Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Manchmal ist es erfreulich, einfach nur zu berichten.
Am 12. Februar 2024 hat die Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen eine Pressemitteilung mit dem Titel „Long-Covid: Biomarker bestätigen sich nicht“ herausgegeben. Ich will davon absehen, dass man sich auch dort der unsäglichen Gendersprachverhunzung befleißigt, indem man von „Patient:innen“, „Mediziner:innen“ und „Wissenschaftler:innen“ spricht und „Forschende“ anführt, wo „Forscher“ doch genügt hätten. Immerhin hat man Menschen nicht als menschlich gelesene Wesen bezeichnet, das ist besser als nichts.
Doch jenseits der sprachlichen Einkleidung enthält die Mitteilung interessante Informationen. Es sei, so hört man, oft schwierig, Long-COVID-Patienten zu erkennen, „da die Symptome vielgestaltig sind und von psychischen Faktoren beeinflusst werden“. Man suche daher „intensiv nach sogenannten Biomarkern, also bestimmten Laborwerten im Blut der Betroffenen, die die Diagnose Long-COVID zweifelsfrei bestätigen.“ Und das Problem ist: Man hat sie nicht gefunden. Zwar gehe die Erkrankung „mit bis zu 200 unterschiedlichen Symptomen“ einher, „etwa einer ausgeprägten Müdigkeit (Fatigue), Konzentrationsstörungen oder starken Schmerzen. Trotzdem sind die Untersuchungsbefunde meistens völlig normal“. Die Autoren der Mitteilung gehen nicht auf die naheliegende Frage ein, ob man hier nicht alle möglichen Symptome, die es schon immer aus den verschiedensten Gründen gegeben hat, unter dem modischen Diagnosebegriff „Long-COVID“ subsumiert, aber man kann eben nicht alles haben.
Das Ziel der Untersuchung war klar und einfach definiert. Es bestand die Hoffnung, dass das Aktivitätshormon Cortisol „und bestimmte Entzündungsbotenstoffe im Blut, sogenannte Zytokine, geeignete Biomarker bei Long-COVID sein könnten“. Einige Studien, so die Autoren der Pressemitteilung, hätten in dieser Hinsicht Unterschiede zwischen Gesunden und von Long-COVID Betroffenen festgestellt.
Nun ist es ja immer schön, wenn man etwas feststellen kann, aber es ist ein guter und im Lauf der letzten Jahre stark vernachlässigter Grundsatz der Wissenschaft, dass Ergebnisse einer unabhängigen Überprüfung bedürfen. Genau das hat man am Universitätsklinikum Essen getan. Eine – allerdings nicht übermäßig große – Gruppe von 130 Teilnehmern (ich kann den Hinweis nicht unterdrücken, dass die Pressemitteilung von „Teilnehmenden“ spricht) wurde in vier verschiedene Teilgruppen aufgeteilt: „Menschen, die nie eine SARS-CoV-2-Infektion gehabt hatten; Menschen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, aber kein Long-COVID entwickelten; Menschen, die Long-COVID hatten, aber wieder vollständig davon genesen waren und Menschen mit anhaltendem Long-COVID.“ In diesen Gruppen wurden jeweils die Blutwerte von Cortisol und verschiedenen Zytokinen gemessen. Resultat: nichts Auffälliges. „Alle gemessenen Werte lagen im Normbereich, und es gab keinerlei Unterschiede zwischen den genannten Gruppen.“ Völlig unabhängig von der Long-COVID-Vorgeschichte fand man bei allen Beteiligten im Wesentlichen die gleichen Resultate. Und das heißt: Biomarker konnten nicht identifiziert werden, es gibt noch immer keine Möglichkeit, aus den Blutwerten etwas Nützliches herauszulesen.
Nach Auffassung des Hauptautors der Studie, Christoph Kleinschnitz, ist das allerdings nicht sehr überraschend und kein Widerspruch „zu unseren früheren Untersuchungen, dass es sich bei Long-COVID nicht um eine körperliche Erkrankung im engeren Sinne handelt, sondern die Psyche eine große Rolle spielt“. Und sein Kollege Michael Fleischer ergänzt, man werde sich „insbesondere auf den psychischen Bereich konzentrieren, da erste Therapiestudien nahelegen, dass viele Long-COVID-Betroffene gut von einer Psychotherapie profitieren“.
So weit die Pressemeldung. Kurz zusammengefasst besagt sie, dass im Blut nachweisbare Biomarker nicht gefunden werden konnten, eine Psychotherapie aber bei Long-COVID-Patienten keine schlechte Idee sein dürfte.
Doch man muss sich ja nicht auf eine Pressemeldung verlassen, immerhin gibt es noch die Originalarbeit, die erfreulicherweise frei verfügbar ist und jederzeit gelesen werden kann. Sie trägt den etwas unpoetischen Titel „Cytokines (IL1β, IL6, TNFα) and serum cortisol levels may not constitute reliable biomarkers to identify individuals with post-acute sequelae of COVID-19“ und ist erschienen in „Therapeutic Advances in Neurological Disorders“, einer Fachzeitschrift, die bei ihr eingereichte Beiträge dem sogenannten „Peer-Review-Verfahren“ unterwirft, also einer Begutachtung durch externe Fachleute. Und schon im Abstract erfährt man in erfrischender Kürze das Wesentliche zur Frage der Methode und zum Resultat: „Cytokine and cortisol serum levels were determined in patients’ blood samples,“ und „Cytokine levels … and cortisol levels did not differ between groups analysed“, wobei ich hier die Angabe der einzelnen Zytokinklassen weggelassen habe. Das Original bestätigt daher die Pressemitteilung, und die Autoren ziehen anschließend die in aller Vorsicht formulierte Folgerung, dies könne auf eine nicht-organische, psychosomatische Genese von Long-COVID hindeuten, die weiterer Untersuchungen bedürfe.
Die Autoren sind sich der Tatsache bewusst, dass die vergleichsweise kleine Stichprobengröße die Aussagekraft ihrer Studie etwas einschränkt, zumal andere Studien zu anderen Ergebnissen geführt haben. Das muss aber nicht heißen, dass tatsächlich passende Biomarker vorliegen, denn schließlich haben sie keine gefunden. Und die abweichenden Ergebnisse lassen sich erklären. In deutscher Übersetzung: „So könnten zum Beispiel Begleiterkrankungen bei den Teilnehmern die früher berichteten höheren Zytokinwerte teilweise erklären. Asthma bronchiale wird mit erhöhten Zytokinwerten in Verbindung gebracht; entsprechend hatten diese Patienten in unserer Studie höhere Zytokinwerte. Daher müssen diese Bedingungen bei der Interpretation der Zytokinwerte im Allgemeinen berücksichtigt werden,“ was in früheren Studien nicht geschehen ist. Und: „Unterschiedliche Bedingungen vor dem Test könnten die Variabilität der Cortisolspiegel beeinflussen, wie z. B. der Zeitpunkt der Blutentnahme und Begleiterkrankungen.“ Es sei also Vorsicht geboten, wenn man bei mäßigem Stichprobenumfang und vor allem bei nicht ausreichend berücksichtigten Risikofaktoren Rückschlüsse auf die Existenz von nachweisbaren Biomarkern ziehen will.
Sollte also das bekannte Long-COVID, das Karl Lauterbach so gerne als Geißel der Menschheit etablieren möchte, wenigstens zu nicht geringen Teilen psychischen Ursprungs sein? Diese Auffassung hat Christoph Kleinschnitz, Hauptautor der Studie und Chef der Neurologie an der Uniklinik Essen, schon 2022 vertreten. In einem Interview mit dem WDR konnte man hören: „Wir konnten als Risikofaktor identifizieren, dass vor allem Patientinnen und Patienten, die schon psychologisch-psychiatrische Vorerkrankungen hatten, besonders anfällig für Long-COVID sind – etwa Menschen mit Depressionen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen“, wobei zusätzlich „Menschen in Verwaltungsberufen, Lehrberufen oder im Beamtentum sich signifikant häufiger“ in der Long-COVID-Ambulanz vorstellten als beispielsweise Handwerker. Die psychische Belastung sei ein wichtiger Faktor. „Die Daten unserer Studie zeigen, dass die Psychologie, die seelische Belastung – durch die Pandemie oder durch bestehende Vorerkrankungen im psychiatrischen Bereich – in der Tat ganz wichtig sind bei der Symptomentstehung von Long COVID. Hinzu kommt natürlich die mediale Aufmerksamkeit auf der ganzen Welt.“ Das bedeute nicht, dass die Symptome nicht real empfunden würden, es sage nur etwas aus über die Ursachen.
In der „Welt“ vom 23.11.2023 hat er das bestätigt: „Es macht Sinn, sich bei Post Covid an neuropsychiatrischen Krankheitsbildern zu orientieren, die es auch schon vor Corona gegeben hat, die aber durch die Pandemie einen massiven Boost erfahren haben.“ Und er sprach von Therapiemöglichkeiten: „Glücklicherweise zeigen erste Studien, dass die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie durch Psychotherapeuten, aber auch Medikamente wie Antidepressiva wirken. Damit kommen viele aus den Erschöpfungszuständen und Müdigkeitssymptomen heraus.“
Leicht hatte er es mit diesen Aussagen nicht, die Reaktionen waren streckenweise nicht unbedingt wissenschaftlich. „Das geht von offenen Gewaltandrohungen, über Briefe an die Klinikleitung, in denen meine Entlassung gefordert wird, bis hin zu Anzeigen gegen mich. Die Fotos meiner Kinder fanden sich plötzlich mit Klarnamen und Privatadresse im Netz. Wenn man sich heute exponiert, muss man Angriffe akzeptieren, wenn auch nicht alle. Es ist jedenfalls nichts für schwache Nerven.“
Karl Lauterbach hört so etwas sicher nicht gern, auch wenn er sich inzwischen wohl etwas mehr für den Klimawandel und die Cannabis-Legalisierung zu interessieren scheint. Es ist gut, dass es auch im heutigen Deutschland noch Wissenschaftler gibt, die nicht nur der herrschenden Meinung hinterher hecheln, die nicht nur auf Mittel aus dem Bundesetat schielen, sondern genau das tun, was Wissenschaftler tun sollten: ihren eigenen Kopf gebrauchen, an Dogmen zweifeln, so weit verbreitet sie auch sein mögen, und ihnen neue Erkenntnisse entgegensetzen. Denn „der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts,“ meinte Pierre Teilhard de Chardin. „Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“
Zur Zeit der sonderbaren PCR-Pandemie konnte man die sogenannten Wissenschaftler, die nicht gezweifelt und nichts geprüft haben, kaum noch zählen. Doch offenbar gibt es Ausnahmen, und solange man solche Ausnahmen findet, ist vielleicht auch in Deutschland die Wissenschaft noch nicht völlig verloren.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.