Wann kommt der Schießbefehl? Mit diesem bösen Kommentar hat ein Twitter-Nutzer die neueste Nachricht aus Sachsen kommentiert: Die schwarz-rot-grüne Landesregierung des Freistaates bereitet die Abriegelung ganzer Gemeinden vor. Die Anspielung auf die DDR und die Mauer mag polemisch und übertrieben sein. Doch es ist erschreckend, was jetzt in Sachsen droht. Die Internet-Zeitung Chemnitz.24 malt bereits ein Schreckensszenario an die Wand: „Bewaffnete Polizisten patrouillieren an den Ortsausgängen, Polizeiwagen versperren die Durchfahrtsstraßen – wer nicht in der Gemeinde wohnt, darf nicht rein, wer dort wohnt, kommt nicht mehr raus. Dieses düstere Zukunftszenario könnte schon bald bittere Wirklichkeit werden“.
Betroffen sein dürften laut Chemnitz24 vor allem kleinere Städte und Dörfer, wenn der dortige Inzidenzwert eine bestimmte Höhe erreicht: „Für die Bewohner soll es dann generelle Ausgangssperren geben, selbst das Verlassen der häuslichen Unterkunft mit einem ,triftigen Grund‘ könnte dann abgeschafft werden. Insgesamt erinnert das Szenario an Kriegszeiten – es wird sogar davon gesprochen, feste Einkaufszeiten zu verfügen, außerhalb derer die Unterkunft nicht mehr verlassen werden darf. Und: Es soll wohl schnell gehen, schon am Donnerstag (17. Dezember) könnten die ersten Gemeinden abgeriegelt werden!“
Die Hoffnung, dass es sich bei der Nachricht um eine Medien-Ente handelt, ist leider gering. Auch die „Bild“, traditionell gut vernetzt, bestätigt entsprechende Pläne: „Liste wird gerade erstellt: Sachsen will Corona-Dörfer abriegeln.“ In dem Beitrag heißt es: „Auch alle Firmen und Betriebe in den betroffenen Arealen müssten schließen und die Arbeit einstellen. Vorbild seien die Maßnahmen in Jessen (Sachsen-Anhalt) im Frühjahr.“
Solche Pläne sind umso erstaunlicher, als etwa Christian Kleber vom Uniklinikum in Dresden, gerade noch beteuerte: „Ich möchte mit Nachdruck deutlich machen, dass es aktuell noch freie Intensivbetten in Sachsen gibt und Patienten über die Krankenhausleitstellen dementsprechend verteilt werden. Bis heute wurden alle Anfragen bezüglich eines Intensivbettes an die Krankenhausleitstellen erfolgreich bearbeitet und zugewiesen.“
Verlegungen von Patienten innerhalb ganz Deutschlands seien möglich, teilten laut Welt auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) und die zuständige Fachgruppe beim Robert-Koch-Institut mit: „Bereits seit Wochen existierten Pläne für den Fall möglicher Überbelastungen einzelner Regionen. Im sogenannten Kleeblattkonzept sei Deutschland in fünf Regionen eingeteilt worden, um Patienten innerhalb dieser zu verlegen.“ Divi-Präsident Uwe Janssens betonte zudem, dass die Kliniken in der Bundesrepublik spätestens ab Montag wegen der bevorstehenden Feiertage keine elektiven Operationen mehr vornehmen würden, also keine nicht dringenden. Das sei „ein wichtiger Fakt, der uns Entlastung auf den Intensivstationen verschaffen wird“, so Janssen laut Welt.
Laut Divi-Intensivregister waren am 16.12.2020 22.535 Betten auf den Intensivstationen belegt, etwas mehr als Mitte September: Am 17.9. waren laut DIVI 22.304 Intensivbetten belegt. Bundesweit waren am Mittwoch 4.546 Intensivbetten frei; dazu kommt eine Sieben-Tage-Notfall-Reserve von 11.251 Betten.
Insofern ist der Schritt Sachsens, ganze Gemeinden abzuriegeln und ihre Bewohner zu Gefangenen zu machen – hier ist Klartext geboten – etwas schwer zu verstehen.
PS: Ein Chefarzt aus Zittau beklagte laut Deutschlandfunk am Dienstagabend in einem Online-Bürgerforum, in seinem Krankenhaus habe man schon mehrfach vor der Entscheidung gestanden, welcher Corona-Patient Zugang zu den begrenzt vorhandenen Sauerstoffgeräten erhalte und wer nicht. Es sei „vielfach um die Entscheidung gegangen, welcher Patient für eine Verlegung infrage komme und eine Chance habe, einen Transport zu überstehen.“ Die Meldung ging groß durch die Medien. Der Träger des Krankenhauses, des Klinikums Oberlausitzer Bergland, bestritt diese Aussage des Chefarztes. Demnach habe es keine Fälle von so genannter „Triage“ gegeben, also der Auswahl zwischen Kranken: „Eine Situation, wo wir abwägen mussten, hat es bei uns noch nicht gegeben.“
Auch andere Mediziner kritisierten die Aussage des Chefarztes. Demzufolge ist dank moderner Technik eine Verlegung bzw. Einweisung auch in eine entfernte Klinik im Regelfall möglich, etwa durch die Deutsche Luftrettung, die über spezielle Technik auch für Covid-19-Patienten verfügt und etwa im Frühjahr Intensivpatienten aus Nachbarländern nach Deutschland flog. Auch das Klinkum in Zittau betonte, bei Bedarf würden Patienten ausgeflogen. Der Fall zeigt anschaulich, wie in Medien ein irreführendes Bild entstehen kann.
Bild: Kodda/Shutterstock
Text: br
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