Punkt oder Ausrufezeichen? Straftat oder moralischer Absturz? Zwei Thesen des Mathematik-Professors Thomas Rießinger

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Ganz entgegen meiner Gewohnheit komme ich ohne Vorrede zur Sache.

Viel diskutiert wurde hier und an anderen Stellen ein Plakat, das an der Spitze einer Demonstration gegen „rechts“ getragen und gezeigt wurde und dessen Text aus zwei Sätzen bestand:

„AFDLER TÖTEN.
NAZIS ABSCHIEBEN!“

Inzwischen soll der Staatsschutz Ermittlungen aufgenommen haben, doch es gab auch bereits Beschwichtigungsversuche bezüglich des Inhalts, der erste der beiden Sätze sei keine Aufforderung, da es ihm am Ende an einem Ausrufungszeichen fehle, während der zweite Satz eben wegen des vorhandenen Ausrufungszeichen ohne Frage eine Aufforderung darstelle. Das greift zu kurz. Im Folgenden werde ich zwei Thesen entwickeln, die sich etwas genauer mit den beiden zu Markt getragenen Sätzen befassen. Die Thesen lauten:

  1. Es spielt keine große Rolle, ob der erste Satz eine Aufforderung war oder nicht; strafbar bleibt er in jedem Fall, und sogar das Strafmaß weist in beiden Fällen starke Ähnlichkeiten auf.
  2. Mit dem zweiten Satz begeben sich die Demonstranten auf genau das Niveau, das sie den Teilnehmern des angeblichen Geheimtreffens unterstellen, und sollten daher unverzüglich jede Demonstrationstätigkeit beenden, da sie sich nur gegen sie selbst richten kann.

Zunächst zum ersten Punkt. Offenbar kann man „AFDLER TÖTEN.“ entweder als Aufforderung interpretieren oder als schlichte Aussage. Für die zweite Variante spricht, dass der Satz mit einem Punkt statt einem Ausrufungszeichen endet, die erste Variante wird dadurch unterstützt, dass direkt nach diesem Satz eine unzweideutige Aufforderung präsentiert wird und vermutlich kaum ein Betrachter des Plakats feinsinnige Überlegungen zur Interpunktion anstellt. Ob man in den linken Kreisen, aus denen sich die Teilnehmer der Demonstration rekrutiert haben dürften, über die nötigen sprachlichen Kenntnisse für derartige Unterscheidungen verfügt, will ich dahingestellt sein lassen.

Wie dem auch sei, ich werde hier beide Varianten besprechen und gehe für den Anfang davon aus, dass es sich tatsächlich um eine Aufforderung gehandelt hat. In diesem Fall kann man sich an einer Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes der Deutschen Bundestages zum Thema „Aufforderung und Anleitung zu Straftaten“ orientieren. Dort heißt es: „Gemäß § 111 Absatz 1 StGB wird wie ein Anstifter bestraft, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts zu einer rechtswidrigen Tat auffordert. Wenn die Aufforderung ohne Erfolg bleibt, wird die Tat mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft (§ 111 Absatz 2 StGB).“

Die Aufforderung war öffentlich, sie erfolgte sogar in einer Versammlung, dieses Kriterium ist erfüllt. Und da ich davon ausgehe, dass zumindest bisher noch kein „AFDLER“ aufgrund des Plakats getötet wurde, bleibt es bei einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe. Aber war es überhaupt eine Aufforderung oder nur ein schlichtes Befürworten? Auch dazu gibt es eine klare Auskunft. „Auffordern in diesem Sinne ist eine über ein bloßes Befürworten hinausgehende Äußerung, die erkennbar von einem anderen, von einer unbestimmten Personenmehrheit oder von irgendeinem aus einer solchen Mehrheit ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangt.“ Die Autoren zitieren ein Urteil des Bundesgerichtshofes, nach dem bei einem Satz wie „Tod Wehner und Brandt“ der Tod der beiden Politiker zwar erwünscht ist, es aber offenbleibt, „ob der Tod durch eine strafbare Handlung herbeigeführt werden soll.“ Aber dieser Fall liegt hier nicht vor, da steht nicht „TOD DEN AFDLERN“, was ein strafloses Befürworten wäre, sondern klipp und klar „AFDLER TÖTEN.“ Hier wird ohne Zweifel von den Betrachtern des Plakats verlangt, dass AFDLER getötet werden sollen, es handelt sich nicht nur um ein Befürworten, um den Wunsch, dass alle AFDLER tot umfallen sollen, sondern um eine Handlungsanweisung, also um die Aufforderung zu einer Straftat.

Das alles gilt nur unter der Voraussetzung, dass man den Satz tatsächlich als Aufforderung interpretiert. Und wenn es nun eine Aussage war, wenn der Punkt mit voller Absicht gesetzt wurde anstelle eines Ausrufungszeichens? In diesem Fall wird in der Öffentlichkeit behauptet, dass AFDLER töten. Es heißt nicht, dass schon einmal ein Parteimitglied jemanden umgebracht hat, das kann in jeder Partei vorkommen, sondern es wird pauschal etwas über die AFDLER behauptet. Und zwar nicht nur über ein paar. Schreibe ich zum Beispiel „Zigaretten schaden der Gesundheit“ oder „Sahnestückchen machen dick“, dann meine ich damit nicht, dass die eine oder andere Zigarette gesundheitsschädlich ist, während viele andere keine Probleme bereiten; ich meine auch nicht, dass mit wenigen dickmachenden Ausnahmen Sahnestückchen keinen Beitrag zur Gewichtszunahme leisten: Es geht selbstverständlich um alle Zigaretten und um alle Sahnestückchen.

Und ebenso wird hier über alle AFDLER gesprochen. Die töten. Das sagt das Plakat. Um wie viele geht es dabei? Das kommt darauf an, wie man den Begriff „AFDLER“ verstehen will. Dass alle Parteimitglieder gemeint sind, dürfte außer Frage stehen, das sind knapp mehr als 40.000, denen unterstellt wird, dass sie töten. Man kann aber auch etwas konsequenter sein und alle Wähler oder gar potentiellen Wähler der AfD zu den AFDLERn rechnen. Berücksichtigt man, dass sich hierzulande etwa 60 Millionen Wahlberechtigte tummeln, von denen nach letzten Umfragen etwa 20 Prozent ihre Stimme der AfD geben wollen, dann kommt man selbst bei einer geringen Wahlbeteiligung von 70 Prozent auf mehr als acht Millionen potentielle AFDLER. Die töten. Das sagt das Plakat.

Nun wird es Zeit, wieder einmal einen Blick auf einen Paragraphen des Strafgesetzbuches zu werfen, mit dem man gerne sogenannte Rechte und nur äußerst ungern sogenannte Linke behelligt: den Volksverhetzungsparagraphen, den § 130 StGB. Ich lasse hier Nummer 1 von Satz 1 weg und komme gleich zu Nummer 2: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, … die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Der öffentliche Friede konnte gestört werden, schließlich wurde das Plakat während einer öffentlichen Demonstration vor sich her getragen und hätte dazu führen können, dass böse Menschen mit der falschen Gesinnung ihren Ärger über den Satz etwas deutlicher zum Ausdruck bringen. Und ob wir nur 40.000 Betroffene annehmen oder acht Millionen, das bleibt sich gleich, denn in jedem Fall handelt es sich um eine „vorbezeichnete Gruppe“, der unterstellt wird, dass ihre Mitglieder töten. Damit wird die Gruppe beschimpft, sie wird böswillig verächtlich gemacht und sie wird auch verleumdet. Denn die Bezeichnung als Mörder oder Totschläger wird man in aller Regel als Beschimpfung betrachten, üblicherweise genießen Mörder oder Totschläger nicht den besten Ruf in der Gesellschaft, sodass die Gruppe verächtlich gemacht wurde, und da bisher keine größeren Tötungsaktionen durch AFDLER bekannt geworden sind, wird sie durch die Zuschreibung „AFDLER TÖTEN.“ auch noch verleumdet. Drei von drei Kriterien sind erfüllt, das muss man erst einmal schaffen.

Ich muss also folgern, dass durch die Interpretation des Satzes als Aussage nichts gewonnen ist. In diesem Falle ist § 130 StGB anzuwenden, und wir landen bei einer Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Ich erinnere: Sollte es sich um eine Aufforderung handeln, ergibt sich eine Strafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe, sofern die Aufforderung ohne Erfolg bleibt. Und damit folgt: Strafbar war der Satz in beiden Fällen, die Diskussion über Satzzeichen spielt keine Rolle, und das Strafmaß kann bis zu fünf Jahren betragen.

So viel zu meiner ersten These. Bei der zweiten geht es nicht mehr um strafrechtliche Belange, sondern um die Frage, ob die Demonstranten nicht genau das tun, was sie ihren Gegnern unterstellen. Bekanntlich gehen die aktuellen Demonstrationen auf ein angebliches Geheimtreffen unaussprechlicher Kreise zurück, das die Organisation „Correctiv“ ausgekundschaftet haben will. Ich werde jetzt nicht auf die Frage eingehen, ob man die Arbeiten von Correctiv als Recherche bezeichnen soll, es sei denn, man versteht Recherche im phantasievollen Sinne des erfindungsreichen Journalisten Claas Relotius. Ebenso wenig muss mich interessieren, dass keine der vorgetragenen Beschuldigungen von einem Beweis begleitet war, denn Beweise, die man nicht hat, kann man nicht präsentieren. Nehmen wir die Darstellung von Correctiv einfach so, wie sie ist. In der Hauptsache geht es um Äußerungen, die Martin Sellner getätigt haben soll und die wie folgt beschrieben werden: „Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Es ist gegen die Existenz von Menschen in diesem Land gerichtet.“

Da haben wir’s. Menschen, die nach irgendwelchen Kriterien nicht als passend betrachtet werden, sollen „aus Deutschland verdrängt werden“, davor soll auch die deutsche Staatsbürgerschaft nicht schützen. Dagegen laufen die Demonstranten unserer Tage Sturm, und sie tun es, indem sie Parolen wie „NAZIS ABSCHIEBEN!“ verbreiten. Und wer sind die Nazis? Selbstverständlich alle AfD-Mitglieder und zumindest ein großer Teil ihrer Wähler. In unseren seltsamen Zeiten erhält man den Nazi-Stempel aber auch schon dann, wenn man kein Freund ungeregelter Migration ist, wenn man migrantische Kriminalität thematisiert, die menschengemachte Klimakatastrophe in Zweifel stellt oder den Segen von mRNA-Injektionen bestreitet.

Und die sollen nach dem Willen der Demonstranten alle abgeschoben werden. Kaum jemand wird bezweifeln, dass es sich beim Großteil der angeblichen Nazis um deutsche Staatsbürger handelt, die zu einigen Themen andere Meinungen vertreten, als es der herrschende grün-rote Zeitgeist verlangt. Und somit lässt sich die Beschreibung von Correctiv gegen sich selbst wenden: „Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Gesinnung haben – und aus Sicht von Menschen wie den Plakatemachern nicht ausreichend „links“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Es ist gegen die Existenz von Menschen in diesem Land gerichtet.“ Sie machen das Gleiche wie die Adressaten ihrer Angriffe, nur dass es hier leicht nachweisbar ist, während im Falle des Geheimtreffens keinerlei Beweise vorliegen.

Ich darf zusammenfassen: Mit dem ersten Satz des Plakats haben sie sich strafbar gemacht. Mit dem zweiten haben sie sich in genau den moralischen Abgrund gestürzt, in den sie ihre Gegner gerne werfen würden. Das ist keine üble Leistung.

In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts war „Vielleicht hätte er jemanden fragen sollen, der sich mit sowas auskennt“ ein populärer Werbeslogan für die Gelben Seiten. Er ist heute noch aktuell. Die Demonstranten hätten jemanden fragen sollen, der sich mit Sprache und Vernunft auskennt, und Correctiv sollte schon lange jemanden fragen, der weiß, was man unter einer Recherche versteht. Der Dramatiker Thomas Bernhard schrieb in einem seiner Stücke die Sätze: „Werden wir nicht verstanden, lassen wir es sein. Aufklärung ist Unsinn.“ Das klingt böse, und so war es auch gemeint. Doch ein Blick auf die heutigen Verhältnisse zeigt, dass Bernhard im Hinblick auf manche Kreise wohl kaum völlig falsch lag.

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

 

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