Kinder als Renten-Ersatz Geschichten zum Schmunzeln – Mein Krisen-Alternativ-Programm

Hand aufs Herz: Haben Sie es nicht auch satt, ständig negative Nachrichten zu lesen? Bei denen man denkt, es seien „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“? Was sie aber leider nicht sind – denn es sind reale Neuigkeiten aus Deutschland. Ich möchte Ihnen ein Kontrastprogramm bieten, aus meiner Zeit in Russland. Zum Entspannen und Schmunzeln. Voilà:

Der Ton war streng, ja unerbittlich. „Sascha, wie oft habe ich Dir schon gesagt, Du musst um diese Zeit ins Bett gehen! Leg Dich jetzt hin.“ – „Mama, bitte, ich bin kein kleines Kind mehr“, so die eher resignierte Widerrede. Sie blieb erfolglos: „Sascha, ich habe gesagt, Du musst jetzt ins Bett“. Ich traute weder Augen noch Ohren, als ich vor vielen Jahren diese Szene erlebte. Ich war neu in Russland, und so konnte ich es nicht so recht verstehen, dass Anna Georgiewna, verdiente Veteranin und hoch in den Siebzigern, mit ihrem Sohn Alexander, knapp an die 50, wie mit einem kleinen Jungen sprach.

Heute weiß ich: Ehrfurcht vor den Eltern ist Grundgesetz in Russland. Nicht immer geht das so weit wie bei meinem einstigen Zimmer-Vermieter Sascha, dem – um es höflich auszudrücken – auch in reifen Jahren noch die volle mütterliche Fürsorge zuteil wurde, zum Leidwesen seiner Frau. Die Mehrzahl der erwachsenen Russen bestimmt den Zeitpunkt für den Zapfenstreich und andere entscheidende Dinge im Leben durchaus eigenverantwortlich. Aber dennoch hat das Wort von Mama und Papa in der Regel hohes Gewicht. Kaum ein Russe, der seine Eltern nicht verehren würde wie ein Deutscher allenfalls seinen Lieblingssänger oder seine reiche Erbtante.

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Ausländer, die sich mit Russen oder Russinnen liieren, wundern sich oft, dass sie auch noch eine Gratis-Zugabe bekommen: Papa und Mama, die aus dem Zweier-Bund eine Art Quartett machen. Über nichts scherzen die leidgeplagten Russen denn auch mehr als über ihre Schwiegermütter. Etwa: Eine Frau gibt bei der Polizei eine Vermisstenanzeige auf, weil ihr Mann verschwunden ist. Der Polizist: „Was sollen wir ihm mitteilen, wenn wir ihn finden?“ Sie: „Sagen Sie ihm, dass meine Mutter es sich anders überlegt hat und doch nicht zu Besuch kommt.“ In der Realität kommt es nicht immer zu so einem „Happy-End“: Bei einem Freund endeten alle romantischen Gefühle, als sich plötzlich die Mutter seiner Flamme mit im Liebesnest einquartierte; er zog aus. Kommt es zum Konflikt zwischen Eltern und Partner, entscheiden sich viele Russen für die Blutsbande – und die Scheidung.



Kids sind in Russland Nationalheiligtum

Weitgehend traditionsfrei, wie wir Westler in Sachen Familie nun einmal sind, neigen wir bilateral zu bedenklichem Risikoverhalten: So ärgern wir uns selbst dann, wenn die Partnerin, wie es sich gehört, stramm steht, sobald sie mit Vater oder Mutter telefoniert. Mehr noch: Zuweilen sind wir gar ungehalten, wenn es der oder die Liebste selbst in den unschicklichsten Momenten gar nicht erst wagen würde, einmal nicht ans Handy zu gehen, sobald ein Elternteil ruft (was in Russland sogar manchmal häufiger vorkommt als die Fernseh-Ansprachen des Präsidenten, der ja auch eine Art Übervater ist).

Dabei ist nicht nur das Telefon ein potenzieller Spaltpilz: Als ich 1991 meinen ersten VW-Käfer nach Russland brachte und ihn pro forma auf meine Freundin anmeldete, um meine Mobilität nicht auf den Kampf gegen die Bürokratie zu beschränken, stellte sich plötzlich der Papa meiner Herzallerliebsten in wenig romantischer Pose vor den Küchentisch: „Ich verstehe, dass Sie auch selbst mit dem Wagen fahren werden, deshalb werde ich mit Ihnen absprechen, wann ich ihn nutze“. Als ich nach diesem großzügigen Angebot die Worte wiedergefunden hatte, kam es zum Entsetzen meiner Freundin zu einem eher lautstarken Dialog. Der Schwiegervater in spe hatte am Ende nicht nur die Hoffnung verloren, über den Umweg Tochter stolzer Auto-Mitbesitzer zu sein – er muss auch den Eindruck bekommen haben, dass die Deutschen einfach keinen Respekt vor Eltern haben.

So ganz falsch liegt er damit nicht. Die Familienbande in Deutschland sind heutzutage eher lose, zumindest im Vergleich zu Russland. Der Bundesbürger setzt eher auf den Staat mitsamt Renten- und Pflegeversicherung denn auf den eigenen Nachwuchs. In Russland besteht die Altersvorsorge dagegen im Wesentlichen in den eigenen Kindern. Damit diese Versicherung auch funktioniert, impfen ihnen die Eltern quasi schon in den Windeln ein, dass sie allerhöchsten Respekt zu zeigen haben – und der sich später auch einmal in Fürsorge auszahlen muss. Denn vom Respekt allein kann man nicht runterbeißen, wie mein Fotograf Igor sagt.

Das Geschäft beruht auf Gegenseitigkeit – es ist eine Art Generationenvertrag auf privater Basis. Klagen Deutsche schon mal vor Gericht gegen Kindergärten in ihrer Nachbarschaft, weil sie darin vor allem eine Lärmquelle sehen, sind Kinder in Russland eine Art Nationalheiligtum. Das bemerkt man schon bei der Einreise. Sogar die sonst eher grimmigen Grenzschützer am Flughafen beginnen plötzlich zu lächeln und lotsen einen schnell an der Warteschlange vorbei, wenn man mit einem kleinen Kind ankommt. Selbst wildfremden Kindern kann ein anständiger Russe mit dem Herz am rechten Fleck kaum einen Wunsch ausschlagen. Die rabiate Marktfrau verwandelt sich schon mal urplötzlich in eine liebe Babuschka und verschenkt Schnuller. Ratschläge, wie man ein Kind richtig anzieht (und erzieht), bekommt man, vor allem im Winter, an jeder Straßenecke.

Familiäre Vollkasko-Versicherung völlig normal

Doch die Kinderliebe hat ihre Kehrseite: Den Kleinen etwas zu verbieten, gilt in der Regel weniger als Erziehung denn als Grausamkeit. Und so etwas ist gefälligst zu unterlassen. Während Mädchen noch auf ihre künftigen Pflichten in der Küche und beim Kinderkriegen vorbereitet werden, neigen die Russen traditionell dazu, Nachwuchs männlichen Geschlechts zu verhätscheln. Manche Soziologen führen diese Tradition darauf zurück, dass man sich früher angeblich sagte, Söhne würden ohnehin bald in irgendeinem Krieg fallen, und wenn ihr Leben schon so kurz sei, sollten sie deshalb verwöhnt werden. „Die meisten Männer bei uns kommen geistig nie aus der Pubertät heraus“, beklagt der Moskauer Soziologe Leonid Sedow: „Zuerst bemuttert sie die Mama, dann die Frau, später die Töchter. Viele lernen nie, Verantwortung zu übernehmen und selbstständig Entscheidungen zu treffen.

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Tatsächlich funktionieren die Eltern auch für erwachsende Kinder als eine Art Vollkasko-Versicherung. Statt dem Numerus clausus sind im Russland Papa und Mamas Finanzmittel und Beziehungen entscheidend, wenn es um einen Studienplatz geht. Statt auf Zivildienst setzt der gut situierte junge Russe auf die Eltern in Form von Bakschisch oder diskreten Kontakten, wenn es darum geht, sich um den Militärdienst zu drücken. Schreibt der Deutsche bei der Arbeitssuche Bewerbungen, geht zum Headhunter oder zur Arbeitsagentur, sind in Russland in der Regel die Eltern und Verwandten für die statusgemäße Jobvermittlung zuständig. Westliche Unternehmer in Moskau wundern sich immer wieder, wenn sie durch Zufall dahinter kommen, wie viele ihrer Angestallten miteinander verwandt oder verschwägert sind. Zum Thema Vetternwirtschaft gibt es zahllose Witze: Warum kann ein Sohn von einem Offizier nur Offizier, aber nie General werden? Weil die Generäle auch Kinder haben.

Dabei ist der ABM-Papa oder die ABM-Mama noch nicht einmal die weitreichendste Variante der familiären Vollkasko-Versicherung. Weil sie ohnehin versorgt werden, wollen manche gar nicht mehr arbeiten – wie mein Vermieter Sascha. Er klagte stets über Gesundheitsprobleme und die schlechte Lage auf dem Arbeitsplatz – und ließ sich von seiner Frau und seiner Mutter über Wasser halten: Letztere musste in den wilden 90er Jahren unter anderem an Metro-Stationen mit einem Bauchladen Klopapier verkaufen, damit sich ihr Sohn trotz Arbeitslosigkeit einen Videorekorder leisten konnte.

Ein russischer Kollege von mir hätschelt seine Kinder stärker als jede Löwen-Mama: Er besorgt ihnen nicht nur die Arbeitsplätze. Er bezuschusst auch ihr ohnehin schon recht üppiges Gehalt, damit sie statt einem Toyota einen Mercedes fahren können. Vom Haustier, dessen sie überdrüssig sind, bis zum Enkelkind, das zu viel Arbeit macht, nimmt er – genauer gesagt seine Frau – ihnen alles ab, was ihre Bequemlichkeit einschränkt. Damit sie „ihre Jugend genießen können“, wie er sagt. Im Gegenzug wird er seinen verzogenen Kindern irgendwann später die Rechnung präsentieren: Dass sie ihn im Alter genauso auf Vollpension setzen und hätscheln wie er heute sie. Darauf ist er wie die meisten Russen auch angewiesen: Die Renten reichen immer noch kaum für den Lebensunterhalt. Und die Altersheime in Russland sind so berüchtigt, dass es fast schon als Straftat angesehen wird, wenn jemand seine Eltern in eine dieser Einrichtungen gehen lässt.

Eine Bekannte von mir ist jedes Wochenende auf der Datscha zwangsverpflichtet: Ihre Eltern bestehen darauf, mit dem Wagen durch den Dauerstau in ihr Landhaus gefahren zu werden – und zurück. Mit den Chauffeur-Diensten ist es nicht getan. Wenn nicht gerade das Dach oder die Wasserleitung repariert werden müssen, ist im Garten etwas umzugraben oder zu ernten. „Weil wir auf das Gemüse aus dem Garten angewiesen sind“, lautet die offizielle Begründung der Eltern. Meine Bekannte kann das nicht mehr hören: „Ich zahle mehr für´s Benzin, als das Gemüse im Laden kosten würde. Ich träume davon, endlich mal ein Wochenende für mich zu haben oder gar mal in die Disco zu gehen. Aber ich kann meine Eltern doch nicht sitzen lassen.“

Als Deutscher kommt man angesichts solcher Erfahrungen natürlich ins Grübeln. Skeptiker sagen unserem deutschen Rentensystem ja eine düstere Zukunft voraus. Läge es da nicht nahe, bei der Altersversorgung auf das russische Modell zu setzen? Doch da tut sich eine schwierige Frage auf: Mit wie vielen Kindern ist man ausreichend versichert? Je länger ich über die Risiken und Nebenwirkungen wie Windelnwechseln, durchwachte Nächte und Familienzwist nachdenke, umso mehr entdecke ich die Vorzüge unserer Rentenversicherung …

Nach dem wirklich unangenehmen „Job“ mit dem Lauterbach-Interview bin ich Ihnen für ein Schmerzensgeld besonders dankbar – und verspreche dafür, auch beim nächstem Mal wieder in den sauren Apfel zu beißen und wachsam an dem gefährlichen Minister dran zu bleiben! Aktuell ist (wieder) eine Unterstützung via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link. Alternativ via Banküberweisung, IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut.

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Bild: Shutterstock

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