Unter Söder-Arrest Die irrwitzige Quarantäne meiner Verwandten

Es gibt Gleiche und Gleichere. Auch in Corona-Zeiten. Und man tut sich manchmal schwer, nicht wütend zu werden, wenn einen das persönlich betrifft. Oder genauer gesagt: Engste Verwandte. Jens Spahn wurde heute positiv auf Corona getestet. Das Kabinett muss deswegen nicht in Quarantäne, wurde gleich verkündet. Zwei Fußballer, von RB Leipzig und Bayern München, wurden ebenfalls positiv getestet. Ihre Mannschaften können trotzdem weiter in der Bundesliga spielen. Ganz anders eine enge Verwandte von mir. Sie ist Schülerin in der Oberstufe in einem Gymnasium in Söders Corona-Festung. Ihr Name, ihr Wohnort und ihr genauer Verwandtschaftsgrad seien aus Gründen der Diskretion hier ausgeklammert.

Das Mädchen, oder besser die junge Frau, musste zu einem Corona-Test, nachdem einer ihrer Lehrer positiv getestet wurde. „Wir wurden in eine Art Garage verfrachtet, da kamen dann Leute in weißen Schutzanzügen, die waren schmutzig, die wirkten auf mich wie Tierärzte“, erzählte sie mir, immer noch schockiert, am Telefon: „Die haben mir dann einen Wattestab regelrecht in die Nase gerammt, bis ganz hinten, das tat total weh, ich hatte den Eindruck, das sind Sadisten“, beklagt sie sich. Obwohl der Test negativ ausfiel, sitzt sie nun schon die zweite Woche in Quarantäne. Das Gesundheitsamt ruft an, um zu prüfen, ob sie auch wirklich Zuhause ist. Beamte der Behörde können auch jederzeit Zuhause erscheinen, zu Prüfzwecken.

Warum wird meine junge Verwandte ihrer Freiheit beraubt, die Minister-Kollegen von Jens Spahn und die Mannschaftskollegen der positiv getesteten Fußballer aber nicht? Warum sind andere Schüler, die den gleichen Lehrer in Kursen hatten, nicht in Quarantäne? Warum unterrichten die anderen Lehrer, die mit dem Corona-Verdächtigen in einem Lehrerzimmer waren, weiter? Warum können die ganzen Freundinnen meiner Verwandten aus der gleichen Jahrgangsstufe, mit denen sie im engen Austausch war, weiter frei herumlaufen, sie aber nicht? Warum kann ihre Schwester weiter in die gleiche Schule gehen und ihre Mutter zur Arbeit, obwohl sie in einem Haushalt leben und damit eine mögliche Infektion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf alle Haushaltsbewohner überspringen könnte?

Ich kann durchaus Verständnis haben für Einschränkungen, wenn sie sinnvoll erscheinen. In diesem Fall beleidigen sie aber meine Intelligenz. Denn sie wirken geradezu absurd. Hier wird jungen Menschen schon das Urvertrauen in unseren Rechtsstaat, ja in unsere Demokratie geraubt. Die Verantwortung dafür trägt im konkreten Fall Markus Söder. Der gelernte Fernseh-Redakteur setzt sich groß in Szene als „Corona-Terminator“ und versucht die Krise zu nutzen als Karriere-Sprungbrett ins Kanzleramt. Dabei leistet er sich einen Bauchklatscher nach dem anderen (siehe hier). Sein Glück: Die Medien schonen ihn. Doch das kann sich sehr schnell ändern – er braucht nur bei Angela Merkel in Ungnade zu fallen.

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PS: Dabei hat meine Verwandte vielleicht sogar noch Glück im Unglück. Leser schrieben mir, ihnen habe das zuständige Gesundheitsamt mit weitreichenden Konsequenzen gedroht, wenn sie ihre Kinder nicht ordnungsgemäß isolieren: „Für den Fall, dass Sie diesen Anordnungen nicht nachkommen, wird die zwangsweise Absonderung in einer geschlossenen Einrichtung oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses angedroht.“

PS: Ein Kollege und Freund aus sehr alten Tagen (seit 1993), der früher für den Verlag der Süddeutschen arbeitete und jetzt für die Öffentlich-Rechtlichen, schrieb mir gerade einen wutentbrannten Brief mit Beschuldigungen wegen dieses Beitrags (und meiner Seite generell). Zitat: „Was treibt Dich an, so einen Blödsinn wie den Corona-Artikel heute zu schreiben? Auf jede Deiner Fragen gibt es doch eine gute Antwort.“ Leider bleibt er solche Antworten aber schuldig. Mein Artikel sei nicht journalistisch, beklagt er, Formulierungen wie „beleidigen meine Intelligenz“ seien unzulässig und unjournalistisch. Ich finde, das zeigt, wie weit die Selbstkastration in der Branche geht (wo sich etwa die Süddeutsche für einen kritischen Beitrag entschuldigt). In einem Kommentar Klartext zu sprechen, ist sehr wohl journalistisch. Dabei darf man auch zuspitzen. Insbesondere, wenn man rechtsstaatliche Grundsätze bedroht sieht. Erstaunlich, aber leider typisch ist auch, dass der Kollege sofort mit Beschimpfungen reagierte statt mit Argumenten. Ich sehe es als Bestätigung, denn ich halte es mit dem großen Karl Kraus: „Was trifft, trifft zu.“

 


Bild: ESB Professional/Shutterstock
Text: br


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