Die Antwort von Merkels Sprecher Steffen Seibert war eindeutig. „Ich denke, man kann den Geimpften sagen, dass sich für sie, auch wenn die Zahlen jetzt weiter ansteigen, nichts ändern wird. Das gilt auch für die Genesenen. Sie müssen jetzt nicht mit neuen Einschränkungen rechnen“, sagte das Sprachrohr der Bundesregierung am 23. August auf der Bundespressekonferenz auf die Frage, ob es für Geimpfte keinen Lockdown mehr geben wird. Als die Frage wiederholt wurde, betonte er noch einmal: „Unter den Bedingungen der Deltavariante kann man sagen, dass sich Geimpfte nicht auf neue Einschränkungen einstellen müssen.“
Seibert ging mit seiner Antwort über die Frage hinaus. Und heute ruderte er nun heftig zurück, als ich nachhakte. Ich las Merkels Sprecher seine beiden Antworten vom 23. August noch einmal vor und fragte ihn: „Berlin hat nun eingeführt, dass sich auch Geimpfte für gewisse Dinge wieder testen lassen müssen. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Wie passt das mit Ihrer Versicherung von vergangener Woche zusammen?“ Für mich ein klarer Widerspruch. Für Seibert offenbar nicht. Seine Antwort: „Ich spreche hier grundsätzlich für die Bundesregierung, nicht für einzelne Entscheidungen der Länder. Diese spezielle Maßnahme von Berlin kann ich nicht kommentieren, weil ich sie jetzt nicht im Detail kenne. Der große Zusammenhang, in dem ich immer zu diesem Thema befragt wurde, auch am 23. August, war die Frage: Kommt ein neuer Lockdown? Auf diese Frage habe ich genau das geantwortet, was ich geantwortet habe.“
Ich bohrte noch einmal nach: „Hat sich diese Antwort also, obwohl sie sehr allgemein klang, nur auf den Lockdown bezogen? Wie steht es mit solchen Einschränkungen? Hält die Bundesregierung sie für möglich, für notwendig, oder kann sie sie ausschließen?“
Seibert wich aus: „Ich denke, wir alle sind jetzt durch eineinhalb Jahre in der Pandemie so erfahren, dass es nicht vernünftig wäre, irgendetwas auszuschließen. Ich sage das, was ich hier schon x-mal gesagt habe: Sollte, was jetzt, Gott sei Dank, nicht der Fall ist, eines Tages eine Variante des Virus auftauchen, gegen die die bisherigen Impfstoffe nicht wirksam sind, dann wird man neu denken müssen. Aber glücklicherweise haben wir sie nicht, und wir haben auch deswegen, um diese Variante nicht zu erleben, jedes Interesse, die Infektionszahlen möglichst bald wieder zu senken.“
Die konkrete Frage bezog sich nicht auf die hypothetische Möglichkeit einer neuen Virusvariante, sondern auf konkrete Berliner Entscheidungen. Zu denen hat Seibert und das Kabinett offenbar nichts zu sagen. Dabei betreffen sie Millionen Menschen und dürften diese brennend interessieren: Viele haben sich impfen lassen, um dem Testzwang und den Gängelungen zu entgehen. Nach dem Vorpreschen der Berliner sind sie nun im Ungewissen – und die Bundesregierung duckt sich wieder einmal weg.
Auch meine zweite Frage betraf die Frage, wie sicher die Geimpften sich ihrer Privilegien sein können: „Es gibt diverse Informationen, auch aus anderen Ländern, dass der Status des vollständig Geimpften mit seinen Vorteilen künftig von einer Auffrischungsimpfung abhängig gemacht werden soll. Herr Kautz, gibt es solche Pläne? Wenn nicht, halten Sie das für möglich?“
Die Antwort von Spahns Sprecher Hanno Kautz: „Sie wissen, dass bei uns eine abgeschlossene Impfserie als ausschlaggebend gilt. Daran hat sich bislang nichts geändert.“
Meine Nachfrage: „Die Frage war aber, ob Sie das ausschließen. Herr Seibert sagte zwar schon, Sie schlössen gar nichts aus. Aber Sie müssen ja sagen können, ob es nach heutigem Stand denkbar oder nicht denkbar ist, dass so etwas kommt.“
Kautz: „Ich kann Ihnen nur den Stand von jetzt referieren. Ich habe an dieser Stelle schon ganz häufig und prinzipiell gesagt, dass ich nichts aus- oder einschließe, weil das, egal, was ich sage, eine Agenturmeldung nach sich zieht. Deswegen brauchen Sie die jetzt gar nicht zu formulieren, wenn Sie das jetzt versuchen.“
Ich rief dazwischen: „Das müssen Sie mir überlassen.“
Kautz: „Der Stand ist, dass eine abgeschlossene Impfserie einen Impfschutz verursacht, und das ist für uns ausschlaggebend.“
Rechts- und Planungssicherheit für Geimpfte sieht anders aus. Wenn ich geimpft wäre, käme ich mir von der Bundesregierung, zumindest etwas, für dumm verkauft vor. Aber vielleicht sehe ich alles auch nur zu kritisch, wie mir die Sprecher der Regierung ja immer wieder vorhalten. Wobei ich das eher als Lob auffasse, denn als Tadel.
Sehen Sie hier mein Video mit meinen Kommentaren von der heutigen Bundespressekonferenz – oder die Veranstaltung in gesamter Länge auf dem Kanal meiner Unterstützer, denen Sie mit jedem Aufruf und jedem Abo helfen.
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Bild: Boris Reitschuster
Text: br