Russisches Roulette im Fahrstuhl – wenn Liftfahren zum Abenteuer wird Geschichten zum Schmunzeln – Mein Neujahrs-Alternativ-Programm

Hand aufs Herz: Haben Sie es nicht auch satt, ständig negative Nachrichten zu lesen? Bei denen man denkt, es seien „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“? Was sie aber leider nicht sind – denn es sind reale Neuigkeiten aus Deutschland. Zum Jahresanfang möchte ich Ihnen ein Kontrastprogramm bieten, aus meiner Zeit in Russland. Zum Entspannen und Schmunzeln. Voilà – eine Geschichte von 2008:

Von Showstars und Divas ist bekannt, dass sie ihre Launen haben. Dass davor auch Fahrstühle nicht gefeit sind, war für mich eine anfangs sehr erschreckende Erfahrung.

Noch heute erinnere ich mich an das seltsame Knacksen, das nichts Gutes erhoffen ließ. Vor allem, weil es an Stelle des gewohnten Quietschens zu hören war, mit dem sich sonst die von der Last der Jahre gezeichneten Lifttüren langsam öffnen. Nach dem Knacksen herrschte Todesstille. Für einen (Wahl-)Moskowiter ist diese Situation nichts Ungewöhnliches – und so war ich denn irgendwo zwischen dem siebten und dem achten Stock auf Wolke sieben, als sich nach meinem Notruf tatsächlich eine robuste Frauenstimme meldete.

Nicht immer hat man so viel Glück, wenn man in die Fänge der Lift-Technik gerät: Bei meiner letzten Gefangenschaft herrschte eine halbe Ewigkeit Schweigen im Äther. Und als sich dann endlich jemand meldete, waren die ersten Worte: „Stellen Sie sich doch nicht so an.“ Als ob ich mich selbst im Lift verbarrikadiert hätte.

Diesmal aber war die Frauenstimme sehr freundlich: „Das kommt ständig vor bei dem Lift. Drücken Sie auf ein anderes Stockwerk, kräftig, zur Not schlagen Sie gegen das Bedienungs-Panel, dann fährt er weiter.“ Tatsächlich – ein einziger beherzter Knopfdruck brachte mich in Freiheit. Inzwischen habe ich mich an die Launen meines Lifts gewöhnt, wir haben uns arrangiert, und wenn ich mal eine ganze Woche lang nicht stecken bleibe – was selten vorkommt – mache ich mir schon Sorgen, dass etwas mit der Technik nicht mehr stimmt.

40 Jahre alte Aufzüge keine Seltenheit

Meine Besucher nehmen das nicht immer ganz so humorvoll: Wenn ich jemanden nicht vorab vor den Launen meines Liftes warne, macht der garantiert Zicken und lässt meine Gäste stecken. Manche meiner Freunde trauen dem wackeligen Frieden mit der Technik nicht – und kommen lieber zu Fuß zu mir in den achten Stock.

Kein Wunder – die meisten Russen sind gebrannte Kinder, was Fahrstühle angeht. Fast jeder dritte Lift im Lande hat seine „Dienstnorm“ – 25 Jahre – überschritten und müsste eigentlich längst im verdienten Ruhestand beim Altmetall ruhen. Viele trotzen seit 35 und 40 Jahren der Schwerkraft – als auf- und abpendelnde Zeitbomben.

Nicht einmal die wichtigsten Kinder des Landes bleiben da vor Ungemach verschont. Auch Wladimir Putin fand keine Gnade vor dem Schicksal – so heißt es zumindest aus seinem Umfeld. Zum 90. Geburtstag des greisen Schriftstellers Sergej Michailkow, der schon für Stalin und Breschnew die Nationalhymne dichtete und jetzt für Putin rückfällig wurde, reiste der damalige Staatschef den Berichten zufolge mit gesammeltem Gefolge an.

Schwergewichtige Leibwächter

Mein Lift in Moskau

Mit einem Strauß Blumen in den Händen betrat der Landesvater den Fahrstuhl – oben sollte ihn der Jubilar direkt an der Lifttüre in Empfang nehmen. Weil Putin kein gewöhnlicher Lift-Fahrer ist, standen ihm vorschriftsmäßig vier Leibwächter zur Seite. „Fracht abgefertigt“, meldete der diensthabende Offizier unten an seinen diensthabenden Kollegen oben. Doch dessen standardmäßiges „Fracht angekommen“ kam aus dem Funkgerät nicht zurück. Leichte Panik brach aus – kennt doch jeder ehrbare Leibwächter die Szenen aus amerikanischen Filmen, in denen böse Menschen oben im Liftschacht Position beziehen und die Kabine durchlöchern.

Ob es nun am Gewicht der Leibwächter lag, der Überschreitung der zulässigen Personenzahl, oder ob das Gerät angesichts so hochrangiger Fracht vor Ehrfurcht erstarrte – der Lift gab auf halber Strecke seinen Geist auf. Und als einer der Leibwächter den Notruf betätigte und der obligatorischen Frauenstimme berichtete, ihr Staatschef höchstselbst stecke in der Bredouille bzw. im Lift, soll die Antwort eher grob ausgefallen sein: „Für blöd verkaufen kann ich mich selbst“. Die Dame wollte partout nicht an den dicken Fang glauben; Gott sei Dank hat die Kremlwache ihre eigenen Kanäle, und so konnte sie der Liftverwaltung binnen kürzester Zeit den Ernst der Lage klar machen.

Geholfen hat das wenig. Sage noch einer, Russland sei nicht demokratisch: Wie ein gemeiner Sterblicher musste auch der Staatschef jene geschlagenen 30 Minuten warten, die laut Vorschriften die Obergrenze bis zur Befreiung aus feststeckenden Liften sind; wer länger feststeckt, hat Anspruch auf Entschädigung.

'Schätzchen, haben wir heute Strom?'

Putins Reaktion soll nicht druckreif gewesen sein, und auch dem stets servilen Jubilar sei die Freude am Feiern gründlich vergangen, heißt es. Dabei kam der Staatschef noch mit einem blauen Auge davon. Anders als etwa jener leicht angetrunkene Mann in Wolgograd, der gegen die Lift-Türe trat, die sich auf prompt öffnete – allerdings, ohne dass sich dahinter auch die Liftkabine befand. Als der arme Mann das bemerkte, war es zu spät, und er konnte den Kampf gegen die Schwerkraft nicht mehr gewinnen, weil er bereits in den Schacht getreten war. Er kam nur deshalb mit dem Leben davon, weil der Fehltritt im zweiten Stock erfolgte und die Kabine im Erdgeschoss stand und ihn auffing. Der zuständige Techniker hatte, die ständigen Reparatur-Einsätze leid, einfach die Blockierungs-Mechanismen der Lifttüren abgeschaltet.

Doch nicht für alle bringen die Liftprobleme Leid. Mein georgischer Freund Dato, ein Baum von einem Mediziner, schwört auf die regelmäßigen Stromausfälle in seiner Heimatstadt Tiflis. Nicht dass er die 18 Stockwerke bis zu seiner Wohnung in einem Hochhaus gerne zu Fuß hoch laufen würde – „danach müsste ich mir selbst den Totenschein ausstellen“, scherzt der bejahrte Arzt und zeigt auf seinen Bauch, der stolz von Wohlstand zeugt. Dato macht den Lift zum Alibi. „Schätzchen, haben wir heute Strom? Was, wieder nicht? Meine Liebste, sei mir nicht böse, aber wenn der Lift nicht geht, kann ich nicht heim kommen, ich schaffe das nicht, beim besten Willen, ich beiße in den sauren Apfel und übernachte bei Freunden!“ Dato nimmt den Hörer vom Ohr und freut sich diebisch: „Hurra, jetzt habe ich einen freien Abend. Gar nicht daran zu denken, wie schrecklich es wäre, wenn die Lifte immer funktionieren würden, wie bei Euch in Deutschland! Mit Eurer zuverlässigen Technik lebt Ihr doch in völliger Unfreiheit!“

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Bilder: Boris Reitschuster

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