Von Gregor Amelung
Am 15. August fiel Kabul. Eine Woche später meldete die Tageszeitung Politico: „Bidens Zustimmungswert rutscht auf neuen Tiefstpunkt“. Denn der US-Präsident hatte in einer Umfrage des Senders CBS gegenüber dem Vormonat satte 8 Prozentpunkte verloren und stand im Umfrage-Durchschnitt von RealClearPolitics nur noch bei 48 Prozent. „Trotz des jüngsten Rückgangs“ seien Bidens Zustimmungswerte allerdings immer noch höher „als die seines Vorgängers“, hieß es weiter beschwichtigend. Denn Trump habe in den vier Jahren seiner Präsidentschaft Bidens jetzige 48 Prozentpunkte nie erreichen können.
'Die dramatischen Bilder aus Kabul zeigen Wirkung'
Einen Tag später schrieb im fernen Deutschland der Spiegel: „Die dramatischen Bilder aus Kabul zeigen Wirkung: Laut einer Umfrage halten die meisten Amerikaner den Abzug aus Afghanistan für schlecht organisiert. Auch Joe Bidens Zustimmungswerte sackten ab.“ Weiter erfuhr man, basierend auf der CBS-Umfrage, dass 74 Prozent der Befragten angegeben hatten, „die USA hätten den Rückzug schlecht gehandhabt“.
Eine elegante, aber leicht irreführende Einordnung, denn der US-Präsident ist der direkt gewählte Chef der Exekutive und der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, weshalb US-Amerikaner ihn hier ganz persönlich in der Verantwortung sehen – nicht die „USA“, wie der Spiegel es ausdrückte, und auch nicht das Parlament, denn die US-Armee ist anders als die Bundeswehr keine Parlamentsarmee. Darüber hinaus ordnete der Spiegel für seine Leser noch ein, dass die 74 Prozent, die ihren Unmut über die Handhabung des Afghanistan-Abzuges geäußert hätten, dies getan hatten, „obwohl 63 Prozent einen Abzug der amerikanischen Streitkräfte an sich befürworteten“.
13 tote US-Soldaten und 18 Verwundete
Auf eine weitere Einordnung verzichtete der Spiegel – wie eigentlich alle großen deutschen Medien, nämlich darauf, dass die Umfragen in den USA, vor allem die der großen Sender, seit vielen Jahren eine Schlagseite zugunsten der Demokraten aufweisen, weshalb viele Meinungsforschungsinstitute vom Wahlsieg Donald Trumps 2016 kalt erwischt worden waren.
Stattgefunden hatte die auch vom Spiegel zitierte CBS-Umfrage zwischen dem 18. und 20. August, also kurz nach dem Fall von Kabul am 15. und etwa in dem Zeitfenster, als die Luftbrücke zur Evakuierung gerade ins Laufen gekommen war. Sieben Tage später explodierten dann zwei Bomben an den Zugängen zum Flughafen in Kabul. Sie töteten 13 US-Soldaten und verwundeten 18 weitere. Damit waren es die höchsten Verluste an einem einzelnen Tag in Afghanistan seit 2011.
Taliban und US-Soldaten dicht beieinander
Durch die anschließende Berichterstattung wurde dem US-Publikum erst klar, wie eng die USA mit den Taliban bei der Luftbrücke kooperierten und wie nah die eigenen Soldaten Afghanen kamen, die zuvor lediglich durch die Taliban „überprüft“ worden waren – wenn überhaupt. Denn die Grenze des jeweiligen Einflussbereichs verlief an bzw. auf den Betonblöcken, die das unmittelbare Flughafenrollfeld vom Rest von Kabul trennte.
Die einzelnen auf und an der Betonmauer postierten GI konnten sich bei einem möglichen Angriff aus der Menge heraus also gar nicht verteidigen, denn dafür standen sie viel zu nah an einem potentiellen Angreifer dran. Und die Taliban-Kämpfer, mit denen sich die USA zu diesem Augenblick eigentlich noch im Kriegszustand befanden, liefen unter den Wartenden herum, um dort für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. Mit Schlägen und Stockhieben.
'Und das ist nicht mal die schlechteste Nachricht, die wir haben...'
Die nun offenbar werdende direkte räumliche Nähe zu eben jenen Leuten, die für die Anschläge vom 11. September mitverantwortlich waren, irritierte sogar erfahrene und Joe Biden wohl gesonnene Korrespondenten beim Nachrichtensender CNN. Da half es auch nichts, dass Bidens Verteidigungsministerium kurz zuvor vor möglichen Attentaten durch IS-Gruppen gewarnt hatte. Die amtlichen Terrorwarnungen verstärkte vielmehr noch die Frage nach den Sicherheitsvorkehrungen, die die US-Regierung für ihre eigenen Soldaten getroffen hatte? – Offenbar keine.
Am dritten bzw. vierten Tag nach den tödlichen Bombenanschlägen (30.8. – 31.8.) befragte das Meinungsforschungsinstitut Rasmussen 1.000 potentielle US-Wähler. Am nächsten Mittag konnte man dann um 13 Uhr 29 Ortszeit auf dem Twitter-Account von Rasmussen Reports lesen: »Breaking News! Gestern Abend hatten wir in der Zustimmungsrate (job approval) für Präsident Biden einem neuen historischen Tages-Tiefpunkt gemessen. Heute wird er einen Rekordtiefstand in unserer 3-Tages-Zustimmungsrate (3-day rolling job approval average) aufstellen. Und das“, hieß es weiter, „ist nicht mal die schlechteste Nachricht, die wir vom Wähler für ihn haben.“ Die war, dass 52 Prozent der Amerikaner der Ansicht sind, der Präsident sollte, so wie der Rückzug aus Afghanistan gelaufen war, zurücktreten.
Obwohl Rasmussen Reports in den USA teilweise in der Kritik steht, weil Donald Trump das Institut in seiner Amtszeit favorisiert hatte, kam eine etwa zeitgleiche Umfrage der in Deutschland angesehenen Washington Post und des Senders ABC zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. „Weniger als jeder dritte“ stimme der Art und Weise des Afghanistan-Rückzugs zu. 52 Prozent lehnten die Art und Weise vielmehr ab. Zusätzlich sackte die von der Washington Post und ABC ermittelte allgemeine Zustimmungsrate für den US-Präsidenten von 50 Prozent Ende Juni auf jetzt nur noch 44 Prozent ab.
'Die Biden-Regierung blutet aus'
Damit war die Talfahrt allerdings noch nicht zu Ende. Einen Tag später (1.9.) erfuhr man, dass 60 Prozent der Wähler einer Aussage von Senator Lindsey Graham zustimmen würden. Der hatte zuvor erklärt: „Ich denke, man sollte gegen Joe Biden ein Impeachment-Verfahren anstrengen, denn er hat tausende Afghanen im Stich gelassen, die mit uns gekämpft haben, und er wird auch einige US-Amerikaner zurückgelassen haben, als er am 31. August vor dem Ultimatum der Taliban kapitulierte.“
Das war selbstverständlich auch Parteipolitik und Säbelrasseln eines republikanischen Senators aus South Carolina, und der Führer der Republikaner im Senat hatte bereits kurz danach in Sachen Impeachment abgewunken. Trotzdem waren die Ja-Stimmen in der Impeachment-Frage gerade bei den demokratischen Wählern (26 – 40 Prozent) für das Weiße Haus schmerzhaft. Schmerzhaft und alarmierend.
Aber es kam noch schlimmer. 24 Stunden später (3.9.) kam via Twitter die nächste schlechte Nachricht von den Rasmussen-Leuten: Nur 42 Prozent der Wähler bewerten Bidens Amtsführung generell als positiv. 56 Prozent beurteilen sie negativ. Entsprechend unsanft kommentiert Donald Trumps ehemaliger Chefberater Steve Bannon das Ergebnis: „Die Biden-Regierung blutet aus. Sie hat kein politisches Kapital.“
'Ja, es ist eine Krise, Mr. President'
Grundsätzlich befanden sich die Umfragewerte des US-Präsidenten bereits seit Monaten in einem negativen Trend. Gründe hierfür sind Bidens Corona-Politik, bei der sich immer mehr herauskristallisiert hat, dass er eben nicht den „Plan“ in der Tasche hatte, den er im Wahlkampf gegen Trump immer wieder versprochen hatte, und die schlechten wirtschaftlichen Daten.
Zu diesen beiden gesellt sich dann noch das schwelende Problem an der mexikanischen Grenze hinzu. Wochenlang hatte das Weiße Haus im März versucht, den dortigen Zustrom von Migranten nicht als „Krise“ zu bezeichnen. Der Streit um die Wortwahl ging allerdings nach hinten los. So erklärten Ende März 67 Prozent der US-Wähler „Ja, es ist eine Krise“. Nicht mal ein Viertel wollten dem Narrativ des Weißen Hauses ihre Zustimmung geben (23 Prozent).
Die im Moment geradezu implodierenden Zustimmungswerte könnten dem US-Präsidenten noch sehr gefährlich werden, denn Biden fehlt eine feste „Fanbasis“. Eine Wählerschaft, die – egal, was da komme – zu ihm hält. Seine Vorgänger Barack Obama oder Donald Trump verfügten beide über solch ein Lager, weil beide Politiker auch immer populistisch agiert haben, was in Deutschland bezogen auf Obama eher unbekannt bzw. verpönt ist festzustellen.
Bidens Umfragewerte haben also noch nicht den Boden erreicht. Sie können noch tiefer sinken. Zumal das Weiße Haus bisher keinen Clou gefunden hat, den Wählern die Art und Weise des Afghanistan-Rückzugs zu verkaufen. So leicht wie Angela Merkel es sich vor dem deutschen Bundestag am 25. August gemacht hatte („Hinterher alles zu wissen, ist mühelos”), wird es der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte bei seinen Wählern nicht haben. Denn in Afghanistan sind über 2.400 Soldaten gefallen. Republikaner genauso wie Demokraten.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Der Autor ist in der Medienbranche tätig und schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: YASAMIN JAFARI TEHRANI/Shutterstock
Text: Gast
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