Kinderschuh-Proteste gegen Schulschließungen in Sachsen und Thüringen MDR wirft Eltern Antisemitismus vor

Von Vincent Vahrenberg

Seit Wochen brodelt es in Sachsen. Vor allem in den Kleinstädten im Erzgebirge gehen die Leute gegen die Lockdown-Politik auf die Straße. Sie treffen sich zu Hunderten zu Spaziergängen, versammeln sich auf Marktplätzen und schreien ihren Unmut heraus.

Eine neue Form des Protests tauchte am 20. März auf. Anlass war die Wiederschließung von Schulen und Kindergärten in den Landkreisen Zwickau, Nordsachsen und Erzgebirge, nachdem diese gerade erst wieder geöffnet worden waren. Etliche Eltern hatten im wahrsten Sinne des Wortes die Nase voll von der Politik der Landesregierung und stellten Schuhe ihrer Kinder vor die Rathäuser in Zwickau, Stollberg, Zwönitz, Limbach-Oberfrohna und anderen Orten. Aufrufe zu diesem Protest waren in sozialen Netzwerken geteilt worden. Mehrere Bürgermeister ließen die Schuhe einsammeln und schickten sie nach Dresden zur Landesregierung.

In den nächsten Tagen kam es in immer mehr Städten zu Kinderschuh-Protesten. Nach Sachsen auch in Thüringen, und kurz vor Ostern wurde eine bundesweite Aktion daraus. Der Mitteldeutsche Rundfunk hatte zu Beginn der Schuh-Proteste noch neutral und sachlich darüber berichtet. Doch zehn Tage später hatte man sich offenbar eine andere Strategie überlegt. Am Mittwochabend vor Ostern ging es los. Da wurde der Kinderschuh-Protest im MDR-Fernsehprogramm neu „eingeordnet“. In der Nachrichtensendung „MDR Aktuell“ wurde dazu eine sehr junge Redakteurin der Abteilung „Recherche“ zugeschaltet. Und dann begann ein offenbar abgesprochenes Frage-Antwort-Spiel zwischen Moderator und Redakteurin.

Abgesprochenes Frage-Antwort-Spiel

Frage des Moderators: Wer sind die Initiatoren des Protests, aus welchem Umfeld kommen sie?

Die Redakteurin berichtete, ihre Abteilung hätte ein „sehr eindeutiges Netzwerk und sehr eindeutige Hintergründe“ dieser Organisatoren der Proteste herausgefunden. Auch wenn sie nicht genau sagen könne, wer die Ideengeber gewesen seien. Es gebe aber eindeutige „Verstrickungen in das Querdenker- und Coronaleugnermilieu“. So würden in den Chatgruppen auch Beiträge mit verschwörungsideologischen und rechten Inhalten geteilt.

Der Moderator gab das nächste Stichwort: „Ist es Zufall, dass der Protest mit Kinderschuhen gezeigt wird?“

Daraufhin lief die Redakteurin zur Hochform auf mit der Feststellung, dass der Protest der Eltern auch eine „grausame historische Bedeutung“ hätte. Denn mit „Bergen von Kinderschuhen“, so die junge Frau, würden sie an „furchtbare Bilder des Holocaust“ erinnern, als die KZs befreit wurden und dort zigtausende Kinderschuhe gefunden wurden.

Dazu muss man sagen, dass auf den Rathaustreppen mitnichten „Berge von Kinderschuhen“ zu sehen waren, sondern die Schuhe stets paarweise und ordentlich abgestellt waren, die Schuhe selbst bunt und modern aussahen und dazwischen Schilder steckten, die eindeutig auf die Lockdown-Situation im Jahr 2021 verwiesen.

Ich halte mich selbst für einigermaßen gebildet, aber der Gedanke an KZ und Holocaust ist mir bei den aktuellen Bildern von sächsischen Rathaustreppen nicht gekommen. Vielleicht, weil ich mehr auf das gehört habe, was die betroffenen Eltern dazu zu sagen hatten? Oder weil ich in meinem Kopf nicht den Drang verspüre, jeglichen Protest gegen die Regierenden in diesem Land als „rechts“ einzuordnen?

Die Attacke gegen die protestierenden Eltern geht weiter

Doch die Attacke des MDR gegen die Protestierenden war noch längst nicht beendet. Auf der Internetseite mdr.de erschien ein längerer Text zum Thema mit dem gleichen Tenor: Der Protest wird irgendwie von rechts gesteuert und ist antisemitisch, wer genau dahinter steckt, weiß man aber nicht.

Dort wurde Reinhard Schramm, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Thüringen, zitiert: „Als ich die Bilder von Kinderschuhen vor Rathäusern gesehen habe, musste ich natürlich sofort an die jüdischen Kinder im Holocaust und das Gedicht ‚Kinderschuhe aus Lublin‘ denken.“ Aber nicht alle Protestierenden würden wissen, welche Bedeutung darin liege, so Schramm.

Worin liegt welche Bedeutung? Die Bedeutung entsteht im Kopf des Betrachters. Und wenn Eltern die Schuhe ihrer Kinder auf die Rathaustreppe stellen, weil sie nicht mehr länger zuschauen wollen, wie ihre Kinder leiden und das ihre Motivation ist, dann liegt  genau darin die Bedeutung, zumindest für diese Eltern. Die Bedeutung, die Herr Schramm darin sieht, ist seine Sichtweise, die ich zwar verstehen kann, die aber keine universelle sein muss.

Herr Schramm führt dann weiter aus: „Mir geht es deshalb darum, nicht jeden sofort zum Antisemiten zu stempeln.“ Das ist nett. Weiter im Text: Vielmehr sollten die Protestierenden „verstehen, dass sie sich geirrt haben“.

Die Eltern, die nach einem Jahr Pandemie verzweifelt sind und aus Sorge um ihre Kinder bei dem Schuhprotest mitmachen, die haben sich also „geirrt“, meint Herr Schramm. Soll das heißen, wer die Dinge nicht so sieht wie er, der irrt sich? Ich lass das mal so stehen.

Experte der Amadeu Antonio Stiftung gibt Einschätzung ab

Aber das war noch nicht alles, was die Internetseite mdr.de auffuhr, um den Schuh-Protestlern das passende Gatter zuzuweisen. Es wurde noch ein Experte für Verschwörungsideologien befragt. Und zwar Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung. Also jener Stiftung, die von der ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane geleitet wird.

Der Verschwörungsideologie-Experte lieferte genau das ab, was von ihm erwartet wurde (Kritiker sagen, genau dafür gibt es auch solche Stiftungen). Benjamin Winkler: „Vielen Menschen, die an dieser Aktion teilnehmen, wird weder die historische Bedeutung bewusst sein, noch die verschwörungsideologischen Motive mancher Organisator*innen im Hintergrund.“ Den Urhebern der Aktion dürften die historischen Konnotationen hingegen sehr genau bekannt sein. Leider konnte auch Herr Winkler nichts Genaues zu den „Urhebern der Aktion“ sagen. Aber irgendwo rechts dürften sie zu finden sein.

Am Gründonnerstag erreichte das Thema dann den Radiosender MDR Aktuell. Dort meldete sich ein Herr Woitscheck vom Sächsischen Städte- und Gemeindetag zu Wort. Und welch Überraschung! Auch er kam zu der Aussage, dass die Initiatoren der Proteste ganz bewusst mit einem „schlimmen historischen Vergleich“ spielten. „Die leeren Kinderschuhe“ seien ein „Symbol für den tausendfachen Tod von Kindern in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten“. Coronabedingte Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit würden gleichgesetzt mit dem Tod von Kindern in Vernichtungslagern, so Woitscheck.

Eltern weisen Holocaust-Vergleich von sich

Dem widerspricht, wie die protestierenden Eltern selbst zum Beispiel in TV-Beiträgen des MDR auftraten. Da wurde überhaupt nichts „gleichgesetzt“. NS-Zeit und Holocaust wurden von den Eltern nirgendwo erwähnt. Und wenn sie von Reportern darauf angesprochen wurden, wiesen sie entsprechende Absichten zurück. Auf den Schildern, die zwischen den Kinderschuhen auf den Treppen steckten, standen Botschaften wie: „Kinder brauchen Kinder“, „Ich möchte wieder in die Schule“, „Ich möchte wieder mit meinen Freunden lernen“. Man muss schon viel Böswilligkeit oder ideologische Vorurteile besitzen, wenn man darin einen „Vergleich mit dem Holocaust und dem Tod von jüdischen Kindern in Vernichtungslagern der Nazis“ sehen will.

Was mir aber auffiel bei diesem Interview: Herr Woitscheck klang bei der Passage über den angeblichen Holocaust-Vergleich, als ob er seinen Text ablesen würde oder auswendig gelernt hätte. Es war keine mündliche Sprache. Hatte er sich was zurechtgelegt?

Fazit: Der MDR hat 10 Tage nach den ersten Kinderschuh-Protesten in Sachsen zu einem Rundumschlag gegen die Protestierenden ausgeholt und ihnen rechte Gesinnung und antisemitische Motive unterstellt. Und das fast zeitgleich auf allen Kanälen. Innerhalb weniger Stunden wurden aus Kritikern der Landesregierung selbst Kritisierte. Die eigentlich anklagenden Eltern fanden sich selbst auf der Anklagebank wieder. Über die Verantwortung der Politiker spricht derweil niemand mehr. Manöver geglückt, könnte man aus Sicht der Regierenden sagen. Bleibt die Frage, ob das Aufgabe der Presse ist.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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Vincent Vahrenberg ist Mitarbeiter (m/w/d) eines öffentlich-rechtlichen Senders und schreibt deshalb hier aus verständlichen Gründen unter Pseudonym.


Bild: privat
Text: gast


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