„Ungeimpfte unerwünscht“ Vergangenheitsbewältigung: Note Sechs, setzen!

Nein, Sie haben sich nicht verlesen. Den Spruch von der Überschrift, der auch auf dem Bild zu sehen ist, stand, in dicken weißen Lettern geschrieben, auf den Schaufenstern des Ladens eines 65-jährigen Gelsenkirchener Geschäftsmanns. Das ist die schlechte Nachricht. Eine unglaubliche. Unfassbare. Als mir Leser das Bild schickten, hoffte ich inständig, dass es eine Fälschung ist. Aber es ist echt.

Die gute Nachricht: Die Aktion des Geschäftsmannes, die auf schmerzhafte Weise an Aufschriften „Juden unerwünscht“ im Dritten Reich erinnerte, löste einen Sturm der Entrüstung aus. Der war so heftig, dass der 65-Jährige das Geschriebene entfernte. Und es ersetzte durch die Aufschrift „Ich schäme mich“.

In einem Interview mit der Zeitung »WAZ«, das hinter einer Zahlschranke versteckt ist, und in einem Telefongespräch mit dem „Digitalen Chronisten“ rechtfertigt sich der Mann „Ich nutze mein Schaufenster gerne dazu, um Menschen mit solchen Sprüchen zum Denken anzuregen“, sagt er da.  Er habe so einen Denkanstoß in Sachen Corona bewirken wollen. „Ich wollte damit polarisieren“, sagt er der WAZ. „Ernst gemeint war das nicht: Bei Einhaltung der Hygieneregeln können auch Ungeimpfte meinen Laden betreten.“ Er habe sich vorgestellt, dass Leute zu ihm hereinkommen und mit ihm darüber diskutieren. „Das war ein Riesenfehler“, sagt er heute, wie es in dem Bericht heißt.

Eine Leserin der Zeitung erstattete bereits bei der Polizei Anzeige wegen Volksverhetzung. Das Schaufenster wurde eingeworfen. Es gab Drohungen, berichtet er. An den Zusammenhang mit der Nazizeit habe er überhaupt nicht gedacht, sagt er so im Interview mit der Zeitung: „Das war eine Riesendummheit von mir, ich schäme mich deswegen sehr.“ Im Interview mit dem „Digitalen Chronisten“ sagte der Geschäftsmann, der sich selbst als Linken bezeichnet: „Wie dumm kann ich eigentlich sein?“ Auf die Frage, was er sich gedacht habe bei der Aktion, gestand er ein, das könne er gar nicht sagen: „Ich weiß gar nicht, was ich da angerichtet habe“. Er habe Angst, und das habe sich dann hoch geschaukelt. Er habe zuerst seinem Immunsystem vertraut: „Dann wurden wir mit Nachrichten immer mehr zugebombt, dann kam die Unsicherheit mit rein. Dann ich bin einem Herdentrieb gefolgt und habe mich auch impfen lassen. Ich habe geglaubt.“

Ich finde: Das ist der Schlüsselmoment der ganzen Geschichte. Dass überhaupt nicht gedacht wird. Vor allem nicht an die Lektionen der Vergangenheit.

Jede Gleichsetzung dessen, was heute geschieht, mit der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten wäre absurd und sträflich (das gilt aber in beide Richtungen – für die Stigmatisierung von Corona-Maßnahmen-Kritikern als „Nazis“ ebenso wie für Vergleiche der Diskriminierung von Ungeimpften mit den im Dritten Reich verfolgten Minderheiten). 

Aber so sträflich eine Gleichsetzung wäre – genauso sträflich ist es, nicht zu sehen, dass heute genau die psychischen Mechanismen von Politik und Medien geschürt und leider von vielen Menschen aufgegriffen werden, die in den Anfängen den Weg zu den finstersten Stunden in der deutschen Geschichte ebneten. 

In seiner Schlichtheit hat der Gelsenkirchener Geschäftsmann genau das auf beeindruckende, gespenstische Weise demonstriert. Er hat gezeigt, wie lebendig die Geister noch sind! 

Auf dass es wenigstens einigen eine Lehre ist!

Die meisten Schrecken der Geschichte haben klein angefangen und anfangs machten sich viele lustig über diejenigen, die Alarm riefen.

Aber offenbar ist ein nicht kleiner Teil der Menschen unfähig, aus der Geschichte zu lernen.  

PS: Auch hier in den Kommentaren wurde wieder klar, dass leider Gleichsetzung und Vergleich in Deutschland von sehr vielen verwechselt werden. Vergleichen kann, ja muss man vieles. Man muss auch das, was in der Gegenwart geschieht, immer mit der Vergangenheit vergleichen. Um Gemeinsamkeiten zu erkennen – und auch Unterschiede. Eine Gleichsetzung dagegen ist etwas ganz anderes.

PS: Sehr empfehlenswert – das Telefongespräch des Geschäftsmanns mit dem „Digitalen Chronisten“.

Video-Tipp des Tages:  

 

 

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
Bild: Netzfund
Text: br

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