In normalen Ländern ist die Nationalflagge ein Gegenstand von Stolz. Ich kann mir keinen US-Amerikaner, Franzosen oder Briten vorstellen, der die Fahne seines Landes verächtlich herunterreißt. In normalen Ländern weiß man auch, dass Nation und Fahne geschichtlich für Unabhängigkeit stehen – und vielerorts sogar für eine Freiheitsbewegung.
Nicht so in Deutschland. Da reicht die Fahnenallergie bis ganz oben. Nie werde ich jene Szene nach Merkels Wahlsieg 2013 vergessen, als die Bundeskanzlerin mit ihrer Entourage auf der Bühne der Siegesparty stand. Und einer ihrer Gefolgsleute eine Deutschland-Fahne zu schwenken begann: Hermann Gröhe.
Die Kanzlerin nahm ihm wie einem kleinen Jungen die Fahne aus der Hand und trug sie von der Bühne. Davon gibt es eine neunsekündige Videoaufnahme. Die ich mir jetzt noch einmal lange angesehen habe, wieder und wieder. Und wieder und wieder konnte ich nicht glauben, wie die Kanzlerin ganz offen ausdrückt, wie angewidert sie von der Fahne ist. Wie sie Gröhe mit Blicken belehrt, die sagen: „Igitt, so was geht ja gar nicht!“ So, als hätte er ihr einen stinkenden Aal auf der Tribüne unter die Nase gehalten.
Merkels Beispiel hat Schule gemacht. Der jüngste Fall: Die Gleichstellungsbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern, die Linken-Politikerin Wenke Brüdgam. Auf einem Instagram-Video präsentiert sie voller Stolz eine Deutschlandflagge, die sie von einem angeblich „leerstehenden Haus“ heruntergerissen hat.
In dem Streifen fragt der Kameramann Brüdgam: „Was hast du heute als Erstes gemacht?“ Sie antwortet: „Als ich mich auf den Weg hierher gemacht hab, musste ich in meiner Stadt diese Dinger hier entdecken, die überall aufgehängt waren. Also bin ich ausgestiegen und habe sie abgerissen.“
Weiter führt sie aus: „Denn wer in diesen Zeiten Deutschlandfahnen an leerstehende Häuser hängt, der will nicht zeigen, dass er sein Land mag, sondern der will letztlich Nationalismus propagieren und damit klar zum Faschismus aufrufen.“
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Eine Politikerin, die aus der Steuerkasse bezahlt wird, behauptet, die deutsche Flagge rufe zum Faschismus auf. Damit machte sich die Frau aus der umbenannten SED offenbar auch in den Reihen der eigenen Anhänger unbeliebt – offensichtlich unter großem Druck verschickte sie nachmittags eine Erklärung. Sie habe diese Äußerung ausschließlich als Privatperson getätigt und nicht als Landesbeauftragte.
Wie soll man sich das vorstellen? Liegt Frau Brüdgam morgens im Bett und fragt sich: „Bin ich heute Linken-Aktivistin oder Landesbeauftragte?“ Gibt es da eine Art inneren Schichtplan – montags Ideologie, dienstags Grundgesetz? Und vor allem: Wann genau findet dieser Rollenwechsel statt – im Auto? Beim Schminken? Oder erst, wenn die Kamera läuft? Für wie komplett verblödet hält diese Frau eigentlich ihre Wähler? Wahrscheinlich so sehr, dass sie ihnen sogar den Unterschied zwischen Privatvideo und Amtshandlung erklären muss – mit der Deutschlandfahne noch in der Handtasche.
Jedenfalls fraß sie Kreide: „Ich entschuldige mich ausdrücklich für mein Verhalten, das war ein großer Fehler. Ich stehe zu unseren freiheitlich-demokratischen Grundwerten.“ Sie sei „überzeugt, dass wir die Verfassungssymbole der Bundesrepublik Deutschland nicht Verfassungsfeinden überlassen dürfen“.
Für mich klingt das alles andere als glaubwürdig. Denn noch bezeichnender als der Vorfall selbst ist der Kontext: Dass dieses Video überhaupt gemacht und veröffentlicht wurde, zeigt, wie normal solche Ausfälle in Teilen der linken Szene offenbar sind. Wer so etwas mit Stolz teilt, fühlt sich sicher – weil er weiß, dass es im eigenen Umfeld eher Applaus als Widerspruch gibt.
Nach Ansicht des Hamburger Polizeigewerkschafters Thomas Jungfer ist das Verhalten der „Linken“-Politikerin kein Kavaliersdelikt. In seinen Augen kommen Diebstahl und mögliche Sachbeschädigung als Tatbestände in Betracht. Zu „Bild“ sagte er: „Wer Deutschlandfahnen abreißt, hat für sein Land offensichtlich nicht viel übrig. Frau Brüdgam verwechselt Patriotismus mit Nationalismus und ist ihrer eigenen Gedankenwelt aufgesessen.“
Selbst Brüdgams Chefin und „Linke“-Parteigenossin, Mecklenburg-Vorpommens Justizministerin Jacqueline Bernhardt: „Als Mitglied der Landesregierung setze ich voraus und erwarte auch, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und die Symbole mit Verfassungsrang zu achten. Die Vorwürfe gegen Frau Brüdgam werden zurzeit auf mehreren Ebenen geprüft.“ Die Opposition fordert Brüdgams Rücktritt.
Ich frage mich: Was treibt Menschen wie Brüdgam an – Menschen, die von diesem Land leben, sich vom Staat alimentieren lassen, sich auf seine Werte berufen, aber die Symbole eben jenes Staats verachten und bei erster Gelegenheit schänden? Es ist eine tief sitzende, fast pathologische Entfremdung: Man genießt die Vorzüge des Systems, hasst aber seine Fundamente. Man gibt sich weltoffen, doch ein positives Verhältnis zur eigenen Heimat – Fehlanzeige. Vor allem aber: Man verwechselt das Land mit seinen dunkelsten Kapiteln, als gäbe es dazwischen nichts. Aus dem berechtigten „Nie wieder!“ wird ein neurotisches „Nie wieder Deutschland!“ – eine Schieflage, die in den Führungsetagen längst zur moralischen Währung geworden ist.
Dass ausgerechnet eine Gleichstellungsbeauftragte das Symbol dieser Republik mit Faschismus gleichsetzt, offenbart eine Schizophrenie, die tiefer reicht als jede Entgleisung. Es ist der neue Staatsadel der Selbstverachtung – finanziert vom Steuerzahler, abgesichert durch Parteistrukturen, entfremdet vom normalen Lebensgefühl. So entstehen Parallelwelten, in denen Deutschland nur noch Projektionsfläche ist: für Schuld, für Scham, für ideologische Zerrbilder. Wer da noch Flagge zeigt, gilt nicht als Demokrat, sondern als Provokateur. Und genau das ist das eigentliche Problem. Dieses Land ist krank – oder genauer gesagt: große Teile seines politischen Apparats. Noch schlimmer aber ist, dass viele Bürger diesen Selbsthass dulden. Aus Bequemlichkeit, Apathie, Angst – oder weil sie längst Teil davon geworden sind.
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