Von Hubertus Voigt
Wer nicht viel lesen möchte, hier in Kürze eine Zusammenfassung: Die Studie zur Zulassung des mRNA-Impfstoffes von Biontech/Pfizer für die Altersgruppe von 5 bis 11 Jahren liegt vor und die EU-Kommission hat die Indikationserweiterung genehmigt. Das Gute: Keines der in der Studie behandelten Kinder war schwer an COVID-19 erkrankt. Egal ob mit oder ohne Impfung. Das nächste Gute: Bei Kindern im Alter von 5 bis 11 Jahren verhindert eine Impfung mit Comirnaty das Auftreten von SARS-CoV-2 assoziierten Symptomen wir Husten, Heiserkeit, Schüttelfrost etc. wirksam und effektiv zu 90 Prozent. Also: Symptome, die kaum oder nur kurzzeitig krankmachen, werden reduziert. Ist das nicht super?
Aber ob wir also unsere Kinder impfen sollten – oder müssen und werden? Gestern noch „Fake News“ und Verschwörungstheorie, morgen vielleicht schon eine weitere Maßnahme, der wir uns beugen. Dies bitte immer selber entscheiden.
Am 26.11.2021 genehmigte die EU-Kommission die „Indikationserweiterung“ des COVID-19-Impfstoffes Comirnaty auf 5- bis 11-Jährige, wie das Paul-Ehrlich-Institut bekanntgab. „Der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) bei der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA) hatte zuvor die Indikationserweiterung empfohlen. Zukünftig kann der COVID-19-Impfstoff 10 Mikrogramm pro Dosis Konzentrat zur Herstellung einer Injektionsdispersion von BioNTech/Pfizer ab einem Alter von 5 bis 11 Jahren eingesetzt werden.“
Damit sind die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz bei Kindern gegeben und es wird eine Frage der Zeit sein, wann auch für Kinder eine Impfpflicht in Deutschland bestehen wird. Daher ist es sinnvoll, sich einmal die Studie genau anzuschauen, die als wissenschaftliche Grundlage für den Einsatz als Impfstoff in dieser Altersgruppe betrachtet wird. Diese wurde vor wenigen Wochen im sehr angesehenen New England Journal of Medicine publiziert und ist online zu lesen. Nachfolgend möchte ich dies für Nicht-Mediziner anschaulich erläutern und kritisch diskutieren.
Als Hintergrund der Studie wird angeführt, dass „sichere, wirksame Impfstoffe gegen COVID-19 für Kinder im Alter jünger als 12 Jahre alt dringend notwendig“ seien. Hier fange ich als Wissenschaftler bereits an zu rätseln, warum gerade für eine Gruppe von Menschen, die nur in absoluten Ausnahmefällen schwer an COVID-19 erkranken, „dringend“ ein Impfstoff gefunden werden muss. Dies wird begründet u.a. mit der Möglichkeit, dass Kinder in diesem Alter in der Zukunft als „Reservoir“ einer Infektion mit SARS-CoV-2 fungieren könnten sowie als „Quelle“ für neue Mutationen.
Phase I
In der Phase 1 der Zulassungsstudie erfolgte eine Dosisfindung des Impfstoffs. Hierbei erhielten jeweils 16 Kinder, deren Eltern der Studie zugestimmt hatten, jeweils entweder 10, 20 oder 30 Mikrogramm der Impfdosis und dies zweimal im Abstand von 21 Tagen. Dieser Studienarm fand in vier Städten in den USA statt. Von den 16 Kindern in Studienarm 3 mit einer Impfdosis von jeweils 30 Mikrogramm erhielten aber nur 4 Kinder alle beiden Dosen, die übrigen 12 erhielten ebenfalls 10 Mikrogramm injiziert.
Ergebnisse:
Nahezu alle (!) Kinder litten unter Beschwerden nach der Impfung, überwiegend Schmerz, aber auch Rötung und Schwellung, wenn auch bei der letztlich gewählten Dosierung von 10 Mikrogramm diese Beschwerden überwiegend „mild“ waren, zu einem Drittel aber „moderat“. Ebenso klagte die Mehrheit der Kinder über systemische Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Muskelschmerzen und auch Fieber (s. Abbildungen A und B). Bei der Dosierung von 10 Mikrogramm traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf.
Im zweiten Schritt der Analyse erfolgte die Untersuchung der Immunogenität der „Impfung“. Hierfür erfolgte eine komplizierte Analyse von neutralisierenden Titern aus Blutproben von Studienteilnehmern mit dem Antigen. Im Vergleich von Blutproben vor der Impfung und einem Monat nach der zweiten Impfung wurde bei allen „Impflingen“ ein signifikanter Anstieg der Immunantwort festgestellt, nicht jedoch in der Kontrollgruppe.
Phase II
Nachdem die Impfdosierung mit 10 Mikrogramm/Kind/Impfung festgelegt worden war, erfolgte die Phase II/III-Studie der Erprobung. Diese erfolgte im Rahmen eines randomisierten (zufälligen) Versuches, wobei die Kinder entweder den Impfstoff oder ein Placebo injiziert bekamen. Die Mitarbeiter der Studie und die Impflinge wussten nicht, zu welcher Gruppe sie gelost worden waren. Dies war nur dem auswertenden Mitarbeiter am Ende der Untersuchung bekannt.
In der zweiten und dritten Juniwoche 2021 wurden insgesamt 2.285 Kinder in die beiden Studiengruppen „Impfung“ und „Scheinimpfung“ gelost. Dies erfolgte an insgesamt 81 Studienorten in den USA, Spanien, Finnland und Polen. 2.268 teilnehmende Kinder wurden letztlich „gepiekst“, wobei 1.517 den Impfstoff erhielten und 751 Placebo. Letztlich vollendeten 1.510 Kinder in der Impfgruppe und 746 Kinder in der Placebogruppe den Versuch. Zum Zeitpunkt der Analyse war die Nachbeobachtungszeit im Median 2,3 Monate, wobei die Zeitspanne von 0 bis 2,5 Monate reichte. Bei 20 Prozent der Kinder lag eine Begleiterkrankung vor, davon bei 12 Prozent Adipositas und 8 Prozent Asthma. 9 Prozent der Studienteilnehmer waren bereits vor Beginn der Studie entweder einmal positiv auf SARS-CoV-2 getestet gewesen oder hatten einen positiven Antigentest zu Beginn der Studie. Auch diese Kinder wurden in die Studie einbezogen.
Für die Effektivität der Impfung wurde das Eintreten einer COVID-19 Erkrankung als Parameter genommen. Dies wird in der gedruckten Studie nicht weiter ausgeführt, kann aber weiteren Unterlagen, die online-abrufbar sind, entnommen werden (In einem Appendix zu den Studienunterlagen, abrufbar hier. Wer in der Nachbeobachtungszeit der Studie akut krank wurde, bei dem wurde ein Abstrich auf SARS-CoV-2 mit PCR-Test abgenommen. Ein bestätigter Fall von COVID-19 lag dann vor, wenn neben einem positiven PCR-Test das Vorhandensein mindestens eines der folgenden Parameter: Fieber, Husten, Kurzatmigkeit, Schüttelfrost, Muskelschmerzen, Geschmacksverlust, Durchfall, Halsschmerzen, Erbrechen).
Ergebnisse:
Zu schwerwiegenden Impfkomplikationen oder Nebenwirkungen kam es in der Phase II/III-Studie nicht. Die Mehrzahl der Geimpften (74 Prozent) klagte über Schmerzen an der Injektionsstelle, bis zu 15 Prozent über Schwellung und Rötung an der Einstichstelle. Diese Beschwerden waren bei den Placebo-Geimpften signifikant geringer. Auch bei den systemischen Reaktionen überwog die Gruppe der Geimpften deutlich; diese Reaktionen waren überwiegend Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Schüttelfrost.
Die Ergebnisse der Immunogenität anhand des Titers (s.o.) ergaben sehr eindeutig einen deutlichen „Impferfolg“ durch einen hohen Anstieg der Titer-Werte, während dieser in der Placebogruppe ausblieb.
Wie war die Effektivität des Impfens? Um diese zu evaluieren, wurde wie folgt vorgegangen:
Unter den Studienteilnehmern ohne SARS-CoV-2-Infektion vor Studienbeginn entwickelten drei Kinder in der Impfgruppe COVID-19 (0,198 Prozent), während dies bei 16 Kindern (2,13 Prozent) der Placebo-Gruppe der Fall war. Bei keinem Studienteilnehmer wurde ein schwerer Verlauf von COVID-19 festgestellt, kein Kind z. B. musste auf die Intensivstation oder starb. Hieraus berechneten die Statistiker eine Impfeffektivität von 90,7 Prozent mit einem sehr breitem Konfidenzintervall von 67,7 bis 98,3. Das Konfidenzintervall gibt den Wert wieder, in dem sich in diesem Fall mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit der wirkliche Wert der Impfeffektivität befindet. In diesem Fall also ein Wert innerhalb einer erheblichen Spreizung. Dies bedeutet, dass die Wirkung nicht so eindeutig ist.
Kritik an dieser Studie
Mir fällt zunächst auf, dass die Begründung für diese Studie nicht einleuchtend ist – bis auf die Tatsache, dass für einen Pharmakonzern natürlich die Entwicklung eines sich gut verkaufenden Impfstoffes immer eine gute Sache ist. Aber dies zu schreiben, ist vielleicht polemisch. Wir wissen aber auch, dass (zumindest bis jetzt) die Kinder und Jugendlichen keine Treiber der Pandemie und nur sehr selten von schweren Infektionen betroffen sind. In einer Übersichtsarbeit des MDR findet sich, diese zusammenfassend, folgende Aussage der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie: „Weniger als eines von 100 Kindern mit einer SARS-CoV-2-Infektion muss ins Krankenhaus aufgenommen werden, 5 Prozent aller im Krankenhaus behandelten Kinder mit SARS-CoV-2-Nachweis benötigen eine Intensivtherapie und 3 bis 4 von 1.000 dieser stationär behandelten Kinder versterben mit oder an Covid-19. In dieser Hinsicht sei die Krankheitslast bei Kindern vergleichbar mit anderen Erregern wie Influenza oder der Atemwegserkrankung RS“. Es scheint also darum zu gehen, dass Kinder geimpft werden sollen, um die Erkrankung nicht weiter zu verbreiten. An Risikogruppen zum Beispiel. Aus meiner Sicht aber ein schwieriges Terrain, welches hier betreten wird. Es bleibt abzuwarten, ob die STIKO und auch die entsprechenden Fachverbände der Kinder- und Jugendmedizin sich einer solchen Kinderimpfung nicht zum Schutz der Kinder entgegenstellen werden.
Was sollen uns denn diese Aussagen sagen? Weniger als „eines von 100 Kindern“ können auch weniger als „eines von 1.000.000“ Kindern sein. Wieso werden hier keine genauen Aussagen getroffen? Ganz schlimm für eine medizinische Fachgesellschaft, die hier eigentlich Propaganda betreibt. Bestimmt unwillentlich. Die Zahlen „3 bis 4 von 1.000 dieser stationär behandelten Kinder versterben mit oder an COVID-19“ sind daher mit Vorsicht zu „genießen“.
Wir sehen an den Daten dieser neuen Studie, dass wir die Gruppe der 5- bis 11-Jährigen „effektiv gegen COVID-19 schützen“ können, so zumindest das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Homepage. Die Frage ist nur, wovor schützt die Impfung denn genau? Es erkrankte kein Kind, egal aus welcher Studiengruppe, an einem schweren Verlauf von COVID-19. Und kein Kind starb an COVID-19. Dies sind grundsätzlich gute Nachrichten. Aber, so scheint es zu sein, es gab weniger „milde Verläufe“ von COVID-19 bei den geimpften Kindern. Die Impfung schützt also vor milden Verläufen von COVID-19. Rechtfertigt dies aber eine Impfung? Immerhin traten bei vielen Impflingen zahlreiche Nebenwirkungen auf. Bei wie vielen Kindern, wird in der Studie nicht festgehalten, sondern nur dargestellt, welche Nebenwirkung wie oft vorkam. Es kann sein, dass viele Kinder gar keine Nebenwirkungen aufwiesen und wenige Kinder sehr viele. Hierzu konnte ich keine Angabe finden. Aber: Die häufigste Nebenwirkung trat bei 74 Prozent der Kinder auf, so dass wir sagen können, bei bestimmt 80 Prozent der Kinder traten Impfnebenwirkungen auf – für was? Na ja, um sie vor einem milden Verlauf zu schützen. Wir können also auf der Grundlage der Studie nicht sagen, dass die Impfung schwere Verläufe bei Kindern vermeiden helfe. So ist das Narrativ ja bei der Erwachsenenimpfung.
Auch eine „Kosten-Risiko-Abwägung“ erfolgte in der Diskussion dieser Studie nicht. Dies war auch nicht zu erwarten, weil dies nicht das Ziel dieser Studie war. Ziel war das Schaffen einer Grundlage, damit dieser Impfstoff möglichst schnell an Kinder von 5 bis 11 Jahren verimpft werden kann. Punkt. Diese Grundlage ist geschaffen worden.
Was aus der Studie weiterhin nicht abgeleitet werden kann, ist, ob eine Infektion überhaupt verhindert oder vermieden werden kann. Wie wir von den Erwachsenen ja wissen, schützt die Impfung nicht vor der Infektion und nach kurzer Zeit auch nicht mehr vor einer Erkrankung. Warum kann dies nicht abgeleitet werden? Weil dies gar nicht systematisch gemessen wurde. Es wurde nicht festgehalten, z.B. durch ein wöchentliches Testen bei allen Kindern, ob mittels PCR eine SARS-CoV-2 Infektion nachzuweisen wäre, z.B. eine sogenannte „stumme Infektion“. Getestet wurde nur bei symptomatischen Kindern. Wir wissen aber, dass die Mehrheit der kindlichen Infektionen asymptomatisch erfolgt. Es erklärt sich nicht, dass in Deutschland die Schulkinder 2- bis 3-mal die Woche getestet werden, um am Unterricht teilnehmen zu dürfen, aber im Rahmen einer Zulassungsstudie für einen Impfstoff dies nicht erfolgt. Warum erfolgte ein komplizierter Test im Reagenzglas, um die Immunreaktion messen zu können, die auf die Impfung erfolgte (oder nicht), nicht aber z.B. das Messen anderer Parameter, die einen solchen Impferfolg bzw. eine Immunantwort ebenfalls hätten evaluieren können? Dies hätte z.B. durch das Auswerten der Antikörperpegel vor, während und nach der Impfung bzw. Scheinimpfung erfolgen können.
Unverständlich ist mir zudem, dass aufgrund der Erkenntnisse durch das Impfen an Älteren nicht weitere Vorsorgemaßnahmen bzw. Untersuchungen angestellt wurden. Zumindest wurden diese nicht erkennbar im veröffentlichten Studiendesign publiziert. Es wird in der Diskussion zwar darauf hingewiesen, dass „weder eine Herzmuskelentzündung oder Herzbeutelentzündung festgestellt werden konnte“, aber gleichzeitig angemerkt, dass dies ja auch bei Erwachsenen lediglich in einem sehr geringen Umfang diagnostiziert würde. Weiterhin ist die Studienkohorte mit 1.510 Teilnehmern zu klein, um hier seltenere Nebenwirkungen und Folgeerscheinungen festhalten zu können. Es stellt sich weiterhin die Frage, warum und bei wie vielen Kindern die Nachbeobachtungszeit „0 Wochen“ bzw. nur wenige Wochen dauerte.
Jedes zehnte geimpfte Kind hatte eine Nebenerkrankung. Hierauf wurde im Studiendesign hingewiesen. Auch wenn dies eine zahlenmäßig vielleicht kleine Gruppe war (Ist jedes zehnte Kind dann noch eine kleine Gruppe? Eigentlich nicht.), hätte man vielleicht etwas herausfinden können. Zumindest eine nähere Beschreibung über die Gruppe der positiv Getesteten. Kamen die alle aus einem Land, von einer Impfstation? Irgendwie mehr Deskriptives. Leider Fehlanzeige.
Waren wir bisher auf die Idee gekommen, unsere Kinder gegen Grippe zu impfen? Nein, aus gutem Grund nicht. Und vor einem Jahr hätte ich auch nicht für möglich gehalten, dass wir eine Impfpflicht in Deutschland bekommen. Oder dass ein Bundesverfassungsgericht den Lockdown absegnet. Also wird – trotz sehr zweifelhafter Studienlage – auch die Impfpflicht für 5- bis 11-Jährige kommen. Bereiten wir uns darauf vor. Wir sehen dies ja an den Aussagen des Bald-Kanzlers: Erst „keine Impfpflicht“, dann „Geimpfte sind Versuchskaninchen“, und heute: „Impfpflicht für Alle“. Na dann, gute Nacht.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Hubertus Voigt ist Arzt in leitender Funktion an einer großen deutschen Klinik und möchte anonym bleiben.
Bild: ShutterstockText: Gast