zur Verfügung stellen – jedoch unter der Bedingung, dass auch die Länder denselben Betrag beisteuern. Dieses Geld müsse dann dort eingesetzt werden, wo der Bedarf am größten sei, sprich es die meisten Kinder gibt, deren Familien von Transferleistungen leben.
Dieser Plan hat aber gleich drei Haken: Erstens ist jede finanzielle Förderung zum Scheitern verurteilt, wenn es am Willen zur aktiven Integration fehlt. Zweitens sieht der sogenannte „Königsteiner Schlüssel“ eine genau entgegengesetzte Verteilung von Bundesmitteln vor – die Länder mit hoher Wirtschaftskraft und vielen Einwohnern bekommen das meiste Geld, demzufolge also etwa Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Drittens zeigen sich die Länder wenig begeistert davon, sich in der geforderten Höhe an einer solchen Finanzierung zu beteiligen.
Mehr als ein Viertel scheitert am Mindeststandard
Im Rahmen der IGLU-Studie wird die Lesekompetenz in fünf Leistungsstufen beurteilt. An Stufe I (weniger als 400 Punkte) scheiterten in diesem Jahr 6,4 Prozent der Viertklässler an deutschen Grundschulen. Weitere 19,0 Prozent erreichten zwischen 400 und 475 Punkten, was der Stufe II entspricht. Als „Mindeststandard“ gilt jedoch die Stufe III, wofür ein Ergebnis von 476 bis 550 Punkten erreicht werden muss, was unter den deutschen Schülern nur 35,5 Prozent schafften.
Überdurchschnittliche Resultate der Stufen IV und V (551 bis 625 Punkte bzw. mehr als 625 Punkte) erzielten 30,9 Prozent bzw. 8,3 Prozent der Viertklässler. Dieses Ergebnis ergibt sich aus entsprechenden Lesetests, die unter 4.611 Kindern an 252 deutschen Grundschulen durchgeführt wurden.
Wichtig: Die Daten aus Deutschland wurden im Frühjahr 2021 erhoben, also just zu der Zeit, als die Schulen hierzulande alles Mögliche waren – nur eben kein Ort des regelmäßigen und qualifizierten Lernens.
Auf meiner Seite konnten Sie schon 2021 lesen, was damals noch als „Corona-Ketzerei“ galt – und heute selbst von den großen Medien eingestanden werden muss. Kritischer Journalismus ist wie ein Eisbrecher – er schlägt Schneisen in die Einheitsmeinung. Dafür muss man einiges aushalten. Aber nur so bricht man das Eis. Langsam, aber sicher. Diese Arbeit ist nur mit Ihrer Unterstützung möglich! Helfen Sie mit, sichern Sie kritischen, unabhängigen Journalismus, der keine GEZ-Gebühren oder Steuergelder bekommt, und keinen Milliardär als Sponsor hat. Und deswegen nur Ihnen gegenüber verpflichtet ist – den Lesern! 1000 Dank!!!
Aktuell sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link. Alternativ via Banküberweisung, IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut.
Mein aktuelles Video
Corona hat gezeigt: Der Geist der Bücherverbrennung vom 10.5.33 ist auch nach 90 Jahre noch lebendig
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockMehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de