(M)ein Weihnachtsmärchen

Der Brief traf wie ein Blitz, aus heiterem Himmel. Weil ich eine „Kachel“, ein Bild mit Text, auf twitter geteilt hatte, wie es täglich Hunderttausende tun, kam Post vom Anwalt eines sehr bekannten ARD-Journalisten. Ich hatte das Zitat des ARD-Promis kritisch kommentiert, dafür gab es mehr als 1.600 „Likes“ auf twitter. Und ein Anwalt-Schreiben. Mit der Aufforderung zu einer Unterlassungserklärung. Und horrender Rechnung. Dabei war das Zitat echt, meine Kritik einwandfrei – aber die Rechte an seinem Portraitfoto hatte der ARD-Mann dem Fotografen abgekauft, und die machte er nun geltend.

Details des nun beginnenden juristischen Kleinkriegs will ich Ihnen ersparen, zumindest jetzt an Weihnachten und solange mir mein Anwalt das rät. Auch meine Website drohte zum juristischen Kollateralschaden zu werden. Sicherheitshalber schaltete ich sie ab. Nach 10 Jahren. Plötzlich kam ich mir vor wie in einem Roman von Kafka. Der Anwalt drohte mit einem „übereifrigen Detektiv“. Es geschahen seltsame Dinge in meinem Leben. Sicher alles nur Zufall: Da war plötzlich ein Privatdetektiv hinter mir her, und es gab Versuche, mit einem Fake-Anruf bei meinem Bruder meine Privatadresse herauszubekommen.

Doch das weckte den Sturkopf in mir (nach 16 Jahren Moskau bin ich hart im Nehmen). Jetzt erst recht, sagte ich mir. Mit viel Aufwand machte ich meine Seite juristisch wasserdicht (Sie werden nicht glauben, wie kompliziert das inzwischen ist.) Anfang Dezember startete reitschuster.de mit neuem Konzept. Und ich berichtete auf der Seite auch von den juristischen Problemen, und bat um Unterstützung.

Das Resultat hat mich überwältigt. So viel Unterstützung! So viele aufmunternden Worte! So viel Lob! Und noch mehr: Die Seite startete im neuen Gewand durch: In rund drei Wochen fast 117.000 Besucher, allein in den vergangenen sieben Tagen 237.000 Seitenaufrufe, und einzelne Artikel mit bis zu 45.000 Aufrufen.

Was als Albtraum begonnen hatte, wurde so zu meinem ganz persönlichen Weihnachtsmärchen. Das Sie, liebe Leserinnen und Leser, mir geschenkt haben. Und mit dem Sie ein Zeichen gesetzt haben. Ich danke Ihnen allen ganz herzlich für Ihre Unterstützung – sei es durchs Lesen, Weiterempfehlen oder eine Finanzspritze. Und ich will Ihnen im Gegenzug ein Versprechen machen: Ich werde mich nicht verbiegen und mir den Mund nicht verbieten lassen. Einige haben mir geschrieben, sie seien so froh, dass ich das ausspreche, was sie sich nicht trauen würden, laut zu sagen, aus Angst um ihre Existenz. Das sehe ich als Auftrag. Und ich werde die Seite weiter ausbauen. Und auch weiter anderen kritischen Stimmen ein Forum bieten – wie Gunter Weisgerber, der 19 Jahre für die SPD im Bundestag saß und gerade auf reitschuster.de seinen bewegenden Brief an Markus Lanz veröffentlicht hat („Ich kenne das aus der DDR, nachzulesen hier).

Ich bin mir sicher: Die vernünftige Mitte, die weder linksradikal ist noch rechtsradikal, sie ist die überwältigende Mehrheit in diesem Land. Das ist die Erfahrung aus vielen Vortragsreisen durch Deutschland, und die Reaktion hier auf der Seite hat mich darin bestärkt. Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben mir den Glauben an die Vernunft und an mein Land ein Stück weit zurück gegeben. Und nur weil die anderen, die Ideologen, die Glaubenskämpfer, die Moraliban, so laut schreien, weil sie Schlüsselpositionen in Medien, Politik und Gesellschaft besetzt und den Meinungskorridor völlig verengt haben, sind sie nicht in der Mehrheit. Und sie haben oft nur wenige Argumente. Eben deshalb müssen sie so laut schreien. Deshalb diffamieren sie Andersdenkende. Oder attackieren sie mit Anwälten.

Die Geschichte zeigt: Wenn Wunschdenken und Ideologie – neudeutsch „Haltung“ – über die Realität gestellt werden, wenn Menschen mit anderer Meinung diffamiert werden, endet das immer böse. Ich habe in 16 Jahren in Russland am eigenen Leib erlebt, welche katastrophalen Folgen totalitäres Denken führt – auch noch nach Jahrzehnten.Die Frage ist heute in Deutschland nur: Wie böse wird der fast wahnhafte Kampf gegen die Realität und für das vermeintlich Gute diesmal enden? Um das Schlimmste zu vermeiden, müssen alle Nicht-Ideologen ihre Meinungsunterschiede hintanstellen und an einem Strang ziehen, im Kampf für die Bewahrung von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat und echtem Pluralismus.

Ich habe inzwischen die zweite Anwaltsschrift bekommen – diesmal geht ein linker Aktivist gegen mich vor, weil ich hier auf reitschuster.de den Text eines Nachfahren von Nazi-Opfern veröffentlichte, der gegen die Instrumentalisierung seiner Vorfahren durch „Haltungskämpfer“ protestierte. Demnächst mehr dazu. Ich habe keine Angst: Sie haben mir in diesen drei Wochen die Überzeugung geschenkt, dass ich – mit Ihrer Unterstützung – auch diesen Angriff ausstehen werde!

In diesem Sinne nochmals meinen ganz herzlichen Dank!

Ein frohes Weihnachtsfest, und ein freies neues Jahr – in dem wir uns hoffentlich noch oft hier sehen werden!HerzlichstIhr

Boris Reitschuster


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