Von Christian Euler
Das Impftempo lässt von Tag zu Tag nach. Berichtete die Bundesregierung in der vergangenen Woche noch von einer „sehr lebhaften Impfkampagne“ mit durchschnittlich 700.000 täglich verabreichten Impfdosen, waren es am Montag nur noch knapp 450.000.
Die Unentschlossenen sind den Protagonisten der Impfkampagne ein Dorn im Auge. Zunehmende Meldungen über teils schwere Nebenwirkungen wecken bei vielen Bundesbürgern Zweifel, ob die Impfung tatsächlich – wie von der Politik propagiert – der Schlüssel zur Überwindung der Pandemie ist.
Der Phantasie, wie man renitente Zweifler vom Segen der Spritze überzeugen könnte, sind offenbar keine Grenzen gesetzt. „Lasst euch impfen und trinkt ein Bier“, rief etwa US-Präsident Joe Biden seine Landsleute auf. Aus Griechenland ist zu hören, dass junge Menschen Geld für Reisen bekommen sollen.
„Menschen sollten Geld bekommen, wenn sie sich impfen lassen“, lautet derweil das Credo der Ökonomin Nora Szech. Studien hätten gezeigt, dass nur so die erforderliche Impfquote erreicht werden könne. Schon bei 100 Euro gehe die Impfbereitschaft Richtung 80 Prozent, sagte Szech im Deutschlandfunk.
Bezahlung für die Impfung könnnte falsches Signal senden
„Wenn wir jetzt anfangen, den Zugang einfacher zu gestalten und zu kompensieren, wenn sich jemand impfen lässt, dann werden wir eben auch von den Bildungsfernen sehr viele Menschen erreichen“, glaubt die Wirtschaftswissenschaftlerin unter Bezug auf nicht näher spezifizierte eigene Studien.
Nicht untersucht wurde allerdings die Frage, wie bildungsfern ein Mensch sein muss, um sich für 100 Euro eine völlig unberechenbare Substanz in den Körper spritzen zu lassen, die lediglich eine bedingte Zulassung hat. Und das angesichts fast täglich neuer Berichte über Komplikationen und Todesfälle im Zusammenhang mit dem vermeintlich rettenden Pieks.
Julian Savulescu, Professor am Oxford Uehiro Centre for Practical Ethics, drückte es in einem im November 2020 erschienen Debattenbeitrag so aus: „Solange wir die Grenzen unseres Vertrauens in Bezug auf die Risiken und den Nutzen eines Impfstoffs korrekt vermitteln, liegt es am Einzelnen, zu beurteilen, ob sich die Zahlung lohnt.“ Zugleich gab er zu bedenken, dass eine Art Bezahlung für die Impfung auch das falsche Signal aussenden könne, dass die Impfung gefährlich sei.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern um Cynthia Cryder und George Loewenstein kam in einer Serie von Experimenten zu einem ähnlichen Fazit: Je höher die Entschädigung für eine Teilnahme, desto höher wurde das Risiko wahrgenommen. Menschen dafür zu bezahlen, geimpft zu werden, könnte sie auf eine ähnliche Weise zu dem Schluss führen, dass eine Impfung riskanter ist, als sie das ohne die Bezahlung annehmen würden, gaben die Autoren in der New York Times zu bedenken.
»Menschen auf allen Kanälen ansprechen«
Zwar ist kaum abzuschätzen, wie weit solche Erkenntnisse hierzulande verbreitet sind. Tatsache ist jedoch, dass sich immer mehr Politiker und Verbände für eine offensivere und sichtbarere Werbekampagne für Corona-Impfungen anstelle von materiellen Anreizen starkmachen.
„Die Impfkampagne sollte unter anderem auch mit TV-Spots beworben werden“, sagte etwa der Chef der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, der Neuen Osnabrücker Zeitung. Burkhard Jung, der Präsident des Deutschen Städtetages, empfiehlt im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe, „auf allen Kanälen zu versuchen, Menschen anzusprechen, die sich beim Impfen bisher zurückhalten“.
Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt sprach sich gegenüber der Rheinischen Post für eine intensivere Werbung für Corona-Impfungen auch im Fernsehen aus. „Ich vermisse den TV-Spot zum Impfen vor der Tagesschau. Und dann müssen wir direkt vor Ort informieren, und zwar genau da, wo die Impfbereitschaft bisher gering ist. Wir müssen auf die Menschen zugehen.“
Solche Forderungen sind erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Bundesregierung schon seit Monaten Plakate, Radio- und TV-Spots und ganzseitige Anzeigen in Zeitungen für Millionen von Euro schaltet („Wir krempeln die Ärmel hoch“).
»Impfquoten von 90 Prozent sind Science-Fiction«
Auch der Bundeswirtschaftsminister mischte sich in die Debatte ein. „Da gibt es noch ganz viel, was wir tun können, auch an mobilen Impfstationen, beim Einsatz des Impfstoffs, der nur einmal verabreicht werden muss, weil es einfach Bürgerinnen und Bürger gibt, die man gar nicht so leicht erreichen kann, zum Beispiel auch Obdachlose, die über keinen gesetzlichen Wohnsitz verfügen“, sagte Peter Altmaier der Augsburger Allgemeinen.
Derlei Vorstöße erscheinen gleichermaßen skurril wie ineffektiv. So hält der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, eine Impfquote von 90 Prozent für illusorisch und auch die vom Robert Koch-Institut angestrebten 85 Prozent für wenig realistisch. „Wir müssen uns klarmachen, dass Impfquoten von 90 Prozent Science-Fiction sind. Wir werden die niemals erreichen“, sagte Gassen gegenüber der Bild-Zeitung.
Viel wichtiger für Gassen: „Wird die vierte Welle eine Laborwelle, wo man nur noch positive Befunde und keine Kranken mehr hat?“ Dann könne man es sehr gelassen sehen, wenn die Infektionszahlen in wenigen Wochen wieder ansteigen.
Bild: husjur02/Shutterstock
Text: ce
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