Leider, leider kursieren immer wieder Mordaufrufe im Internet, ja sogar Todeslisten. Ganz egal, gegen wen sich diese richten – so etwas ist immer laut und auf das Schärfste zu verurteilen. Das muss Konsens in einer Demokratie sein. So sehr ich Kollegen und Politiker wie Georg Restle oder Karl Lauterbach sachlich kritisiere – bei Drohungen gegen sie haben sie meine vollste Solidarität. Ob das umgekehrt auch so ist? Eine „Todesliste“ mit 250 Namen von regierungskritischen Journalisten, Politikern und Prominenten zieht derzeit als Rundmail ihre Kreise. Die Aufgeführten werden dabei als Nazis hingestellt und der Autor, offenbar der Jägersprache mächtig, regt an, man solle sie „entnehmen“. Also wie wilde Tiere umbringen. Besonders pikant: unter den Zielobjekten sind drei Juden, eine davon ist eine Holocaust-Überlebende.
Der Autor mag ein Irrer sein. Aber ein Irrer kann andere Irre zu Taten anstiften. Hätten auf der Liste 250 regierungsnahe Journalisten und Politiker gestanden – malen Sie sich die Reaktion in den Medien und in der Politik aus. Aber es handelt sich um Regierungskritiker. Und es herrscht breites Schweigen. Ich habe gestern auf der Bundespressekonferenz Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert zu der Todesliste befragt. Ich war bestürzt über die Kälte seiner Antwort, über das völlige Fehlen von Empathie. Im Gegenteil – er streut sogar unterschwellig Zweifel daran, dass die Liste „echt“ sei. Aber wann kann etwas echt sein in so einem Zusammenhang. Was mich genauso bestürzte: Als die Vorsitzende nach Seiberts Antwort fragte, ob die anderen Journalisten im Saal noch weitere Fragen zu dem Thema haben, meldete sich kein einziger. Ich dokumentiere hier die Antwort Seiberts im Wortlaut – empfehle aber sehr, sie auch in meinem Video anzusehen, da Mimik und Körpersprache bedeutender Teil der Antwort sind (Link zum Video hier).
REITSCHUSTER: „An Herrn Seibert: Es kursiert eine Rundmail mit Todesdrohungen gegen 250 regierungskritische Journalisten, Politiker und Prominente. Wie erklärt sich die Bundesregierung solchen Hass auf Regierungskritiker, und was gedenkt sie dagegen zu tun?“
SEIBERT: „Ich habe keine Kenntnis von dieser Liste; deswegen kann ich das jetzt auch nicht kommentieren. Ich glaube, aus den Ausführungen des Kollegen und aus vielem, was wir hier in den letzten Wochen und Monaten gesagt haben, ist mehr als klar geworden, dass wir jede Form von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung, Bedrohungen gegen Menschen, die sich politisch engagieren, und Vorkommnisse, wie wir sie bei Demonstrationen erlebt haben, zutiefst ablehnen und dass wir alle auffordern, zu einem demokratischen Umgang miteinander zu kommen, wo man einander zuhört, wo man Argumente austauscht und wo man nicht zu solchen Mitteln greift.
Ich kenne diese Liste nicht. Es soll auch vielerlei Arten solcher Listen geben. Das ist ganz grundsätzlich eine grässliche Sache, wenn es stimmt.“
Bild: RTL/Ekaterina Quehl
Text: br