Polizeigewalt mit Nachspiel: Schwerverletzte Spaziergängerin in Reha Was geschah wirklich am 2. Februar in Hildburghausen?

Von Alexander Wallasch

Im beschaulichen Hildburghausen finden seit Monaten regelmäßig Spaziergänge statt, Polizei braucht es hier nicht viel, Antifa ist nicht zugegen. Also eigentlich kein Anlass für die Polizei, dem Geschehen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. So stieg die Zahl der Spaziergänger in dem Ort mit 12.000 Einwohnern nebst Einzugsgebieten kontinuierlich an. Ende Januar sollen es über eintausend spazierende Corona-Maßnahmengegner gewesen sein.

Teilnehmer, mit denen wir gesprochen haben, vermuten rückblickend, dass dieser Widerstand dem Staat zu viel wurde und deshalb am Abend des 2. Februar 2022 ein massives Polizeikontingent aufgeboten wurde. Darunter auch eine Hundertschaft einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, die hier zuvor nie angefordert worden sein soll und die jetzt im Zentrum der Kritik der Teilnehmer steht.

Nach der unangemeldeten Veranstaltung liegt eine über 60-jährige Frau auf der Intensivstation mit einer Schädelverletzung, eine 15-Jährige soll sich an der Schulter eine Bruchverletzung zugezogen haben, weitere Personen sind verletzt, die Zeitungen berichten. Aber es fehlt noch ein Gesamtüberblick. Der MDR fühlt sich sogar veranlasst, seinen Artikel zu den Ereignissen mit einer Fußnote zu versehen:

„Hinweis der Redaktion: Zu den Geschehnissen in Hildburghausen ist noch vieles offen. Aus unserer Sicht kann mangels Fakten zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll darüber diskutiert werden. Wir bitten daher um Verständnis, dass wir die Kommentarfunktion hier nicht anbieten.“

Wir sprechen mit dem Sohn der Verletzten, der sich zunächst selbst ebenfalls im Zentrum von Polizeimaßnahmen wiederfand. Die Polizei hätte die Spaziergänger immer wieder neu umgeleitet, bis er und seine Mutter schließlich mit anderen in einem so genannten Kessel gelandet seien.

Sodann wären kleinere Polizeigruppen in die Spaziergänger hineingegangen und sollen sich einzelne kräftige junge Männer gegriffen haben, so auch ihn selbst. Er sei an einen Zaun gedrückt worden, der kaputtging, woraus die Beamten eine Sachbeschädigung gemacht hätten. Die Beamten seien mit großer Härte vorgegangen, als sie ihn zu Boden brachten und die Hände fesselten. Auch wäre er unentwegt beleidigt worden.

Mutter eilt Sohn zur Hilfe

Die Mutter sah, was mit ihrem Sohn passiert war, und eilte ihm zur Hilfe. Nach einem Handgemenge und Stoß gegen die Mutter stürzt diese rückwärts und knallt ungebremst mit dem Hinterkopf auf den Asphalt, so hätten es Zeugen beobachtet, schildert der Sohn. Die Mutter kommt in die Notaufnahme der Klinik in Hildburghausen. Anschließend wird sie in ein weiteres Krankenhaus verlegt und Tage später entlassen.

Daheim beginnen die neurologischen Probleme, ein Auge schließt nicht mehr, der Mundwinkel ist unkontrolliert. Die Mutter wird erneut in eine weitere Klinik eingewiesen, ein Haarriss im Schädel diagnostiziert. Blutungen (Sohn nennt uns den Fachbegriff) zwischen Schädel und Hirn müssen von den Ärzten über Tage genau beobachtet werden.

Die Mutter ist jetzt in der Reha und soll dort wieder die Kontrolle über Auge und Mundwinkel neu erlernen.

Diese Vorkommnisse in Hildburghausen sind auch deswegen besonders gut dokumentiert, weil die Spaziergänger hier einen besonderen Zusammenhalt entwickelt haben, der auch von der Gemeinschaft in der Region selbst geprägt ist, erfahren wir von einem weiteren in der Nähe wohnenden Bürger.

Die Polizeiinspektion in Hildburghausen nimmt sich Zeit, die Schilderung des Mannes aufzuschreiben (das teils emotionale Protokoll liegt uns exklusiv vor). Was dort von der Polizei aufgeschrieben wurde, ist eine Auflistung von Brutalitäten, wie man sie früher allenfalls aus totalitären Regimen erwartet hätte.

Die Pressestelle der Landespolizeidirektion in Suhl wurde um Stellungnahme und Beantwortung eines umfangreichen Fragenkatalogs gebeten (Nach Eingang reichen wir hier nach).

Aber noch einmal grundsätzlich zusammengefasst:

Regierungspolitiker und eine Reihe von Altmedien werden nicht müde, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, festzustellen bzw. zu behaupten, dass auf Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen Gewalt gegen Polizei und Presse an der Tagesordnung wäre.

Ganz vergessen scheint hier, dass Übergriffe gegen die Polizei beginnend mit den 1960er Jahren schon traditionell Teil der DNA linksextremistischer Demonstrationen sind und sicher nicht bei Corona-Maßnahmenkritikern neu entdeckt werden mussten.

Und wer mit altgedienten Polizisten spricht, der erfährt auch von brutalen Auseinandersetzungen wischen ihnen und Demonstranten bei den damaligen Gewalt-Hotspots Brokdorf und Startbahn West.

Und was Übergriffe gegen Journalisten angeht, gibt es auch hier Stoff für alternative Erzählungen: So vermeldete die Süddeutsche Zeitung im Juni 2021 Übergriffe nicht etwa von Maßnahmen-Kritikern, sondern von der Polizei gegen Journalisten.

Und auch Journalisten werden übergriffig: So brachte der thüringische Chef eines Journalistenverbandes auf üble Weise einen Demonstranten zu Fall, indem er in Manier eines Straßenkämpfers von der Seite kommend regelrecht in diesen hineinsprang.

Wer prügelt sich da also aus welchem Grund und mit wem? Und wer hat ein Interesse daran, Spaziergänge über die Einhaltung der Corona-Maßnahmen hinaus zu kriminalisieren?

Spaziergang, Dialog, Reha

Zusammengefasst: Im thüringischen Hildburghausen soll die Polizei nach einer Reihe von Zeugenaussagen auf einer Spaziergänger-Demonstration gewalttätig vorgegangen sein. Die Bilanz nach einem abendlichen Spaziergang wird in einer Anzeige dramatisch zusammengefasst. Mit schwereren Verletzungen auf der Strecke geblieben sind laut Angaben eines Zeugen eine 15-Jährige mit gebrochener Schulter und eine über 60-Jährige, die sich einen Haarriss im Schädel zugezogen hat, samt Einblutungen ins Hirnwasser.

Ein am Ort ansässiger Graveurmeister nahm ebenfalls an besagtem Spaziergang teil und war so entsetzt über seine Beobachtungen, dass er am Nachmittag des 4. Februar bei der Polizeiinspektion Hildburghausen Strafanzeige erstattete „gegen Polizeibeamte der Landespolizeiinspektion Suhl und der Bereitschaftspolizei Thüringen“, wie es in einem Schreiben der Landespolizei steht. Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet.

Auch im Ort selbst hatten die Erfahrungen mit Polizeigewalt Folgen. Am Montag, dem 7. Februar kam es vor der Kirche zu einem Dialog, jeder der Betroffenen hatte zwei Minuten Zeit, seine Erlebnisse mit der Polizei zu schildern, auch die Polizei kam zu Wort.

Diese Gespräche wurden im Bild festgehalten und transkribiert. Wenn Sie Interesse haben, diese Schilderungen zu lesen, bitte in die Kommentare schreiben, dann bringen wir gerne eine Fortsetzung.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“

Bild: Shutterstock
Text: wal

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