Von Sönke Paulsen
Unsere Medien sollten ihre eigenen Artikel der letzten zwei Wochen noch einmal durchlesen, gern auch als Strafarbeit mit Nachsitzen. In diesen Schriftstücken herrscht nämlich das reine Unverständnis für den fehlenden Kampfeswillen der afghanischen Armee vor. Diese hatte tatsächlich vor den Taliban kapituliert. In manchen Artikeln wurde eingeräumt, dass die Nachschubwege der offiziellen afghanischen Sicherheitskräfte blockiert worden waren und die Logistik nicht hinreichend gesichert wurde.
Sei es drum. Die Taliban haben gewonnen.
Etwas seltsam mutet diese Berichterstattung aber an, wenn man sich anschaut, wie fluchtartig die Deutschen und die Franzosen aus Afghanistan abgezogen sind. Bloß vor den Amerikanern das Land verlassen, schien das Motto zu sein. Höhepunkt dieser Flucht war das schlagartige Beenden unserer Luftbrücke vom Flughafen Kabul nach Taschkent (Usbekistan) nach den Selbstmordanschlägen am Donnerstag, denen auch dreizehn US-Soldaten zum Opfer gefallen sind. Während der Flucht unserer Armee vom Flughafen wurden auch zwei eigene Soldaten zurückgelassen, die später aber mit einem Sanitätsflieger das Land verließen.
Nur, um es einmal kurz festzuhalten:
Die afghanische Armee erntet Fassungslosigkeit für ihre Kapitulation vor den Taliban und die deutsche Bundeswehr flieht nach einem Selbstmordanschlag, wegen der Sicherheitslage und in weiterer Anwesenheit der Amerikaner, die von dem Anschlag eigentlich betroffen waren.
Natürlich ist alles in Wirklichkeit ganz anders und viel komplexer. Das werden wir in diesen Tagen in den Talkshows schon noch hören.
Aber sollte nicht unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt werden?
Was sollen wir denn jetzt tun, nachdem unsere Freiheit am Hindukusch nicht mehr verteidigt werden kann? Schließlich ist ja auch unsere Armee auf der Flucht, was sie am Donnerstag deutlich gezeigt hat. Sollen wir uns jetzt zuhause verbarrikadieren und hoffen, dass die Islamisten nicht bis Wuppertal kommen?
Bitte nicht falsch verstehen. Man möchte einem deutschen Soldaten, der sich freiwillig in einen gefährlichen Einsatz begibt, keine einzige Schramme wünschen und wir sollten auch nicht vergessen, dass in den vergangenen Jahren 59 Angehörige der Bundeswehr in Afghanistan ihr Leben gelassen haben.
Aber ganz offensichtlich trauen unsere Politiker ihrer Armee nichts mehr zu, vor allem nicht, professionell und unbeschadet eine bewaffnete Mission zu erfüllen. Hatten wir nicht einen Hubschrauber mit zwei Kampfhubschraubern in Kabul, dessen Mission es war, Deutsche und ihre Mitarbeiter zum Flughafen zu fliegen? Wann kam der zum Einsatz? Kam er überhaupt zum Einsatz? Oder war es zu gefährlich?
Das Anliegen Merkels hat inzwischen jeder verstanden. Sie will keine schlimmen Bilder, schon gar nicht verletzte deutsche Soldaten. Denn nach ihrer Amtszeit wartet ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss auf sie, der ihr Versagen im ISAF-Einsatz klären soll, insbesondere in dessen letzter Phase.
Zurück zur Bundeswehr.
Wenn man eine Umfrage in der Bevölkerung in Auftrag geben würde, wie sie die Kampfmoral unserer Armee einschätzt, kämen vermutlich vernichtende Antworten. Aber die Bundeswehr ist eine professionelle Armee, die auf fremden Boden agiert. Sie ist nur noch in zweiter Linie eine Armee, die ihre Identität aus der Landesverteidigung bezieht.
Solche Armeen geben eben Fersengeld, wenn es brenzlig wird. Sie müssen es sogar, wenn es um eine rationale Mission geht. Allerdings geht es in Afghanistan schon lange nicht mehr um eine rationale Mission. Es geht um den Kampf gegen die barbarische Manifestation des Islams, den jemand mal als „letzte geschlossene geistige Kraft unserer Zeit“ bezeichnet hat. Es geht nicht nur darum, dass Afghanistan auf uns vertraut und gebaut hat, sondern auch darum, ob der Islamismus in der Region sein Ziel erreicht, eine Welt der Scharia zu errichten, die sich jetzt neben dem Iran auch im Irak – als Folge des Falles von Afghanistan als Demokratie – anbahnt.
Letztlich geht es auch hier in Europa und in Deutschland um die Frage, ob wir uns vor dem Islamismus verstecken müssen oder ob wir ihn proaktiv unter Kontrolle halten können. Afghanistan war auch vor den Taliban schon lange Zeit ein historisches Partnerland Deutschlands, das wir im Stich gelassen haben. Die aufgeklärten Afghanen haben eine enge Beziehung zu Deutschland. Sie lieben eben nicht nur unseren Sozialstaat, sondern auch unser Bildungssystem und unsere technischen Fähigkeiten. Sie mögen die Deutschen, ihre ruhige und überlegte Art. Diese Leute haben wir nicht nur verlassen, sondern auch mit einer symbolträchtigen Flucht vom Flughafen regelrecht verraten.
Wie kommt das?
Ich glaube, dass der Nachfolgestaat Preußens nicht gut daran getan hat, seine Armee zu einer reinen Berufsarmee zu machen und von der Bevölkerung zu entfremden. Ich glaube auch, dass all die Jahre, in denen Ideologie und Gesinnung Hauptthemen der politischen Auseinandersetzung um die Bundeswehr waren, schwere mentale Schäden hinterlassen haben. Schließlich glaube ich, dass die Ära Merkel, die von weiblichen Verteidigungsministern geprägt war, unsere Armee kastriert hat. Gewollt war eine Bundeswehr, die vor allem vor der Politik kuschen sollte, vor der Politik, die von Frauen gemacht wurde. Die männlichen Eigenschaften der Bundeswehr wie Mut, Eigenständigkeit und Tapferkeit kamen dabei unter die Räder.
Wir haben eine seltsam verweiblichte Republik, die männlichen Ideologien bestenfalls zurückweichenden Widerstand bieten kann und den Islam, diese Urform patriarchalischer Herrschaft, umwirbt, statt ihn zu bekämpfen. Die verweiblichte Politik hat auch keinen Bezug zur Armee, zum Kampf mit der Waffe und zur Standhaftigkeit. Sie weicht aus und letztlich weicht sie zurück. Auch vor dem Islamismus! Die Bundeswehr ist in diesem Sinne verweiblicht und kann die Anforderungen, die an eine Armee gestellt werden, nur noch sehr begrenzt erfüllen. Darunter leidet ihre Wehrhaftigkeit.
Hoffen wir, dass wir eines Tages von den Russen übernommen werden und nicht von den Islamisten. Verteidigen können wir uns und unsere Werte sowieso nicht.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“. Hier finden Sie seine Fortsetzungsgeschichte „Angriff auf die Welt“ – der „wahre“ Bond.
Bild: ShutterstockText: Gast