Von reitschuster.de
Es ist inzwischen fast drei Jahre her, dass in Deutschland zum letzten Mal regelmäßige Schwimmkurse für Kinder unter halbwegs normalen Bedingungen angeboten und durchgeführt wurden. Zuerst sorgten die im Zusammenhang mit Corona erlassenen Maßnahmen für geschlossene Schwimmbäder, jetzt müssen wegen der Energiekrise weitgehende Einschränkungen in Kauf genommen werden. Und wieder einmal sind es die Jüngsten unserer Gesellschaft, die das Versagen von Politik in Bund und Ländern am deutlichsten zu spüren bekommen sollen. Zahlreiche Städte und Gemeinden haben bereits angekündigt, das Wasser in den Becken ihrer Hallenbäder nur noch auf maximal 26 Grad zu heizen.
Das hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Schwimmkurse für Kinder, bei denen eigentlich Wassertemperaturen um 29 Grad üblich sind. Ausnahmen werden beim Energiesparen auch für die Kleinsten nicht gemacht, ganz im Gegenteil. In den meisten Kommunen gelten die 26 Grad als starre Obergrenze, die nicht überschritten werden darf. Für Planschbecken, in denen Kleinkinder an das Wasser gewöhnt werden sollen, empfiehlt die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG) eine Temperatur von mindestens 32 Grad, so dass etwa das Babyschwimmen in Hessen in diesem Jahr ins Wasser fällt, wie der dortige Landesverband des DLRG beklagt. Denn: „26 Grad wären für die Allerkleinsten einfach zu kühl“, wie Elke Liedtke vom TaunaBad in Oberursel gegenüber der „Hessenschau“ erklärt. Anstatt über eine Ausnahme nachzudenken, wurde das Babyschwimmen kurzerhand aus dem Programm genommen. Wichtig sei im Moment, dass jeder Badegast seinen Teil zum Energiesparen beitrage und die niedrigen Wassertemperaturen akzeptiere, meint Liedtke.
Neoprenanzüge sollen vor Unterkühlung schützen
Die DLRG macht unterdessen gute Miene zum bösen Spiel, wohl auch, weil dem Anbieter zahlreicher Schwimmkurse für Kinder nicht viel anderes übrigbleibt. „Kühlere Becken sind besser als ganz geschlossene Bäder“, lautet denn auch die Devise von Michael Hohmann. Der Präsident der DLRG Hessen setzt sich vehement dafür ein, dass Sport und Schwimmkurse grundsätzlich ermöglicht werden müssen und verweist auf die riesige Nachfrage in diesem Bereich. Die meisten von der DLRG angebotenen Kurse seien „in Windeseile belegt“, wie Hohmann berichtet. Das kann auch der im Oberurseler Hallenbad ansässige Schwimmclub bestätigen. In den kommenden Monaten werden dort zehn Schwimmkurse angeboten, die Nachfrage hätte aber für 15 gereicht.
Ganz geheuer ist das im wahrsten Sinne des Wortes kühle Nass aber nicht allen, am wenigsten den Eltern der Schwimmanfänger. Viele schicken ihren Nachwuchs inzwischen mit dem Neoprenanzug zum Schwimmkurs, um die Kinder vor einer Unterkühlung zu schützen. Hohmann hat damit zwar kein grundsätzliches Problem, warnt aber gleichzeitig: „Neopren-Anzüge sind okay, aber sie geben auch Auftrieb. Wenn die Kinder dann ohne sie schwimmen, sollte beobachtet werden, wie sie klarkommen.“ Mit anderen Worten: Richtiges Schwimmenlernen geht anders. Die Gesundheit der Kinder sieht der DLRG-Präsident angesichts der niedrigen Wassertemperaturen aber nicht gefährdet. „Wir erwarten deshalb keine Krankheitswelle“, so Hohmann. Dennoch macht sich die DLRG dafür stark, dass die Temperatur in den Schwimmbecken wieder erhöht werden müsse, sobald die Versorgungssicherheit in Deutschland dies zulasse.
Experten sehen Generation von Nichtschwimmern heranwachsen
Die Freude über die Empfehlung des Städte- und Gemeindebundes zur Absenkung der Temperaturen in den Bädern hält sich auch bei Peter Haas in sehr überschaubaren Grenzen. Der Vorstand des Schwimmclubs in Oberursel sieht die 26 Grad als „Limit des Zumutbaren“ an und ärgert sich: „Es kann nicht sein, dass die kleinen Kinder, die Schwimmen lernen sollen, darunter leiden.“ Falls die Lage sich weiter verschlimmere und noch mehr Kurse ausfielen, riskiere man eine Generation von Nichtschwimmern, so die deutliche Warnung des Experten.
Die Bedenken von Peter Haas scheinen nicht unbegründet. Im Frühjahr 2022 wies auch Ute Vogt, die Präsidentin des DLRG-Bundesverbandes, auf diese negative Entwicklung hin. Man sehe es mit Sorge, dass „nur 40 Prozent der Zehnjährigen sicher schwimmen können.“ Dazu hätten auch die im Corona-Jahr 2020 geschlossenen Bäder „stark beigetragen“, wie Vogt damals vermutete. In dieser Zeit sei in den Anfängerkursen nur rund die Hälfte der ansonsten üblichen Teilnehmerzahlen registriert worden.
Glaubt man den Einschätzungen der Experten von DLRG und Schwimmclubs, so scheint es gut möglich, dass das Energiesparen in den Schwimmbädern im Winter 2022/23 die Gesellschaft teuer zu stehen kommen wird. Die offenbar gewaltige Nachfrage nach Schwimmkursen für Kinder, zu sehen etwa im TaunaBad in Oberursel, zeigt, dass das Problem von Eltern und Experten längst erkannt worden ist. Hier wird also einmal am falschen Ende gespart und vor allem – wieder mal – auf Kosten unserer Kinder.
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