Übersterblichkeit in Deutschland doppelt so hoch wie in Schweden Britischer Forscher: „Regierungen zur Rechenschaft ziehen“

Von Kai Rebmann

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte am 5. Mai 2022 neueste Zahlen zu den weltweiten Todesfällen, die in den Jahren 2020 und 2021 in direktem oder indirektem Zusammenhang mit Corona standen. Mit knapp 15 Millionen Corona-Toten liegt die Schätzung der WHO um etwa das Dreifache höher als die von den einzelnen Ländern jeweils gemeldeten offiziellen Zahlen. Um sowohl Effekte zu berücksichtigen, die sich negativ auf die Sterblichkeitsrate auswirken können als auch solche, die diesen Wert positiv beeinflussen, hat die WHO zum Beispiel einerseits den infolge der Lockdowns verschlechterten Zugang zu medizinischer Versorgung und andererseits das geringere Risiko von Verkehrsunfällen berücksichtigt. Die aktuelle Erhebung der WHO, deren Grundannahmen Experten wie der Modellierer Colin Angus von der Universität Edinburgh (Schottland) für „völlig vernünftig“ halten, erklärt womöglich auch, warum Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) so wenig Interesse an der Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen in Deutschland hat. Geht es nach Lauterbach, ist Deutschland so gut wie kaum ein anderes Land durch die Pandemie gekommen. Indes, ein falsches Narrativ wird nicht allein dadurch wahrer, nur weil es ständig wiederholt wird.

CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge fordert angesichts der WHO-Zahlen in der BILD, dass Deutschland seine „Pandemiepolitik immer wieder hinterfragen“ müsse und forderte, die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen „nicht länger auszubremsen“. Auch KBV-Chef Andreas Gassen verlangt von der Bundesregierung eine „schnelle, unabhängige“ Überprüfung, was umso mehr gelte, „wenn zahlreiche Nationen mit einer weniger rigiden Corona-Politik offenbar mitunter sogar deutlich weniger Übersterblichkeit zu verzeichnen haben“. Und tatsächlich hatte kaum ein anderes Land in Mitteleuropa in den Jahren 2020 und 2021 eine derart hohe Übersterblichkeit zu verzeichnen wie Deutschland. Selbst im nahezu maßnahmenfreien Schweden lag die Übersterblichkeit bei weniger als der Hälfe.

Übersterblichkeitsrate lag in Deutschland bei 116, in Schweden bei 56

Laut den WHO-Daten waren in Deutschland in den vergangenen beiden Jahren pro 100.000 Einwohner im Schnitt 116 Todesfälle mehr zu beklagen als statistisch zu erwarten gewesen wären. Im Vergleich mit Ländern wie der Schweiz (47), Schweden (56), Frankreich (63), Österreich (66), Belgien (77), Portugal (100), Großbritannien (109) oder Spanien (111) entpuppt sich der vermeintliche Corona-Klassenstreber Europas schnell als Sitzenbleiber. Einen Zusammenhang zwischen besonders strengen Corona-Maßnahmen und einem „besonders gut durch die Pandemie kommen“ gibt es also ganz offensichtlich nicht. Nur Länder wie Italien (133) oder in Osteuropa hatten in den beiden zurückliegenden Jahren eine noch höhere Übersterblichkeitsrate zu verzeichnen.

An dieser Stelle ist der Hinweis besonders wichtig, dass in der Erhebung der WHO nicht nur die Toten eingeflossen sind, die direkt an oder mit Corona gestorben sind. Vielmehr handelt es sich wie eingangs erwähnt um eine Gesamtbetrachtung der direkt und indirekt mit Corona in Verbindung stehenden Todesfälle, so dass die Sterblichkeitsraten in den einzelnen Ländern auch durch Faktoren wie den allgemeinen Zustand des Gesundheitssystems oder den Grad der ärztlichen Versorgung beeinflusst wurden. Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage von Prof. Devi Sridhar von der Universität Edinburgh zu verstehen. Die Expertin für globale Gesundheit sagte dem britischen Telegraph: „Die Lehre aus Schweden muss sein, in die Gesundheit der Bevölkerung zu investieren und für weniger Ungleichheit zu sorgen.“ Sridhar sieht außerdem einen Zusammenhang zwischen einem geringen Teil übergewichtiger oder fettleibiger Menschen und den von der WHO ermittelten Sterblichkeitsraten. Die strikten Lockdowns in Deutschland hatten unter anderem zur Folge, dass gerade junge Menschen weniger Sport treiben konnten, dafür aber mehr Zeit vor dem Computer und/oder Fernseher verbrachten.

Lebenserwartung in Deutschland gesunken, Lebenserwartung in Schweden gestiegen

Der Epidemiologe und Modellierer Ralph Brinks weist in der BILD noch auf eine weitere Studie hin, die Karl Lauterbach nicht gefallen dürfte. Demnach hat Deutschland mit seinen Corona-Maßnahmen nicht nur im Hinblick auf die Übersterblichkeit schlechter abgeschnitten als die meisten seiner europäischen Nachbarn, sondern auch bei der Lebenserwartung seiner Bürger. Brinks erläutert dazu: „Auf der Grundlage einer demografischen Auswertung zur Lebenserwartung ist Deutschland verglichen mit europäischen Nachbarländern wie Belgien, Frankreich oder Dänemark schlechter durch die Pandemie gekommen. Gleiches gilt für den Vergleich mit Norwegen, Finnland und Schweden.“ Demnach ist die Lebenserwartung in Deutschland in den vergangenen Jahren von 81,16 Jahren auf 80,67 Jahre gesunken, während sie in Schweden trotz Corona um einige Wochen auf jetzt 83,22 angestiegen ist.

Die Auswertung der WHO legt gnadenlos offen, in welchen Ländern es in den vergangenen beiden Jahren zu einer außergewöhnlich hohen Übersterblichkeit gekommen ist. Für den oben bereits zitierten Colin Angus sind diese Daten eine wichtige Voraussetzung, um die dafür verantwortlichen Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. Auch wenn der Forscher damit wohl seine eigene Regierung in London gemeint haben dürfte, werden sich auch in Berlin einige Herrschaften angesprochen fühlen. Es mag zwar vielleicht stimmen, dass Deutschland nicht vollständig mit skandinavischen Ländern wie Schweden vergleichbar ist, aber einen Vergleich mit Ländern wie Frankreich, Österreich, der Schweiz, Belgien oder den Niederlanden müssen sich Lauterbach und seine Corona-Jünger aber dann doch gefallen lassen.

DAVID
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shutterstock
Text: kr

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