Es gab Zeiten, da nahmen Politiker schon wegen verhältnismäßig geringfügiger Verfehlungen ihren Hut. Der honorige SPD-Politiker Georg Leber etwa trat im Februar 1978 als Verteidigungsminister zurück. Er übernahm die politische Verantwortung dafür, dass der Militärische Abschirmdienst ohne sein Wissen seine Sekretärin Hildegard Holz in ihrer Wohnung abgehört hatte, weil sie im Verdacht stand, für die Stasi spioniert zu haben. Bundeskanzler Helmut Schmidt war gegen den Rücktritt. Doch der Sozialdemokrat zog dennoch die Konsequenzen. Leber war ein Ehrenmann.
Das klingt für heutige Verhältnisse wie ein Bericht aus einem anderen Universum. Kein Skandal und kein Fehltritt scheint heute groß genug zu sein, dass ein Politiker seine Karriere freiwillig beendet. Gesundheitsminister Jens Spahn könnte man Patex-Minister nennen – weil er an seinem Amt klebt und ein Politiker vom Schlag eines Lebers wohl schon mehrfach zurückgetreten wäre mit Spahns Sündenregister. Ob Pannen bei der Beschaffung von Corona-Schutz oder von Impfstoffen, ob das Ausspionieren von Journalisten oder der Kauf einer Privatwohnung bei einem „Spezi“, der später hochdotierter Chef einer vom Bund via Gesundheitsministerium kontrollierten Firma wurde: An Spahn, der es quasi direkt aus der Ausbildung in die Politik schaffte ohne Umweg im normalen Berufsleben, scheint nichts hängen zu bleiben. Nicht einmal Fettnäpfchen wie der Kauf einer Luxus-Villa mitten in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg können ihm etwas anhaben.
Und auch den nächsten Skandal wird der Minister wohl aussitzen, dabei ist er an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Aber der Reihe nach. „Wir wissen vor allem, wo es die Hauptansteckungspunkte gibt. Nämlich beim Feiern, beim Geselligsein, zu Hause privat oder eben in der Veranstaltung, auf der Party, im Klub“. Das sagte Spahn am 20. Oktober 2020 im Morgenmagazin des ZDF.
Das Problem dabei: Spahn selbst hielt sich nicht an die Regeln, die er anderen vorgab. Ausgerechnet an dem Tag, an dem er morgens noch die Menschen vor „Geselligsein“ warnte, wurde er selbst abends bei einem Spenden-Dinner gesellig, wie jetzt die „Bild“ enthüllte: „Auf Einladung seines Freundes Peter Zimmermann (früher Regierungssprecher in Thüringen und Sachsen) bei einem Salonauftritt in Leipzig-Plagwitz. Zimmermann hatte bei sich zu Hause ein spezielles Abendessen organisiert, den „Brückenkopf-Salon“. Laut „Spiegel“ waren „rund ein Dutzend Gäste gekommen, darunter viele Unternehmer“. Nach „Bild“-Informationen wurden die Teilnehmer im Vorfeld des Abends explizit von Gastgeber Zimmermann aufgefordert, an dem Abend 9.999 Euro zu spenden – für Spahns Bundestagswahlkampf 2021 in dessen Wahlkreis im Münsterland (Steinfurt I – Borken I). Damals soll Spahn Hoffnungen gehabt haben, Kanzlerkandidat zu werden (und wer weiß, vielleicht hat er sie auch heute noch).
Besonders pikant: Ab 10.000 Euro müssen Parteien Spender mit ihrem Namen in ihren Berichten veröffentlichen. Bei 9.999 wie im Falle des Abendessens also noch nicht. „Spenden von Teilnehmern des Abendessens zur Unterstützung der Arbeit des CDU-Kreisverbands Borken sind im Nachgang der Veranstaltung eingegangen“, antwortete Spahns Büro auf Anfrage der „Bild“. Weiter zitiert die Zeitung einen Teilnehmer: „Spahn hatte anfangs noch seine Maske auf, doch die wurde schon beim Stehempfang abgesetzt. Da standen wir dann dicht zusammen.“ Ein anderer Teilnehmer sagte laut „Bild“: „Auch beim Essen saßen wir alle ohne Masken an der Tafel. Für mein Gefühl recht dicht. Das hat mich wirklich verwundert.“
Man muss sich das vergegenwärtigen: Während Spahn über sein Ministerium die Deutschen dazu aufrufen ließ, sie mögen unnötige Reisen vermeiden („Wir bleiben Zuhause“), düste der Minister mal eben nach Leipzig, wo ein Caterer Rinderfilet und Rotwein sowie andere Leckereien servierte. Nach dem Abendessen wurde Spahn positiv auf Corona getestet. Alle anderen Teilnehmer der Runde wurden dem zuständigen Gesundheitsamt als Kontaktpersonen gemeldet. Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums sagte am Freitag in der Bundespressekonferenz: „Das ist ein Auftritt, den der Gesundheitsminister als Mitglied des CDU-Präsidiums gemacht hat.“ Doch eine CDU-Sprecherin dementierte laut „Bild“: „Der Termin ist der Bundespartei nicht bekannt.“
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Bild: Boris Reitschuster
Text: br