Kunst des Wegschauens Im Louvre rauben Täter Schmuck – und die Security schaut zu. Willkommen im Europa der Simulationen.

Sie gehören inzwischen zu unserem Alltag wie Kassenbons mit „Danke für’s Einkaufen“: Sicherheitsleute. Kaum ein Supermarkt in einer Großstadt kommt noch ohne sie aus. An Bahnhöfen stehen sie mit Blick ins Nichts, in U-Bahnen wirken sie wie schlecht getarnte Touristen. Und oft fragt man sich: Sind das Schutzschilde – oder Staffage?

Mein lange gehegter Verdacht, dass viele dieser Männer (und gelegentlich auch Frauen) eher Placebo sind als Protektoren, hat sich nun in Paris auf bizarre Weise bestätigt. Schauplatz: der Louvre. Das berühmteste Museum der Welt. Milliardenwerte in Glasvitrinen. Und mittendrin – fünf Sicherheitskräfte, die zusehen, wie ein Raubüberfall geschieht. Nicht nachts, nicht in einem Hollywoodfilm, sondern an einem ganz normalen Besuchstag.

Die Täter kamen am helllichten Vormittag, trugen neongelbe Warnwesten wie Bauarbeiter und stiegen über einen simplen Leiterwagen in ein Fenster ein – direkt in die berühmte Galerie d’Apollon. Eine Überwachungskamera zeigt, wie einer von ihnen seelenruhig an einer Vitrine werkelt – während fünf Sicherheitsleute in oder um den Saal anwesend waren. Allein, sie taten: nichts.

Und obwohl die Alarmanlagen an den Fenstern und Vitrinen laut französischem Kulturministerium anschlugen, wurde der Überfall offenbar nicht gestoppt. Im Gegenteil: Die Täter konnten unbehelligt fliehen.

Kopp Vertreibung 2

Die offizielle Erklärung: Die Mitarbeiter hätten „sofort das Sicherheitsprotokoll angewendet“. Heißt: Polizei verständigt, Besucher geschützt – aber die Täter? Nicht angefasst. Die Sicherheitsleute waren unbewaffnet, heißt es. Man habe „Schlimmeres verhindern wollen“, womit offenbar gemeint ist: keinen Ärger riskieren, keine Verletzten, keine Verantwortung. Das klingt nicht nach Heldentum – sondern nach Ausrede mit Beamtenstempel.

Das Ganze wäre eine Anekdote für „Verstehen Sie Spaß?“ – wenn es nicht so ernst wäre. Es geht hier nicht nur um geklauten Schmuck. Es geht um das Prinzip: Wie viel Sicherheit ist real – und wie viel nur Kulisse? Wie oft täuschen Uniformen Kompetenz vor? Wie oft wirkt ein Schild „Videoüberwachung“ wie der letzte Rest staatlicher Präsenz?

Denn das ist die eigentliche Tragik dieses Falls: Nicht der dreiste Coup ist das wirklich Erschütternde (solche Coups gab es leider schon immer) – sondern die hilflose Passivität derer, die verhindern sollten, dass so etwas überhaupt passiert.

Der Fall Louvre steht exemplarisch für ein Europa, das sich nach außen gern wehrhaft gibt, aber innerlich müde ist. Überall Sensoren, Scanner, Systeme – aber wenn etwas passiert, steht der Mensch daneben. Wortwörtlich. Und tut: nichts.

Wir haben in Europa ein Sicherheitsgefühl, das auf Theater basiert. Präsenz ersetzt nicht Reaktion, Protokoll ersetzt nicht Rückrat. Und wer nichts tun kann – oder darf –, der schützt auch nichts. Er zeigt nur: Wir waren immerhin da.

Vielleicht ist das ja die neue Form von zivilem Ungehorsam: das passive Personal. Vielleicht glauben manche Sicherheitsleute inzwischen selbst nicht mehr daran, dass sie etwas ausrichten könnten – zwischen Messerattacken, Drogendeals und Behördenversagen.

Oder sie tun einfach, was viele in Europa gelernt haben: Dienst nach Vorschrift. Auf keinen Fall Eigeninitiative. Am besten gar nichts falsch machen – also lieber gar nichts tun. Dann kommt auch keiner und beschwert sich. Außer vielleicht der Museumsdirektor. Oder der Zuschauer. Oder die Versicherung.

So endet das Versprechen von Sicherheit in einer bizarren Groteske: bewaffnet ist niemand – außer die Täter. Zuständig ist jeder – aber verantwortlich keiner. Und wenn jemand fragt, warum fünf Sicherheitskräfte einfach zusahen, lautet die Antwort: weil sie’s mussten. Oder durften. Oder gar nicht anders konnten.

Das ist nicht ihre Schuld. Im Gegenteil: Wer Menschen für wenige Euro die Stunde in solche Lagen bringt, ohne Ausbildung, ohne Mittel, ohne Rückendeckung – der hat nicht Sicherheit geschaffen, sondern Verantwortungsdiffusion. Die Uniform wird zum Alibi, der Mensch dahinter zum Blitzableiter.

Sicherheit wird bei uns simuliert, nicht garantiert. Dafür gibt’s viele Regeln. Noch mehr Schilder. Und gelegentlich fünf Männer in Uniform, die zeigen, was sie wirklich schützen: ein System, das sich vor echter Verantwortung drückt.

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