Masken im Kopf Corona-Feindbilder

Ein Gastbeitrag von Ekaterina Quehl

Stripe ist ein junger Soldat. Er lebt in einer Kaserne. Nachts träumt er von seiner Verlobten und tagsüber kämpft er gemeinsam mit seinen Waffenbrüdern. Gegen Kakerlaken. Sie spüren mithilfe fortgeschrittener Technologien deren Nester auf und vernichten sie. Damit helfen sie auch armen Menschen, deren Proviant die Kakerlaken regelmäßig vernichten.

Einmal spüren die Soldaten ein Kakerlaken-Nest im Hause eines alten Mannes auf. „Wie kann man denn so blöd sein und einer Kakerlake helfen?“, fragt Stripe seine erfahreneren Kollegen. Das ist sein erster Einsatz.

„Mit jeder Kakerlake, die Sie heute retten, verdammen Sie wer weiß wie viele morgen zu Not und Verzweiflung“, sagt Stripes Kommandantin dem alten Mann beim Verhör. „Sie können sie nicht als Menschen betrachten.“

Währenddessen durchsuchen andere Soldaten das Haus des alten Mannes. Sie spüren die Kakerlaken auf; es kommt zum Kampf. So sieht Stripe zum ersten Mal in seinem Leben eine Kakerlake: ein schreckliches Monster mit abscheulichem Gesicht, vom Menschlichen nur ein Rumpf. Stripe zögert keine Sekunde, er kämpft mit ihr um sein Leben und bringt sie endlich zur Strecke. Stolz ist er auf seinen ersten Einsatz.

Von da an beginnen jedoch merkwürdige Dinge mit Stripe zu geschehen. Seine Wahrnehmung wird allmählich verzerrt. Verletzt im Kampf mit dem Monster? Er beginnt Dinge zu sehen, die andere Soldaten nicht sehen können. Er nimmt Stimmen, Farben und Gerüche viel deutlicher wahr als seine Kameraden. Ist er vielleicht krank? So geht er auch zu seinem nächsten Einsatz gegen die abscheulichen Monster, nicht wissend, dass er nicht krank ist, sondern nur von nun an die Welt so sehen kann, wie sie ist. Er weiß noch nicht, dass er – anders als seine Waffenbrüder – wegen einer Störung keine Kakerlaken mehr wahrnimmt. Er sieht nur obdachlose, hilfsbedürftige Menschen, die sich in verlassenen Häusern verstecken und um ihr Leben kämpfen.

Von einer jungen Frau, der er versucht zu helfen, erfährt er, dass es die schrecklichen Kakerlaken-Monster gar nicht gibt. „Eure Armee-Implantate, euer Masken-System – sie tun es in eure Köpfe, um euch beim Kampf zu unterstützen. Ist es aktiviert, nehmt ihr uns als jemand anderes wahr.“ „Aber“, widerspricht Stripe, „andere Menschen sind keine Soldaten, sie haben keine Masken im Kopf. Und sie haben Angst vor Kakerlaken und hassen sie.“ – „Sie hassen uns, weil man ihnen das einredet“, erwidert die Frau.

Die Welt, in der Stripe lebt, ist fiktiv. Es handelt sich um eine Geschichte aus der dystopischen Serie „Black Mirror“, in der Menschen mit einer schlechten DNA als Schädlinge gesehen werden und vernichtet gehören. Damit man sie aber als solche sehen kann – denn deren schlechte DNA kann man nicht an ihren Gesichtern erkennen – wird der restlichen Bevölkerung eingeredet, es seien gefährliche Monster. Und den Soldaten, die sie töten müssen, werden Implantate in die Köpfe gesetzt – ein Masken-System – die ihre Wahrnehmung verzerren und sie statt Menschen schreckliche Monster sehen lassen. Denn wenn man Monster statt Menschen sieht, kann man es besser rechtfertigen, sie auch als Monster zu behandeln.

Dieser Tage erreichte reitschuster.de ein Leserbrief, der mich sofort an diese Folge von „Black Mirror“ („Männer aus Stahl“) erinnerte, in welcher Menschen eingeredet wird, dass andere eine Gefahr darstellen. Die Leserin schreibt:

‘Völlig fertig‘

„Ich bin langsam völlig fertig. Ich komme in kaum mehr einen Laden rein und auf der Straße werde ich täglich bis zu drei Mal am Tag von anderen Personen belästigt, beleidigt, bedroht und diffamiert. Ich darf nun nicht mehr für meine Tiere einkaufen. Die Menschen auf der Straße verhalten sich viel schlimmer, als es die Polizei überhaupt tut.

Ich werde von wildfremden Menschen nach meinem Attest und Ausweis gefragt, wenn ich im Bus bin. Ich zeige es gerne jedem Busfahrer und Polizisten vor. Da gab es noch nie Probleme, aber die Fahrgäste und Kunden in Läden machen es mir so schwer. Einmal sogar wurde der Busfahrer mit beleidigt, weil dieser sich weigerte mich rauszuwerfen. Ihm wurde vorgeworfen, er könne sich ja alles erlauben, weil er schwarz sei.

Was geht in den Köpfen der Menschen vor? Ich verstehe es nicht mehr. Die Menschen kommen mit Absicht auf mich zu, nur weil ich keine Mund-Nasen-Bedeckung trage, die ich wegen meines Attests auch nicht tragen muss und auch nicht soll. Warum tun sie das? Wenn ich ohne Mund-Nasen-Bedeckung ein solches Infektionsrisiko bin: Haben sie keine Angst vor einer Ansteckung? Dann sollen sie doch Abstand halten, wenn ich keine Mund-Nasen-Bedeckung trage. Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Kontakt zu anderen Menschen wie während der Corona-Pandemie, weil alle zu mir kommen und meinen, sie müssten mich zurechtweisen.

Ich kann keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen und ich will mich nicht immer erklären müssen … Das Einzige, wo ich in Ruhe gelassen werde, ist, wenn meine Allergie gerade ausbricht und ich mit geschwollenem Gesicht und Hals, mit Quaddeln und Pusteln in der Bahn sitze und schwer Luft bekomme. Dann traut sich niemand, sich neben mich zu setzen oder mir zu helfen. Solange meine Allergie aber nicht aktiv ist und ich nicht so aussehe, als hätte ich eine schlimme Erkrankung, werde ich belästigt. Durch die Maske wird diese Allergie aber viel häufiger ausgelöst, deswegen wurde ich davon von meinem Arzt befreit. Aber den Menschen ist das völlig egal.“

Sicher ist eine Gleichsetzung mit jener Fernsehserie übertrieben. Doch die Mechanismen, um die es in der Folge bei der Darstellung einer Gefahr, eines Feindes, geht, wirken ähnlich.

In der Stripe-Welt gibt es Masken im Kopf, um die menschliche Wahrnehmung zu verzerren und andere, nicht passende Menschen als Kakerlaken erscheinen zu lassen.

Im heutigen Deutschland werden Menschen, die aus bestimmten Gründen keine Masken tragen, als gefährlich eingestuft. Denn so kann man die eigene Haltung besser rechtfertigen und mit dem eigenen Gewissen besser im Reinen sein.

In der Stripe-Welt werden aus anderen Menschen optisch Feinde und Schädlinge gemacht, damit sie leichter bekämpft werden können.

Im heutigen Deutschland werden Kritiker und Andersdenkende häufig als Nazis diffamiert. Wenn man ihnen eine feindliche Kraft zuordnet, ist es leichter, sich einzureden, dass sie bekämpft werden sollten.

Stripe erfährt die Wahrheit über seine Welt. „Das Ganze ist eine Lüge. Kakerlaken! Die sehen aus wie wir“, sagt er seinem Anführer. „Natürlich“, antwortet dieser, „deshalb sind sie so gefährlich … Es ist leichter abzudrücken, wenn Sie auf den Butzemann zielen“. Er zeigt Stripe die Aufnahme von seinem ersten tödlichen Kampf mit dem angeblichen Monster.

Stripe steht vor der Wahl: Entweder sich der schrecklichen Realität auszusetzen, in der Menschen wie er als Feind gesehen und getötet werden, oder sich für die weitere Nutzung der Maske im Kopf zu entscheiden, mit welcher diese Menschen zu Monstern gemacht werden. Als Stripe erkennt, dass er statt eines Monsters einen Menschen getötet hat, erträgt er die Wahrheit nicht und entscheidet sich für die Maske.

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Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 15 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de und studiert nebenberuflich Design und Journalismus.


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Bild: Getmilitaryphotos/Shutterstock
Text: Ekaterina Quehl


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