Hitler und die DDR: historische Parallelen jenseits der Hysterie War Hitler ein Sozialist?

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Nun liegt das Gespräch zwischen Elon Musk und Alice Weidel einige Tage zurück und erstaunlicherweise existiert die Welt immer noch, ja sogar „unsere Demokratie“, die von den üblichen Verdächtigen so gerne in Beschlag genommen wird, treibt immer noch ihre Blüten – man konnte es beim Parteitag der AfD in Riesa beobachten, als die Hüter „unserer Demokratie“ in guter terroristischer Tradition ihre demokratischen Vorstellungen an den Tag legten. Übermäßig ergiebig war das Gespräch nicht, man erfuhr nicht viel Neues und wer zwischenzeitlich eine Pause einlegte, um Rotwein aus der Küche zu holen, dürfte kaum etwas verpasst haben.

Doch in eine Stelle verbeißen sich „unsere Demokraten“, eine Äußerung Weidels treibt ihnen die Zornesröte ins Gesicht und den Schweiß auf die Stirn. Hitler, so sagte Weidel, „war ein Kommunist und betrachtete sich selbst als Sozialist,“ man habe die gesamte Industrie verstaatlicht, Hitler sei „ein kommunistischer, sozialistischer Typ“ gewesen. Die Aufregung ist groß, die Argumente, soweit vorhanden, sind unterschiedlich. In der „Welt“ konnte man die Auffassung des Historikers Jens-Christian Wagner lesen, es sei schon deswegen „an Absurdität überhaupt nicht zu überbieten, Hitler als Kommunisten zu bezeichnen“, weil er Kommunisten in Konzentrationslager habe sperren lassen. Folgt man dieser Logik, so darf man auch Stalin nicht mehr als Kommunisten bezeichnen, jenen Stalin, der Kommunisten in Lager sperren und ermorden ließ, wie es ihm behagte – und so etwas kann man Kommunisten ja anscheinend nicht unterstellen. Man müsste dann auch Hitler selbst vom Vorwurf nationalsozialistischer Gesinnung freisprechen, denn wie schon die angebliche Niederschlagung des ebenso angeblichen Röhm-Putsches zeigte, bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, Nationalsozialisten verhaften, einsperren und ermorden zu lassen. Bei der Welt glaubt man wohl, das gehe nur, wenn unterschiedliche Ideologien aufeinander prallen.

Die Tagesschau dagegen hat einen Historiker aufgetrieben, der bezeugt, „Hitler selbst habe im Jahr 1928 erklärt, dass seine Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) nicht sozialistisch sei“. Allerdings sagte er auch unmittelbar nach der Machtübernahme im Kreis von Generälen: „Ich bin auch Sozialist, weil ich glaube, dass damit dem Nationalsozialismus am besten gedient ist. Die Wehrmacht ist die grandioseste sozialistische Einrichtung.“ Und noch 1942 versicherte er, aus dem Russlandfeldzug sei noch keiner zurückgekehrt ohne die Überzeugung, „dass, wenn überhaupt ein sozialistischer Staat irgendwo in der Verwirklichung begriffen war, dies nur in Deutschland allein geschah“. Das mag man nun für passend halten oder nicht, am Selbstzeugnis ändert das nichts.

Es gibt bessere Argumente gegen Weidels These und sie verdienen Beachtung. Kommunisten pflegen sich in aller Regel auf Marx zu berufen, insbesondere auf seine sonderbare Vorstellung, das eherne Gesetz der Geschichte erkannt zu haben, die zwangsläufig auf die proletarische Revolution hinauslaufe, und auf seine Idee der Verstaatlichung der Produktionsmittel. Die erste Vorstellung wird man bei Hitler nicht finden und die Verstaatlichung im großen Stil hat zumindest vor dem Krieg nicht stattgefunden – oberflächlich betrachtet. Darauf werde ich noch zurückkommen.

Zunächst will ich aber einen Zeugen zitieren, der rechtsextremer Umtriebe wohl kaum verdächtig sein dürfte: Kurt Schumacher, erster Vorsitzender der SPD nach dem zweiten Weltkrieg und aus eigener leidvoller Erfahrung ausgesprochen vertraut mit den Praktiken der Nationalsozialisten. Er kannte sie schon früh und hat sie schon früh eingeschätzt: Die Kommunisten, sagte er 1930, seien nur „rot lackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten“. Auch nach dem Krieg bezeichnete er Kommunisten als „rot lackierte Faschisten“ und wies darauf hin, „dass zum Beispiel die Schalmeienkapelle des Rotfront-Kämpfer-Bundes in Berlin-Lichtenberg geschlossen zur SA übergegangen“ war“ und genauso begeistert auf Sozialdemokraten einprügelte wie vorher. Das sind Worte eines Kenners sowohl der Nationalsozialisten als auch der Kommunisten, man sollte sie nicht einfach vom Tisch wischen. Sicher, der Gedanke einer zwangsläufig stattfindenden proletarischen Revolution war den Nationalsozialisten eher fremd, aber die Methoden der Kommunisten übernahmen sie gerne – und umgekehrt.

Auch ein zweiter unverdächtiger Zeuge sollte zu Wort kommen. Es handelt sich um Sebastian Haffner, dessen Buch „Anmerkungen zu Hitler“ von 1978 immerhin als preiswürdig angesehen und in mehrere Sprachen übersetzt wurde; rechtsextreme Bestrebungen hat ihm wohl niemand vorgeworfen oder vorwerfen können. Über die konservative Opposition gegen Hitler liest man dort: „Es war die einzige Opposition, die ihm bis zum Schluss zu schaffen machte; die einzige, die eine, wenn auch geringe Chance hatte, ihn zu Fall zu bringen, und die wenigstens einmal auch den Versuch dazu machte. Und diese Opposition kam von rechts. Von ihr aus gesehen stand Hitler links. Das gibt zu denken. Hitler ist keineswegs so leicht als extrem rechts im politischen Spektrum einzuordnen, wie es viele Leute heute zu tun gewohnt sind.“ Immerhin vertritt hier ein renommierter Zeitzeuge die Auffassung, Hitler habe aus der Sicht der Konservativen, der „Rechten“, links gestanden und seine Einordnung in das beliebte Links-Rechts-Schema sei problematisch. Vermutlich wird man sein Buch bald auf den Index setzen.

Und es geht noch weiter. „Wer mit Marx das entscheidende oder sogar das alleinige Merkmal des Sozialismus in der Sozialisierung der Produktionsmittel sieht, wird diese sozialistische Seite des Nationalsozialismus natürlich ableugnen. Hitler hat keine Produktionsmittel sozialisiert, also war er kein Sozialist: Damit ist für den Marxisten alles erledigt. Aber Vorsicht! So einfach ist die Sache nicht.“ Denn auch die sozialistischen Staaten haben alles darangesetzt, die Menschen zu sozialisieren, „also sie, möglichst von der Wiege bis zur Bahre, kollektiv zu organisieren und zu einer kollektiven, ’sozialistischen‘ Lebensführung zu nötigen, sie ‚fest in eine Disziplin einzuordnen‘. Es fragt sich durchaus, ob das nicht, trotz Marx, die wichtigere Seite des Sozialismus ist.“

'Hitler war darin unzweifelhaft Sozialist'

Haffner begründet diese Parallele mit einem Vergleich des Lebens im NS-Staat mit dem in der 1978 noch quicklebendigen DDR, den ich im Folgenden ohne Unterbrechungen zitiere. „Worin sich das Leben der riesigen Mehrheit von Deutschen, die keine rassisch oder politisch Ausgeschlossenen und Verfolgten waren, im Dritten Reich von dem Leben im vorhitlerischen Deutschland und auch von dem in der Bundesrepublik unterschied, worin es aber dem Leben in der DDR gleicht wie ein Ei dem andern, das war, dass es sich zum allergrößten Teil in außerfamiliären Gemeinschaften oder Kollektiven abspielte, an denen für die meisten, ob die Mitgliedschaft nun offizieller Zwang war oder nicht, praktisch kein Vorbeikommen war. Das Schulkind gehörte zum Jungvolk wie heute in der DDR zu den Jungen Pionieren, der Heranwachsende fand ein zweites Zuhause in der Hitlerjugend wie in der Freien Deutschen Jugend, der Mann im rüstigen Alter trieb Wehrsport in der SA oder SS wie in der Gesellschaft für Sport und Technik, die Frau betätigte sich in der Deutschen Frauenschaft (dem Demokratischen Frauenbund), und wer es zu etwas gebracht hatte oder bringen wollte, gehörte in die Partei, damals im Dritten Reich wie heute in der DDR; von den hunderterlei nationalsozialistischen beziehungsweise sozialistischen Berufs-, Hobby-, Sport-, Bildungs- und Freizeitvereinigungen (Kraft durch Freude! Schönheit der Arbeit!) nicht zu reden. Selbstverständlich, die Lieder, die gesungen, und die Reden, die gehalten werden, waren damals im Dritten Reich andere als heute in der DDR. Aber die Beschäftigungen – das Wandern, Marschieren und Kampieren, das Singen und Feiern, das Basteln, Turnen und Schießen – waren nicht zu unterscheiden, ebensowenig die unleugbaren Geborgenheits-, Kameradschafts- und Glücksgefühle, die in solchen Gemeinschaften gedeihen. Hitler war darin unzweifelhaft Sozialist – ein sehr leistungsstarker Sozialist sogar –, dass er die Menschen zu diesem Glück zwang.“

Ich darf wiederholen: „Hitler war darin unzweifelhaft Sozialist“, er hat die Menschen sozialisiert, wie man es später in der DDR beobachten konnte, in den Methoden gibt es keine übermäßigen Unterschiede.

Doch auch Haffner räumt ein: „Von Stalins ‚Sozialismus in einem Lande‘ unterschied sich Hitlers ‚Nationalsozialismus‘ (man beachte die terminologische Identität!) freilich durch das weiter bestehende Privateigentum an Produktionsmitteln, für Marxisten ein gravierender Unterschied. Ob er in einem totalitären Befehlsstaat wie dem Hitlerschen wirklich so gravierend ist, bleibe dahingestellt.“ Man muss es nicht dahingestellt sein lassen. Es stimmt, die offizielle Verstaatlichung der Produktionsmittel war Hitlers Sache nicht. Die faktische schon und auf das Etikett kommt es nicht an. Ludwig von Mises, ein Wirtschaftswissenschaftler aus der „Österreichischen Schule“ der Nationalökonomie und Theoretiker des liberalen und libertären Denkens, hat darauf schon 1942 in einem Brief an die New York Times hingewiesen: „Das deutsche Modell des Sozialismus (Zwangswirtschaft) zeichnet sich dadurch aus, dass es, wenn auch nur nominell, einige Einrichtungen des Kapitalismus beibehält. Die Arbeit ist natürlich keine ‚marktgängige Ware‘ mehr; der Arbeitsmarkt ist feierlich abgeschafft worden; die Regierung legt die Lohnsätze fest und weist jedem Arbeiter den Ort zu, an dem er arbeiten muss. Das Privateigentum ist nominell unangetastet geblieben. Tatsächlich aber sind die ehemaligen Unternehmer auf den Status von Betriebsführern reduziert worden. Die Regierung schreibt ihnen vor, was und wie sie zu produzieren haben, zu welchen Preisen und von wem sie einkaufen und zu welchen Preisen und an wen sie verkaufen sollen. Die Unternehmen können gegen unbequeme Anordnungen protestieren, aber die endgültige Entscheidung liegt bei den Behörden.“

Screenshot

Nominell war das Wirtschaftssystem des NS-Staates ein kapitalistisches, das Privateigentum blieb „nominell unangetastet“. In der Praxis hatte die Wirtschaft aber zu tun, was der Staat, was die Regierung ihr vorschrieb: „Die endgültige Entscheidung liegt bei den Behörden.“ In der „Welt“ hatte der gleiche Jens-Christian Wagner, den ich schon oben zitiert habe, geäußert: „Nie haben die Nazis auch nur einen Deut an der marktwirtschaftlichen und der kapitalistischen Grundverfassung des Wirtschaftssystems in Deutschland geändert.“ Dieser Satz dürfte vielleicht ein wenig korrekturbedürftig sein. Eben jener Herr Wagner hat übrigens im Januar 2023 Hans-Georg Maaßen vorgeworfen, er habe in den antisemitischen Giftschrank gegriffen, weil er von einem eliminatorischen Rassismus gegen Weiße gesprochen und durch die Verwendung des Wortes „eliminatorisch“ einen Bezug zum Holocaust hergestellt habe. Deutschland kann sich vieler Experten rühmen, von Christian Drosten bis hin zu Jens-Christian Wagner.

Kurt Schumacher, Sebastian Haffner, Ludwig von Mises – sie alle sahen deutliche Parallelen zwischen dem Nationalsozialismus und dem Sozialismus marxistischer Prägung. Haffner hat deutlich gemacht, dass Hitler in den Augen eines Konservativen der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts ein Linker war. Das alles beweist keine Gleichheit, aber belegt doch eine beträchtliche Strukturähnlichkeit, die selbstverständlich interessierten Kreisen nicht behagt. Weidels und Musks Aussagen waren zu stark vereinfacht. Aber die von einsetzender Schnappatmung geprägte Kritik und Verteufelung hat mit Freude wesentliche Aspekte und wesentliche Auffassungen übersehen.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: KI

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