Von Dana Samson
Die Veröffentlichung der Suizidzahlen für 2020 in Deutschland stockt, dafür gibt es neue Erkenntnisse aus einer Studie der UNICEF, die auch die deutsche Berichterstattung nicht verschweigen kann:
Schätzungsweise jeder siebte junge Mensch zwischen zehn und 19 Jahren lebt mit einer diagnostizierten psychischen Beeinträchtigung oder Störung.
Die UNICEF-Studie „On My Mind: Promoting, protecting and caring for children’s mental health“ (Bei UNICEF Deutschland: „On My Mind: Die mentale Gesundheit von Kindern fördern, schützen und unterstützen“) befragte Kinder und Jugendliche weltweit; jeder Fünfte zwischen 15 und 24 Jahren gab an, sich häufig deprimiert zu fühlen oder wenig Interessen zu haben.
UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore sagt, dass viele Länder das Thema bis heute verschweigen würden und es weltweit schwierig sei, verlässliche Daten zu sammeln. In mehr als zwei Drittel von 130 Ländern gibt es keine psychische Hilfe für Kinder, vor allem in den Schulen. World Vision und War Child Holland geben an, dass in 6 Ländern 57 Prozent der Kinder wegen der Pandemie und dem Lockdown ein Bedürfnis nach psychischer Hilfe haben, darunter sind zu 70 Prozent Flüchtlinge und vertriebene Kinder.
Die Studie betont, dass es schwierig ist, die Situation vor und nach der Pandemie miteinander zu vergleichen. Studien beziehen sich auf Angaben der Kinder und Eltern und berufen sich nicht auf Diagnosen von Professionellen. Dennoch konnte die Studie einige Zusammenhänge von COVID-19, der Pandemie und der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen herstellen.
Weltweit war mindestens eins von sieben Kindern vom Lockdown betroffen. Mehr als 1,6 Milliarden Kinder litten unter dem Verlust an Bildung. Im Juli 2021, nach über 18 Monaten in der Krise, stellte die UNICEF fest, dass zwei von fünf Kindern in Ost- und Südafrika wegen der Pandemie nicht in der Schule waren. Die Kinder und Jugendlichen haben ihre Schul-Routine, Sport, Freunde und die Möglichkeiten für soziale und emotionale Entwicklung verloren.
Eine Schweizer Schülerin sagte: „Selbst, wenn du dir selber sagst, dass du lernen wirst, naja, der soziale Aspekt hat einen großen Einfluss auf uns, und ich finde, das ändert die Stimmung sehr.“ Ein Schüler der USA fühlt sich nicht, als würde er von der Online-Lehre profitieren. Für ihn sei es lediglich ein Abmühen, selbst, wenn er arbeiten wolle.
Besonders erschreckend sind die Langzeitfolgen: Nach UNICEF und Save the Children ist 2020 die Zahl von Kindern, die unter der Armutslinie leben, auf 142 Millionen gestiegen. Demnach sind zwei von fünf Kindern weltweit arm.
JAMA Pediatrics untersuchte im August 2021 29 Studien weltweit, die 80.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren einbezogen. Laut der Studie haben sich Depressionen und Angstzustände während der Pandemie verdoppelt. Einer von vier Befragten leidet unter Depressionen, einer von fünf hat Angstzustände. Dies liegt vor allem an der sozialen Isolation.
Die UNICEF nennt in der Studie sechs Aspekte, die am häufigsten zu beobachten waren:
- Stress und Angst: Beide sind besonders während des Lockdowns und der Schulschließungen gestiegen. Der Stress und die Angst beziehen sich vornehmlich auf die Angst vor einer eigenen Infektion oder einer Infektion innerhalb der Familie und des Bekanntenkreises.
- Depressionen und suizidales Veralten: Es gab einen moderaten Anstieg von depressiven Symptomen und Traurigkeit, besonders bei Jugendlichen.
- Verhaltensprobleme: Anstieg von Wut, Negativität, Unaufmerksamkeit und Reizbarkeit. Diese sind besonders bei Kindern mit Defiziten in diesen Bereichen und der Diagnose ADHS zu beobachten.
- Alkohol und Konsum von Substanzen: Besonders Jungs und junge Männer haben durch die Pandemie und die psychischen Probleme mehr getrunken und konsumiert.
- Änderung der Lebensweise: Lockdown und Schulschließungen haben weniger Erfahrungen, mehr Computer-Zeit und zerrissenen Schlaf hervorgerufen. Alle werden mit weniger Lebensqualität und einem Anstieg an psychologischem Stress assoziiert.
- Positive psychische Gesundheit: Manche Kinder haben einen Anstieg von Lebenszufriedenheit erfahren, durch mehr Zeit mit der Familie und Pause von der Schule.
Teilweise wurde in den vergangenen Monaten über die Kollateralschäden des Lockdowns berichtet. Studien über die Zunahme von psychischen Belastungen während des Lockdowns und die alarmierende Studie über die Zunahme der Internet-Nutzung von Kindern wurden veröffentlicht, allerdings nicht hinreichend von der Politik diskutiert und wahrgenommen. Es erschrickt mich, dass diese psychischen Folgen des Lockdowns uns schon die gesamte Zeit bekannt waren, aber stets viel zu wenig in die öffentliche Debatte einbezogen wurden. Die UNICEF selber schreibt: „Der persönliche Preis, den die betroffenen Kinder und Jugendlichen zahlen, ist nicht zu beziffern.“
Abschließend lässt sich nur die UNICEF-Exekutivdirektorin Fore zitieren:
Psychische und körperliche Gesundheit gehören zusammen – wir können es uns nicht leisten, das länger anders zu sehen […] Seit viel zu langer Zeit fehlt es an Investitionen und einem Verständnis dafür, was psychische Gesundheit ausmacht. Das muss sich ändern: Denn eine gute psychische Gesundheit ist entscheidend dafür, dass Kinder ihre Potenziale verwirklichen können.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Dana Samson studiert an einer deutschen Universität und schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Shutterstock
Text: Gast
mehr zu diesem Thema auf reitschuster.de