Von Alexander Wallasch
700 Lehrer haben in Berlin schon gekündigt, berichtete gestern der Tagesspiegel: „Neue Kündigungswelle an Berliner Schulen verschärft Personalnot“. Aber auch das scheint in der Hauptstadt nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Denn schon seit längerem fehlen die ausgebildeten Lehrer, und die Schulen müssen mit Hilfslehrkräften die eklatanten Lücken füllen.
Die Zeitung hatte mit Sven Zimmerschied, dem Co-Vorsitzenden der Berliner Vereinigung der Sekundarschulleitungen gesprochen. Es soll laut Zimmerschied sogar Schulen geben, „die keine einzige regulär ausgebildete Lehrkraft mehr finden“. Die Zeitung fand heraus, dass von 33.000 Lehrern in Berlin die Zahl der Quereinsteiger, die kein Lehramtsstudium nachweisen können, inzwischen bei rund 7.000 liegt.
Aber was ist in Berlin so unattraktiv für Lehrkräfte? Die Zeit nennt einen Grund: Berlin sei das einzige Bundesland, das Lehrkräfte nicht verbeamtet. Mehrere Berliner Schulleiterverbände hätten vor den Ferien angesichts des Lehrkräftemangels Alarm geschlagen und gefordert, zur Verbeamtung zurückzukehren. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Schulleiterverbände sagte schon im Juni die Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen (IBS), Astrid-Sabine Busse: „Die wichtigsten Akteure sind und bleiben die Lehrerinnen und Lehrer. Die sind so knapp wie Goldstaub. Und es wird jedes Jahr enger.“
In Berlin steigen die Schülerzahlen kontinuierlich. Gleichzeitig gehen gerade viele Lehrer und Lehrerinnen in Pension. Besonders schlimm soll es die Ausbildung der Schüler in den Fächern Naturwissenschaften, Informatik und Mathematik treffen. Also ausgerechnet in jenen Fächern, die wesentlich dazu beitrugen, dass die deutsche Wirtschaft so erfolgreich war.
Die Leiterin einer Grundschule in Neukölln sagte gegenüber dem Sender: „Die Unterrichtsqualität leidet.“ Aber wie erschreckend ist das angesichts der sowieso schon so massiven Unterrichtsausfälle durch die Corona-Maßnahmen? Verlieren wir hier eine ganze Generation Kinder?
Und dabei sind wir noch nicht einmal dort angekommen, wo ein weiterer noch viel gewichtigerer Grund für den Lehrermangel entstanden sein könnte. Möglicherweise – und um in Neukölln zu verbleiben – sind es noch weitere Faktoren, über welche die hier zitierten Zeitungen und der ÖR-Sender im Zusammenhang mit der Kündigungswelle dann doch lieber nicht berichten mögen: Wieder der Tagesspiegel titelte schon 2018: „Kaum deutsche Muttersprachler an Berlins Brennpunktschulen“. Und diese Schulen heißen nicht nur deshalb „Brennpunktschulen“, weil es Sprachbarrieren gibt. Die Probleme sind so vielfältig, dass sie mit der immer wieder politisch geforderten „Vielfalt“ sicher wenig zu tun haben können.
Gegenwehr mit Händen und Füßen
Eltern haben Angst vor der Kiezschule – ergänzte wiederum der ÖR-Sender im Juni dieses Jahres. Mehr als ein Drittel der Berliner Eltern wehren sich mit Händen und Füßen, ihre Kinder dort einzuschulen, wo sie in bunter Vielfalt leben.
Und hierbei handelt es sich mehrheitlich um hier geborene Eltern, von denen nicht wenige in die Berliner Randbezirke umziehen, um der Einschulung ihrer Sprösslinge in Migrantenklassen zu entgehen: „Teilweise ziehen sie aus Neukölln weg, in die Randbezirke, um den unbeliebten Einzugsschulen auszuweichen.“
Und hier stellt sich dann schon die Frage, warum das bei Lehrern anders sein sollte, noch dazu, wenn die attraktive Verbeamtung fehlt. Der Schulleiter einer Grundschule sieht sich bereits dazu veranlasst, die Eltern mit folgenden Sätzen zu beruhigen: „Kinder verlernen hier kein Deutsch.“ Sie nennen es etwas verschämt den ndH-Wert. Was den Anteil der Schülerinnen und Schülern mit „nicht-deutscher Herkunftssprache“ meint. Der liegt in Neukölln an der Grundschule des zitierten Schulleiters bei 90 Prozent.
Im Juli 2014 waren bereits 109.990 Kinder und Jugendliche „nichtdeutscher Herkunftssprache“, demnach betraf das schon vor Beginn der Massenzuwanderung mehr als jeden dritten Schüler in Berlin. Damals schon wurde dieser Wert in den Schulstatistiken im Internet von Eltern am häufigsten aufgerufen. So liberal sich diese deutschen Eltern gemeinhin geben mögen, ihr Internetverhalten erzählte viel mehr über ihre inneren Befindlichkeiten, was ihren Nachwuchs angeht – spätestens da kollidiert dann Wunschdenken mit der Realität.
Von Gewaltausbrüchen schon an Grundschulen und sogar antisemitischen Ausfällen unter den Schülern wird berichtet. Was die Neue Zürcher Zeitung bereits Anfang 2018 schrieb, mag auch bei vielen angehenden Lehrern angekommen sein und die Wahl ihres Berufsstandorts mit beeinflusst haben:
Mit Messer und Pfefferspray zur Schule
„Sicherheit hat ihren Preis. Sie kostet an der Berliner Spreewald-Grundschule 1.700 Euro pro Woche. So viel gibt man dort für drei Wachleute aus. Manche weiterführende Schule in Berlin wird schon länger von Wachpersonal geschützt. Neu ist, dass nun auch vor einer Grundschule für Fünf- bis Elfjährige ein Sicherheitsdienst patrouilliert. Der Grund dafür sind Schüler, die mit pädagogischen Mitteln kaum in den Griff zu bekommen sind. Sie drohen Andersgläubigen und kommen mit Messer und Pfefferspray zur Schule.“
Währenddessen beschäftigt sich der Berliner Senat Anfang des Jahres aber lieber damit, eine Migrations-Quote im öffentlichen Dienst einzuführen. Im Januar erklärte Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei) gegenüber der linkspopulistischen taz: „Wir sind eine diverse Gesellschaft, und das muss sich widerspiegeln im öffentlichen Dienst.“ Nun stelle man sich mal demgegenüber den Satz der Berliner Eltern vor: Wir sind in Deutschland, das muss sich doch auch in der Zusammensetzung der Schüler widerspiegeln. Die Forderung nach Quoten ist also auch zweischneidig, einmal hui, einmal pfui. Einmal politisch korrekt, einmal rassistisch.
Und es ist tatsächlich skandalös, wie die Berliner Senatsverwaltung mit dem Problem umgeht. Da wird die Verantwortung einfach an die Schulleiter weitergereicht: „Schulen müssen Krisensituationen eigenverantwortlich aufarbeiten. Dazu gehört Hilfe und Unterstützung für die Betroffenen, Kommunikation mit allen Beteiligten und geeignete Maßnahmen, um Konflikte zu lösen und den Schulfrieden wiederherzustellen. Sie werden von Kooperationspartnern wie Schulpsychologie, Jugendamt, Polizei und Gesundheitseinrichtungen unterstützt.“
Da heißt es unter anderem auch, die Fürsorgepflicht müsse sowohl gegenüber den Schülern als auch dem Schulpersonal wahrgenommen werden. Angehende Lehrer in Berlin haben hier aber offensichtlich kein Vertrauen mehr, dass das ausreichend passiert. Stattdessen bietet die rot-rot-grüne Senatsverwaltung ihren Schulen „Formulare zur Meldung von Gewaltvorfällen und Notfällen“. Es wird also bürokratisch abgeheftet bzw. digital verwaltet.
‘Von einer Frau lasse ich mir nichts sagen‘
Der Tagesspiegel, der über die abwandernden Lehrer berichtet, aber sich ziert, im Zusammenhang mit den Kündigungen einen wichtigen Beweggrund zu nennen, berichtete an anderer Stelle darüber, dass sich patriarchalische Strukturen auf Berliner Schulen auswirken und zitiert Elternteile mit Migrationshintergrund: „Von einer Frau lasse ich mir nichts sagen.“
Berliner Lehrer bekommen von muslimischen Schülern schon mal Folgendes zu hören: „Ist doch normal, dass ein Junge ein Mädchen schlägt.“ Kaum auszudenken, wie es einem offen homosexuellen Lehrer in Berlin bei dieser Zusammensetzung seiner Schüler ergehen würde. Stattdessen übt man sich in Berlin in wohl irgendwie auch ehrenwerten, aber doch ziemlich weltfremd wirkenden Projekten angesichts der Kündigungswelle der Berliner Lehrer.
Einmal mehr zeigt sich also, wie ungemein wichtig es ist, Probleme offen zu benennen und darauf zu reagieren. So wie es in Berlin aktuell läuft, wird aber weder den Kindern noch den Lehrern ein Gefallen getan. Eltern wandern dann mit ihren Kindern spätestens im Einschulungsalter ebenso ab wie besagte Lehrer. Aber wohin? Die Räume werden enger, die – und man muss es so benennen: herkunftsdeutschen – Enklaven am Stadtrand werden noch größer und die Innenstädte entwickeln sich immer mehr zu Brennpunkten mit hohem Migrationsanteil und einer immer weiter sinkenden Integrationsbereitschaft in die deutsche Mehrheitsgesellschaft – in die was?
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Bokehboo Studios/ShutterstockText: Gast
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