In Deutschland wird sehr viel über die Ukraine geredet, aber wenig mit Ukrainern. Ich selbst erlebte, dass Menschen Vorträge über das Land hielten – aber noch nie dort waren. In vielen „alternativen“ Medien ist die Rede davon, Kiew habe ein Rechtextremismus-Problem. Ich persönliche kenne die Ukraine sehr gut, bin dort bestens vernetzt, und konnte nie einen nennenswerten Einfluss von Rechtsextremisten – die es dort auch gibt – auf die Politik in dem Land feststellen. Patriotismus – ja. Nationalstolz – ja. Aber zumindest in meinen Augen sind das keine Verbrechen. Ich schickte der ukrainischen Journalisten Iryna Fedoriw, die mit ihren Kindern nach Polen fliehen musste, in Schlagworten die Vorwürfe, die gegen ihr Land in Deutschland erhoben werden, und bat sie darum, diese zu beurteilen. Heraus kam dieser Bericht:
Ein Gastbeitrag von Iryna Fedoriw
In den Medien der Welt wie auch in der Ukraine versucht die russische Propaganda, solche Mythen zu verbreiten, die Russland bei weiteren Aggressionsaktionen helfen.
Putin rechtfertigt den Krieg mit der Notwendigkeit, die Ukraine zu „entnazifizieren“. Um Putins Narrativ zu verstärken und zu versuchen, Militäraktionen zumindest für einen Teil der Europäer zu rechtfertigen, sind Russlands Geheimdienste seit vielen Jahren im globalen Informationsfeld aktiv und schaffen dabei die notwendigen Mythen.
Innerhalb der letzten Wochen hat sich eine Reihe von Medien an unsere NGO gewandt und uns gebeten, den Einfluss der Partei „Rechter Sektor“ und der Sondertruppe „Asow“ zu kommentieren sowie darüber zu informieren, zu wessen Ehren in der Ukraine für die Anhänger des rassistischen Völkermordes Denkmäler errichtet werden.
Wir möchten diese drei Mythen anhand der vorhandenen Daten analysieren.
Inwiefern hat der „Rechte Sektors“ Einfluss auf ukrainische Politik?
Bei den Kommunalwahlen 2020 hat die Partei „Rechter Sektor“ nur zwei Mandate bekommen. Zu Ihrem Verständnis: Die Gesamtzahl der Mandate betrug über 43.000, also sind zwei Mandate davon nicht einmal 0,1 Prozent. zwei Abgeordnete in den Ortsräten kann auf das ganze Land gerechnet nur das schlechteste Wahlergebnis bedeuten. Bei den Kommunalwahlen in 2015, die nach der Revolution der Würde stattfanden (Euromaidan), hat diese Partei nicht einmal kandidiert.
An den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019 nahm die Partei nicht teil. Das ist eine offizielle Information, die die Zentrale Wahlkommission auf ihrer Seite veröffentlicht.
Daher ist es sinnfrei, zu behaupten, der „Rechte Sektor“ habe einen Einfluss auf den politischen Raum der Ukraine. Diesen Einfluss gibt es schlicht nicht.
Was ist mit 'Asow'?
In der Ukraine gibt es eine Sondertruppe namens „Asow“, die der regionalen Gruppe „Ost“ untergeordnet ist. Diese Sondertruppe wurde 2014 auf Veranlassung des Innenministeriums der Ukraine organisiert.
„Asow“ kämpfte am Asowschen Meer und befreite 2014 Mariupol, sie nahm, wie auch die Einheit von „Rechter Sektor“, an Kämpfen bei Ilowajsk teil. Einer der Bataillonkommandeure der Sondertruppe hat die Partei „Nationalkorps“ gegründet.
Im Jahr 2020 hat „Nationalkorps“ bei den Kommunalwahlen 18 Mandate bekommen. Das sind 0,04 Prozent der Gesamtzahl der Mandate in der Ukraine. Dabei gehören dieser Partei nur 5 von 18 Abgeordneten der Ortsräte an. Es ist anzumerken, dass sich das Wahlsystem in der Ukraine inzwischen verändert hat: In den Wahlkreisen mit Wahlberechtigten ab 10.000 darf man nur im Namen einer Partei kandidieren. In kleineren Gemeinden gab es deshalb sehr viele parteilose Kandidaten.
Bei der Präsidentschaftswahl in 2019 stellte „Nationalkorps“ keinen Kandidaten. Auch bei der Parlamentswahl im selben Jahr wurde von dieser Partei keine Kandidatenliste eingereicht.
Die Frage ist, ob es überhaupt Sinn macht, über die Seriosität des Einflusses von „Nationalkorps“ auf das politische System der Ukraine zu diskutieren – bei einer Mandatenquote dieser Partei unter 0,1 Prozent.
Zu wessen Ehren werden in der Ukraine Denkmäler errichtet?
Es gibt noch einen Mythos, den die russische Propaganda versucht, den westlichen Medien aufzudrängen: Es soll in der Ukraine „Hunderte von Denkmälern der Anhänger des rassistischen Völkermordes“ geben.
Diese These lässt sich aufgrund entsprechender Daten-Analyse ebenfalls widerlegen. Für gewöhnlich tragen die Straßen ukrainischer Städte Namen von Schriftstellern und Künstlern. Diesen Persönlichkeiten werden auch Denkmäler errichtet. Auf dem Bild sind beispielsweise Angaben zu den Denkmälern der Schriftstellerin Lessja Ukrainka angegeben.
Ihr und anderen Schriftstellern wie Taras Schewtschenko und Iwan Franko werden in der Ukraine Denkmäler errichtet. Und neben den Denkmälern für ihre literarischen Helden gedenken die Ukrainer auch dem jüdischen Schriftsteller Sholem Aleichem. Auf diesem Bild können Sie das Denkmal zu seinen Ehren in Kiew sehen.
Auch gibt es in Kiew, Odessa und vielen anderen Städten sowie – vor den Bomben-Anschlägen – auch in Charkiw viele Puschkin-Denkmäler.
Die Ukraine, die den von Russland organisierten Holodomor (Tötung durch Hunger) überlebt hat, errichtet keine Denkmäler für diejenigen, die den Völkermord unterstützt haben oder rassistisch waren.
Viele Medien spekulieren darüber, dass es in der Ukraine Gedenkstätten für Stepan Bandera gibt. Um zu verstehen, was Stepan Bandera und Nazis gemeinsam haben, sollte man Geschichtsbücher lesen und keine Propaganda.
Bandera war überzeugt, dass die Ukraine im Konflikt zwischen Hitler und Stalin eine Unabhängigkeit erlangen könnte und unterzeichnete 1941 den „Akt der Wiederherstellung eines unabhängigen ukrainischen Staates“. Um diesen Akt zu annullieren, verhaftete die Gestapo Bandera. Er wurde in das Gestapo-Gefängnis in der Prinzregentenstraße in Zelle Nr. 29 eingeliefert.
Die Brüder von Bandera starben in Auschwitz, nachdem sie gefoltert wurden.
Den dritten Bruder erschoss die Gestapo.
In 1942 wurde Bandera in die Einzelhaft im KZ Sachsenhausen verlegt, später, als er in 1944 unter Hausarrest gestellt wurde, konnte er mit einem gefälschten Ausweis fliehen. 1959 tötete ein sowjetischer Agent Bandera.
Daher werfen in der Ukraine einzelne Denkmäler für Bandera, der eine Zeit lang im Konzentrationslager in Haft war, um die Ideen einer unabhängigen Ukraine zu verteidigen, unter geschichtskundigen Ukrainern keine Fragen auf.
Gleichzeitig ehren Ukrainer, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben, die Deutschen, die viel für die Entwicklung der Weltkultur getan haben.
Deutsche Kultur in der Ukraine
Auch die deutsche Kultur ist der Ukraine nicht fremd. In Czernowitz, Krywyj Rih und anderen Orten gibt es eine Goethestraße.
Darüber hinaus war und ist die Verbindung mit Deutschland für die Kommunen sehr wichtig. Es gibt eine Reihe Städtepartnerschaften mit deutschen Städten. Besonders anzumerken sind solche, in denen Kinder, Eltern, Geburtskliniken, Kindergärten und Schulen bombardiert wurden: Kiew-Leipzig/München/Berlin, Sumy-Celle, Charkow-Nürnberg, Tschernigow-Memming, Saporoshje-Oberhausen/Magdeburg, Poltawa-Vilderstadt, Leinfelden-Echterdingen/Ostfildern.
In all diesen Städten, die seit Jahren Beziehungen zu deutschen Partnerstädten pflegen, gibt es Denkmäler und Straßen, die an bekannte Persönlichkeiten erinnern – Juden, Deutsche, Franzosen, Polen, Russen und Vertreter anderer Kulturen und Staaten.
Und in diesen Städten leben Kinder und Erwachsene mit familiären und kulturellen Verbindungen zu Israel, Deutschland, Polen und zu Dutzenden anderer Länder.
Ziel der russischen Propaganda
Das Ziel der russischen Propaganda ist es, die Europäer falsch zu informieren und Europas Einheit zu spalten, um Kreml-Politikern die Wiederherstellung der imperialen Grenzen Russlands zu ermöglichen.
Die Propaganda war nur der Beginn des Krieges mit der Ukraine. Später besetzte Russland die Krim und Teile vom Donbass und des Gebietes Luhansk. Unter dem Vorwand, die Gebiete Donezk und Luhansk zu verteidigen, führen Russen nun einen realen Angriffskrieg und begehen Verbrechen, die bereits Gegenstand eines Verfahrens in Den Haag sind. Mit Europa führt Russland nun einen Informationskrieg. Russland spaltet die Einigkeit der EU- und NATO-Positionen. Dies ist die Phase, die einem Angriff vorausgehen kann. In der Nähe der polnischen Grenze explodieren schon Bomben, und eine feindliche Drohne ist bereits ins kroatische Zagreb geflogen.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Irina Fedirow ist ukrainische Journalistin und ist aktiv bei #NoFlyZone in der Ukraine.
Bild: ShutterstockText: Gast