Mogelpackung: Nein, Berlin schafft das Gendern nicht ab Wegner will zwar Rückkehr zu normaler Sprache – setzt sie aber nicht durch

Die guten Vorsätze, mehr positive Nachrichten zu bringen, haben sich als ausgesprochen schwierig in der Umsetzung erwiesen. Weil es einfach zu wenige gibt. Zumindest zu wenige, die halbwegs relevant sind. Umso mehr hatte ich mich gefreut, Ihnen heute einmal etwas vermeintlich Positives präsentieren zu können: Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegner schafft das Gendern in der Verwaltung ab. So oder ähnlich der Tenor einiger Zeitungen. Mein erster Gedanke: Wunderbar, die Beamten in der Hauptstadt sollen künftig wieder richtiges Deutsch sprechen und vor allem schreiben. So, wie es die gültige Rechtschreibung vorschreibt; und wie es uns die Ideologen in Politik und Medien austreiben wollen.

Bei genauerem Hinsehen entpuppten sich entsprechende Schlagzeilen aber als Luftnummer. Und als Bauchklatscher der Kollegen: Sie haben offenbar schlecht recherchiert. Würde Wegner tatsächlich eine der heiligen Kühe der rot-grünen Ideologie schlachten, wäre das auch überaus verwunderlich. Denn der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD in der Hauptstadt liest sich in weiten Teilen fast so, als habe ihn die SPD gemeinsam mit rot-grünen Vorfeld-Organisationen selbst gestaltet (siehe den Artikel „‚Das Beste für Berlin‘: 136 Seiten Blabla“).

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„Jeder kann privat sprechen, wie er möchte. Aber ich möchte gern das Deutsch sprechen, das ich in der Schule gelernt habe und das alle verstehen“, sagte Wegner der „Bild“. Dem „Tagesspiegel“ kündigte er an, er werde „keinen Brief aus der Senatskanzlei in Gendersprache unterschreiben“. Eine Rückabwicklung bestehender Regelungen in der Berliner Verwaltung sei allerdings nicht vorgesehen. Und genau das ist der entscheidende Punkt – den viele Medien erst im „Kleingedruckten“ bringen  – und zudem dann auch nicht erläutern.

Bislang stehe auf der Internet-Seite der Stadt Berlin unter dem Punkt „geschlechtergerechte Sprache“ ein Hinweis, dass „Anpassungen am Internetauftritt“ kommen, „um den aktuellen Senatsumbildungen gerecht zu werden“, heißt es in zahlreichen Berichten – die offenbar von den Nachrichtenagenturen dpa und AFP übernommen wurden. Das trifft zwar zu. Führt aber in die Irre. Manche Kollegen traten prompt in ein Fettnäpfchen. Aber nicht alle: Manche titeln korrekt, dass Wegner sich gegen das Gendern in der Verwaltung ausgesprochen hat. Das stimmt so. Nur dass er eben keine Konsequenzen daraus zieht. Weswegen genau diese Inkonsequenz die Schlagzeile sein müsste. Wenn Journalismus noch funktionieren würde.

Die Recherche ist denkbar einfach. Gibt man bei Google „Berlin“ und „geschlechtergerechte Sprache“ als Suchworte ein, kommt man auf die erwähnte Seite der „Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung“ (was für ein Sprach-Ungetüm). Dort wird – neben dem Hinweis auf künftige Anpassungen – wie folgt in großen Buchstaben aus der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Berliner Verwaltung (GGO) zitiert: „Die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist zu beachten.“

Weiter schreibt die Senatsverwaltung dann: „Diese Regelung der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Berliner Verwaltung (GGO) ist weit mehr als eine formale Bestimmung. Sie schreibt die sprachliche Gleichbehandlung als Pflicht für den amtlichen Sprachgebrauch im Land Berlin verbindlich fest. Der Leitfaden für eine geschlechtergerechte Sprache in der Verwaltung gibt Hilfestellung dabei, wie geschlechtergerechte und verständliche Amts- und Rechtssprache im Behördenalltag gut umgesetzt werden kann.“

Es geht beim Gendern also „um eine formale Bestimmung“. Im Zusammenspiel mit der Aussage aus dem „Tagesspiegel“, dass „eine Rückabwicklung bestehender Regelungen in der Berliner Verwaltung allerdings nicht vorgesehen“ sei, heißt das: Nichts wird sich ändern, die Beamten und Angestellten müssen weiter gendern, nur Wegner wird sich gegen die eigenen „formalen Bestimmungen“ stellen. Und so sehr man gegen das Gendern sein mag wie ich – ist es sinnvoll, wenn ein Bürgermeister einfach nach Gutdünken Bestimmungen verletzt? In letzter Instanz führt ein solches Pfeifen auf das Recht nämlich zu Dingen wie der Grenzöffnung 2015.

Recherche-Faulheit

Bemerkenswert ist, dass offenbar viele Kollegen bei den großen Medien nicht in der Lage sind, im Internet nachzusehen, ordentlich zu recherchieren und Widersprüche zu erkennen und dann ins Zentrum ihrer Berichterstattung zu stellen. So aber brechen all die Überschriften wie „Berliner Verwaltung schafft Gendersprache wieder ab“ in der Berliner Zeitung in sich zusammen wie ein Soufflé, das man zu früh aus dem Ofen holt. Und als „ungegendert“ übrig bleiben nur die Briefe des Regierungschefs selbst.

Besonders peinlich: Der „Tagesspiegel“ bringt zwar ein faktisches „Dementi“ unter der Überschrift „‚Keine Rückabwicklungen‘: Wegner widerspricht Bericht über Gender-Verbot in Verwaltung“, aber blamiert sich auch damit. Das rot-grüne Blatt schreibt in dem Text: „Berlins Regierender Bürgermeister sagt, er werde selbst nicht gendern. Ein generelles Verbot in der Kommunikation der Berliner Verwaltung werde es jedoch nicht geben.“ Das ist eine Themaverfehlung – denn der springende Punkt ist, dass ohne Änderung die alte, zwingende Regelung, zu gendern, bestehen bleibt. Weiter heißt es in dem Beitrag: „Wegner plädiere dafür, auf eine gendergerechte Schreibweise zu verzichten, heißt es nun.“ Wegner würde damit seine Beamten und Angestellten zum Bruch bestehender Vorschriften aufrufen.

PS: Fast schon Realsatire ist, was weiter in dem oben zitierten Text der Senatsverwaltung steht: „Sprache ist ein Spiegel unseres Zusammenlebens, ein Instrument, das Bedürfnisse nach Mitteilung und Verständigung erfüllt, aber auch ein Instrument der Machtausübung und des Ausschlusses.“ Genau das betreibt die sogenannte Gendersprache: Machtausübung (rot-grüner Ideologen) und Ausschluss (nicht Rot-Grüner).

PPS: Die Sprache in der Verwaltung müsse verständlich sein, so die Begründung von Kai Wegner für seinen angeblichen Schritt. Sodann wirft er eine Angel aus, mit der er auch den Rot-Grünen die Entscheidung schmackhaft machen will. Oder zumindest deren allzu heftigen Widerstand verhindern: Die Stadt solle es Zugewanderten nicht unnötig schwer machen, so der Christdemokrat listig. Aber er hat einen Punkt: Dass „Gendern“ ein Horror für nicht sprachfeste Ausländer ist, lässt Rot-Grün immer unter den Tisch fallen.

Ex-Bürgermeisterin Franziska Giffey setzt sich sogar einfach realitätsfern über das Problem hinweg – man könnte fast meinen, sie habe noch nie mit einem Ausländer darüber gesprochen, der seine ersten Schritte im Deutschen macht: „Eine leicht verständliche und inklusive Sprache ist kein Widerspruch, sondern unser Anspruch“, schreibt sie auf Twitter in einer Reaktion auf Wegners Ankündigung. Und weiter: „Wir setzen uns für eine einfachere Sprache unserer öffentlichen Einrichtungen ein und stehen gleichzeitig für die Errungenschaft einer geschlechtergerechten Sprache, die unsere moderne Gesellschaft abbildet.“

Was für eine hohle, ideologische Phrasendrescherei!

PPPS: Bemerkenswert ist, dass auch nach dem „Dementi“ des „Tagesspiegels“ in manchen Medien noch die irreführenden Überschriften zu finden sind.

PPPPS: Sehr putzig ist die Empörung für einige Kollegen über etwas, was es gar nicht gibt. Das in „nd aktuell“ umbenannte frühere SED-Blatt „Neues Deutschland“ etwa titelt: „Kai Wegner und das Gendern: Ein Bärendienst für Berlin.“

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